Eine Sprache finden, die beide Seiten verstehen

04.11.1977

Mit den Preisträgern des COMM-Prix 77, Dipl.-Kfm. Wulf Hammel und Dieter Neuwirth, Autoren von Henkel-Norsys, sprachen die CW-Redakteure Dieter Eckbauer und Elmar Elmauer

- Das Thema unseres COMM-PRIX lautete: Mehr Mitverantwortung für die Fachabteilung. Durch welche Kriterien kommt Henkel-Norsys dieser Forderung entgegen?

Neuwirth: Zunächst einmal haben wir in den fünf Jahren doch Erfolge in unserem Normierungskonzept gesehen, bei dem wir versucht haben, den Benutzer sehr viel stärker als in der Vergangenheit in einen Entwicklungsprozeß mit einzubeziehen. Der Hauptzweck von Norsys ist auch, das Verhältnis zwischen Datenverarbeitungsabteilung und Fachabteilung durch die Involvierung des Benutzers in den Systementwicklungs- und Pflegeprozeß zu verbessern.

- Zwischenfrage: Von wem ging die Initiative aus, dieses gestörte Verhältnis zu verbessern? Von der Fachabteilung oder von der Datenverarbeitung?

Hammel: Dies war ein Prozeß, der auf Gegenseitigkeit beruht. Das reine Norsyssystem war eine Initiative der Datenverarbeitung, die hier eine Lösungsmöglichkeit sah. Auf der anderen Seite kamen Anregungen von sogenannten EDV-Fachausschüssen, einer Einrichtung, die mehr von Benutzerseite ausgegangen ist.

- Noch einmal zurück. Worin bestanden die Probleme denn konkret?

Neuwirth: Die Probleme bestanden darin, daß sich der Benutzer in eine gewisse Unmündigkeit versetzt fühlte, seine Systeme für ihn im Prinzip nicht durchschaubar waren. Er bekam bislang eine DV-Dokumentation, die für ihn quasi chinesisch war, die er nicht lesen konnte und eine eigentliche Organisationsdokumentation, die früher zwar mal existierte, aber soweit vom Programmsystem abgewichen war, daß also auch dort keine Sicherheit über den tatsächlichen Inhalt des Anwendungssystems bestand. Das Know-how befand sich eigentlich nur in der Datenverarbeitung, was immer zu Unzufriedenheit führte Letztlich führte das auch dazu, daß Systeme am Benutzer vorbeiproduziert worden sind.

Hammel: Es war also notwendig, eine Sprache zu finden, die von beiden Seiten verstanden Dies war in der Vergangenheit nicht so. Da war die Fachabteilung nicht in der Lage, den EDV-Spezialisten und sein DV-Chinesisch zu verstehen. Umgekehrt war aber auch der DV-Spezialist nicht in der Lage, sich so auszudrücken, daß ihn die Benutzer verstehen konnten. Mit Norsys ist ein Verfahren vorhanden, das durch die klare Trennung zwischen Sachlogik und DV-Technik dem Benutzer die Möglichkeit gibt, die Beschreibung des sachlogischen. Teils von zu verstehen. Ja man kann sogar soweit gehen, den Benutzer in voller Verantwortung nachher auch kontrollieren zu lassen, so daß er nunmehr in den Entwicklungs- und Pflegeprozeß von einbezogen wird.

- Ist es Ihrer Meinung nach notwendig, daß der Benutzer vom EDV-technischen Teil ausgeklammert bleibt?

Hammel: Da würde ich differenzieren zwischen Benutzer erster und zweiter Kategorie. Wenn wir dem Benutzer so Dinge wie GIS zur Verfügung stellen, muß er notwendigerweise auch in DV-technischen Details Kenntnisse haben, sonst ist er gar nicht in der Lage, derartige Software zu handeln. Anders beim Benutzer zweiter Kategorie, der nur sein Fachwissen benötigt. Für ihn ist es nicht notwendig, DV-Details zu kennen.

Neuwirth:... so daß für die datenverarbeitungstechnische Effizienz die EDV-Abteilung voll verantwortlich ist. Dies liegt außerhalb des Fachabteilungs-Spielraumes.

- Welches Gewicht hat die Normierung des Entwicklungsprozesses innerhalb des Norsys-Konzeptes im Vergleich, die System-Verantwortung einfach in die Fachabteilung zurückzuverlegen?

Hammel: Ich glaube, man muß beide Ziele hier integriert betrachten. Denn das eine ist ohne das andere nicht möglich kann nur dann den Benutzer mit einbeziehen, wenn ich entsprechende Standards gebe.

Neuwirth: Früher war es so, daß der Datenverarbeitungsspezialist ganz individuelle Vorstellungen über die Art und Weise seines Vorgehens des Sprachgebrauchs hatte. So kam es durchaus vor, daß zwei Systemplaner nacheinander für eine Fachabteilung am Zug waren und die Fachabteilung prompt mit zwei Welten kontrolliert worden ist.

