Ximian und Free Software Foundation überraschen die Community

Eine .NET-Alternative für Linux ist geplant

20.07.2001
MÜNCHEN (ls) - Zwei neue Community-Projekte wollen eine Linux-basierte Alternative von Kernbestandteilen aus Microsofts künftiger .NET-Technologie entwickeln.

Ende letzten Monats hatte Microsoft überraschend angekündigt, .NET-Implementierungen werde es - möglicherweise auf der Basis von Entwicklungen bei Corel - für Free-BSD geben. Am 8. und 9. Juli 2001 konterte die Free-Software-Szene mit viel weitergehenden Projekten.

Auf Anregung und unter Leitung der Firma Ximian, mitbegründet von Miguel de Icaza, dem Leiter des Gnome-Projekts für eine Linux-Benutzeroberfläche, entstand das Community-Projekt "Mono", nach dem spanischen Wort für Affe (www.go-mono.net). Ziel ist es, eine quelloffene Version des .NET-Frameworks für Linux herauszubringen.

Die Open-Source-Realisierung von Microsofts neuer Anwendungsplattform soll einen C#-Compiler, die Common Language Infrastructure (CLI) mit ihrem Runtime-Compiler (CLR) und einen Satz von Bibliotheken mitbringen. Diese sollen es möglich machen, .NET-Applikationen auf Linux-Umgebungen zu programmieren. Umgekehrt könnten zwar nicht heutige Windows-Programme, aber künftige in C# (C Sharp) oder anderen .NET-Sprachen geschriebene Anwendungen auf Linux und Unix-Umgebungen laufen.

Nicht nur weil das Projekt anfangs genötigt sein wird, zu einem großen Teil in der Umgebung des Erzfeindes Microsoft zu arbeiten, war die Open-Source-Community zunächst ziemlich perplex. Für Irritationen sorgte insbesondere eine Äußerung von Icaza, er interessiere sich ausschließlich für erstklassige Technologien und lehne diese nicht ab, nur weil sie von einem proprietären Hersteller wie Microsoft käme.

Icaza fand allerdings sofort Rückendeckung durch Prominente der Bewegung für quelloffene Programme. So begrüßte HPs Linux-Evangelist Bruce Perens, Initiator der Debian-Linux-Distribution, das Vorhaben ebenso wie Tim O#Reilly, der größte Verleger von Open-Source-Fachbüchern. Red Hats Technologiechef Michael Tiemann erklärte: "Es geht nicht darum, eine Technologie zu kopieren. Wir bemühen uns, sicherzustellen, dass die Zukunft der DV nicht im Rahmen eines Monopols Gestalt annimmt."

Einen Tag nach der Mono-Ankündigung gab es quasi den offiziellen Segen: Die Free Software Foundation (FSF) startete das Projekt "Dotgnu", um eine Open-Source-Alternative zu Microsofts .NET-Authentifizierungsmechanismus "Passport" zu entwickeln (http://savannah.gnu.org). Dotgnu soll die zentrale Sammlung von Daten über .NET-Anwender und deren Kunden bei Microsoft unnötig machen. Der FSF-Gründer und kompromisslose Kämpfer für freie Software, Richard Stallman erklärte: "Mit Mono und Dotgnu hoffen wir, gute Alternativen zu Komponenten von .NET vorlegen zu können, die die Freiheit und die Privatsphäre respektieren."

Möglich werden die Open-Source-Alternativen dadurch, dass Microsoft Teile des .NET-Frameworks, darunter die neue Programmiersprache C# und die CLI, beim Standardisierungsgremium ECMA eingereicht hat. Das setzt eine Offenlegung von Schnittstellen und Prozessen voraus, so dass es möglich ist, .NET-Funktionen nachzubilden. Icaza kommentierte: "Microsoft hat es diesmal richtig gemacht. Sie haben eine gute Plattform entworfen und deren Spezifikationen einem Standardisierungsgremium übergeben."

Erste Version Mitte 2002?Es ist jedoch klar, dass Microsoft in Sachen Time to Market immer die Nase vorn haben wird. Icazas kleine Firma Ximian musste schon deswegen die ökonomisch viel versprechende Idee einer Open-Source-Variante von .NET einem Community-Projekt überlassen, weil man nur sechs Mitarbeiter für die Entwicklungsarbeiten abstellen kann. Auf dieser Grundlage ist es nachvollziehbar, dass Icaza explizit keine Open-Source-Varianten von allem vorschwebt, dem Microsoft in diffusen Erklärungen das .NET-Label aufgeklebt hat. Vielmehr möchte man sich auf jene zentralen Komponenten beschränken, die für Interoperabilität und Systemunabhängigkeit von Bedeutung sind.

Entsprechend vorsichtig ist Icaza hinsichtlich des zeitlichen Rahmens von Mono. Zunächst soll - wahrscheinlich bis Ende dieses Jahres - ein C#-Compiler für Linux-Umgebungen entstehen. Zu 30 Prozent soll der Code fertig sein. Dann geht es an die anderen Teile, nämlich die virtuelle Maschine CLR mit ihrem Just-in-Time-Compiler und an eine Class-Library, die mit jeder .NET-Sprache nutzbar sein soll. Icaza: "Ich glaube, wir werden eine Version 1.0 von Mono Mitte nächsten Jahres fertig haben."

Icaza äußert sich sehr zufrieden über erste positive Reaktionen aus dem ECMA-Gremium. Es sei sogar denkbar, dass ein Mitglied der Open-Source-Community im Gremium für die Standardisierung von Programmiersprachen Sitz und Stimme bekomme, um darüber zu wachen, das Microsoft nicht nachträglich einmal eingebrachte Spezifikationen verändert. Denn in einem solchen Fall wäre Mono zu .NET sofort inkompatibel. Icaza kündigte an, er werde sich erstmals direkt mit Microsoft in Verbindung setzen.