Ein Anwendungsbeispiel aus der Radiologie

Ein Anwendungsbeispiel aus der Radiologie Spracherkennung für Arztpraxen und Kliniken jetzt alltagstauglich

05.03.1999
Minikassetten und Diktiergeräte herkömmlicher Art dürften in größeren Praxen und Kliniken schon bald der Vergangenheit angehören. In einer Frankfurter Gemeinschaftspraxis hat sich ein neues Spracherkennungssystem bewährt. Kosteneinsparungen und vor allem die ungestörte Konzentration des Arztes auf die Diagnose sieht der anwendende Arzt, Dr. Alfred Halbsguth , als gravierende Vorteile.

Bisher diktieren Ärzte ihre Krankenberichte und Befunde auf eine Minikassette, heften die Aufnahme an die Patientenakte und geben das Ganze in ihr Schreibbüro. Dieser Vorgang zieht einen erheblichen Arbeits- und Zeitaufwand nach sich, da alles abgetippt und korrigiert werden muß.

Immer mehr Ärzte setzen daher moderne Informationstechnologien ein, um den Zeitdruck zu verringern, aber auch, um kosteneffektiver arbeiten zu können. Sechs Ärtzte einer Gemeinschaftspraxis in der Frankfurter Innenstadt verstehen sich als Vorreiter in Sachen Sprachverarbeitung. Speziell in der Radiologie wird heute völlig auf das Sprachverarbeitungssystem von Philips gesetzt.

Die tagsüber diktierten Berichte sind am Abend bereits auf der Station. Dies kann zum Beispiel die Basis für den Entlassungsbericht sein und damit für das Krankenhaus ein wichtiger kostenreduzierender Faktor. Dabei arbeitet man nicht anders als die Kollegen - man diktiert Diagnosen, Befunde und Berichte.

Der Text ist dank des Fachvokabulars, das im System bereits vorliegt, inhaltlich korrekt und muß lediglich formatiert werden. So läßt sich, aktuellen Messungen zufolge, bis zu 40 Prozent an Aufwand sparen. Die Arbeit wird wesentlich effizienter und, dank der entfallenden manuellen Diktat- und Korrekturschleifen, deutlich schneller.

Und weil sich der Arbeitsablauf des Arztes durch die neue Technologie nicht verändert, bleibt der Kopf dabei völlig frei für die Diagnostik. Die Befunde werden häufig sogar individueller erstellt als bisher, da der Arzt sich ausschließlich auf die Diagnostik konzentrieren kann. Daß bei dieser Art der Sprachverarbeitung, speziell was den Arbeitsablauf angeht, alles beim alten bleiben konnte, war für die Frankfurter Gemeinschaftspraxis ein wichtiges Investitionsargument; ferner, daß der jeweilige Anwender seine natürliche Sprache verwenden kann und keine Pausen mehr zwischen den Wörtern einlegen muß, was zu einer deutlichen Arbeitserleichterung für den Arzt und einer Steigerung der Produktivität führt.

Für die akkurate Umwandlung der gesprochenen Sprache steht ein großes fachlich angepaßtes Vokabular (64000 Wörter im aktiven Lexikon und 400000 Wörter im Hintergrundlexikon) zur Verfügung. Dieses natürliche Spracherkennungssystem ist fähig, jeden Sprecher nach kurzem Systemtraining zu erkennen und auch die gesprochenen Worte und die Syntax mit einer Richtigkeit von 95 bis 98 Prozent zu übernehmen. Ein Vorteil, der speziell in Gemeinschaftspraxen ins Gewicht fällt, wenn dort mehrere Personen auf das System zurückgreifen. Zudem kann jeder in seinem persönlichen Tempo sprechen, zwischen Befehlen und Texten unterscheiden und auch Umgebungsbedingungen wie zum Beispiel Hintergrundgeräusche oder Räuspern herausfiltern.

Insgesamt konnte der Diktatdurchsatz pro Sekretärin um den Faktor zwei bis 2,5 erhöht werden. Das bedeutet eine kolossale Kosten- und Zeitersparnis. Zudem läuft die Spracherkennung im Hintergrund ab, und es können zunächst alle Diktate erledigt werden. Später, wenn dann wieder etwas Zeit ist, lassen sich die notwendigen Korrekturen entweder vom Arzt selbst oder von einer Sekretärin erledigen.

Neben dem ökonomischen kam in jüngster Zeit ein weiterer Aspekt hinzu: Die Anbindung von Außenstellen. In der Praxis gibt es derzeit fünf Arbeitsplätze, dazu kommen je einer in Bad Homburg und im Krankenhaus Höchst. Dort müßte normalerweise auch eine Sekretärin sitzen, für die jedoch weder die Räumlichkeiten noch die finanziellen Mittel zur Verfügung stehen. Die Befunde werden in der Praxis erstellt, sie sind am gleichen Abend in perfekter Form auf der Station. Ohne das System wäre das selbst mit einer Sekretärin nicht machbar.

Seit etwas mehr als anderthalb Jahren arbeitet die Radiologie jetzt mit der Spracherkennung von Philips. In dieser Zeit konnte eine Korrekturrate von unter zehn Prozent erreicht werden. Gerade bei komplizierten Fachtexten liegt die Fehlerquote von Schreibkräften zum Teil deutlich höher. Damit amortisiert sich das System relativ schnell, zumal die Korrekturzeit deutlich unter der früher benötigten Zeit zum Abtippen der Diktate liegt.

Das Fachvokabular existiert zum größten Teil, so daß nur einige Begriffe und spezielle individuelle Aussprachen geübt werden mußten. Daher ist das System während des laufenden Betriebs in rund zwei bis drei Wochen "trainierbar".

Ferner verfügt es aufgrund der Client-Server-Technologie über Sicherheitsfaktoren, wie sie auch sonst für Unternehmensnetzwerke gelten. Dazu gehört der Einsatz gespiegelter Server ebenso wie das Backup auf Streamer-Bänder. Einen Totalausfall kann es deshalb praktisch nicht mehr geben.

In der Gemeinschaftspraxis stehen PCs, aber das System kann sogar mit einem Notebook betrieben werden, was die Arbeitssituation noch flexibler gestaltet. Jeder Arzt kann also mit einem Notebook ausgestattet werden und mit seiner Lizenz arbeiten, wo und wie er mag.

Dr. Alfred Halbsguth ist Radiologe in Frankfurt am Main.