- Lassen Sie uns einmal den psychologischen Aspekt anreißen. Früher gab es das krasse Know-how-Gefälle und die daraus resultierende Dominanz der Spezialisten, auf der Benutzerseite das Unterlegenheitsgefühl, das Gefühl, nicht mitreden zu können. Ist denn die EDV von sich aus bereit, diese Positionen aufzugeben? Gibt es bei Ihnen eine Instanz, die sicherstellt, daß dieses Know-how-Gefälle ausgeglichen wird?

Hammel: Darauf kamen wir schon mal zu sprechen. Es existieren EDV-Fachausschüsse, die man als Benutzerkomitees sehen kann. Diese Benutzerkomitees mit acht bis zehn Mitgliedern treten zumeist monatlich zusammen.

- Welchen EDV-Level haben diese Benutzerkomitees?

Hammel: Eigentliche EDV-Kenntnisse sind aufgrund des Norsys-Konzepts nicht erforderlich. Es geht ab Abteilungsleiter aufwärts, zum Teil waren dies die Schnittstellenpartner zwischen Datenverarbeitung und Fachabteilung. Gerade das ist auch unser Ziel gewesen und wir verstehen uns heute in erster Linie doch mehr als Dienstleistungsbetrieb, der für die Fachabteilung da ist. Wir sind heute ganz froh, daß wir von diesen Fachausschüssen kontrolliert werden. Zur Zeit existieren sieben derartige Benutzerkomitees und einmal jährlich konstituiert sich aus den Vorsitzenden dieser Fachausschüsse ein sogenannter EDV-Koordinierungsausschuß, der die Prioritäten sowie den EDV-Rahmenplan endgültig festlegt.

-. . . und wann werden bei Ihnen ganz normale Jobs gefahren? Wann wird die Arbeit gemacht?

Neuwirth: Sie hörten ja, daß das monatliche Sitzungen und nicht tägliche Diskussionen sind. Einmal im Monat entscheidet dieses Gremium über die Projekte. Liegen die Projektkosten über hunderttausend Mark, dann befindet ein Ausschuß der Geschäftsleitung, ob das Projekt verwirklicht werden soll oder nicht.

- Lassen Sie uns noch einmal zum Punkt "gemeinsame Sprache finden" zurückkehren. Welche Untermenge an Fachsprache halten Sie für unbedingt notwendig?

Neuwirth: Wir haben als Fachsprache, was ich aber eher als Methode bezeichnen würde, die Entscheidungstabelle eingeführt. Sie ist die Basis unserer gesamten Dokumentation und legt fest, was in welchem Falle zu tun ist.

- Auch das Werkzeug Entscheidungstabelle ist nicht unumstritten. Und im Software-Engineering klingt immer öfter an, die Methoden befänden sieh derzeit in einem derartigen Wandel, daß weder Normierung noch Standardisierung sinnvoll seien, weil sie positive Entwicklungen von vornherein verhinderten.

Hammel: Ja - aber wir haben es doch heute in erster Linie noch mit System-Engineering in der bisherigen Form zu tun. Und Ingenieure arbeiten doch auch mit Standards, nach Normen. Dieses dort seit Jahren übliche Know-how ist in den letzten Jahren verfahrenstechnisch von in die DV-Arbeit oder die Systemplanung übernommen worden.

Neuwirth: Überdies betrachten wir Norsys als lebendes System. Das heißt, daß bestimmte Methoden, die sich zwar einmal für sinnvoll gezeigt haben können, durchaus gegen bessere Methoden ausgetauscht werden.

- Aber Sie räumen ein, daß die normierte Systemplanung ein Korsett mit sich bringt? Ist das Korsett hier die bessere Alternative?

Hammel: Ich würde sagen, man muß das in Kauf nehmen. Und ich bin der Meinung, daß da eben der Systemplaner, der Systemspezialist umdenken muß. Letztlich ist die Tendenz bei allen großen Firmen in dieser Form gegeben. Im Grunde gibt's hier keine Wahl mehr.

Im Autorenteam Henkel Norsys ist Dieter Neuwirth (37) der Dienstältere: Er ist seit 17 Jahren bei der Henkel KGaA, wo er nach Abschluß der kaufmännischen Lehre in das Rechnungswesen einstieg und am Aufbau der EDV-Abteilung mitarbeitete. Dipl.-Kfm. Wulf Hammel (32) ist, nach studentischer Mitarbeit am Biofa, seit 1971 bei Henkel. Den beiden Systemnormierern ging es hauptsächlich darum, dem Management, das sich zumeist nicht artikulieren kann, selbst bei wechselnden Fragestellungen eine Methode an die Hand zu geben, die ein kooperatives Verhältnis zwischen der EDV als Dienstleistung und dem Benutzer herstellt.