Neue Qualitaets- und Sicherungsnormen

EG: Schlechte SW-Ergonomie verschafft Wettbewerbsnachteile

18.06.1993

Die seit Januar 1993 gueltige neue EG-Richtlinie "Maschinen" stellt an Hersteller neue Anforderungen hinsichtlich Fertigung, Qualitaetssicherung und Haftung fuer ihre Produkte.

Zum Thema Software-Ergonomie beziehen die EG-Richtlinien insofern Stellung, als sie Anforderungen fuer die Schnittstelle Mensch- Maschine definieren. Uebergangsregelungen sind bis zum 31. Dezember 1994 moeglich.

Besonders wichtig sind im Zusammenhang mit Software-Ergonomie zwei EG-Vorschriften: Zum einen die EG-Richtlinien zur Qualitaetssicherung nach ISO 9000 bis ISO 9004, zum anderen die Europa-Norm EN 292 "Sicherheit von Maschinen".

Die EG-Richtlinie Maschinen formuliert grundlegende Gesundheits- und Sicherheitsanforderungen bezueglich Konstruktion und Bau von Maschinen, Geraeten und Anlagen. Dabei wird auch sehr allgemein die Konzeption der Software vorgeschrieben, die fuer den Dialog zwischen dem Bedienungspersonal und dem Steuer- oder Kontrollsystem einer Maschine eingesetzt wird: Die Software sollte nach den Grundsaetzen der Benutzerfreundlichkeit angelegt sein.

Die Bestimmungen, die diese Konzeption betreffen, sind nicht sehr detailliert ausformuliert. Sie enthalten im Prinzip abstrakt gefasste, grundlegende Anforderungen, die von der Software und ihrer Ergonomie erfuellt werden sollten. Soweit es zur Benutzerfreundlichkeit keine europaeischen Normen gibt, gelten nach wie vor die entsprechenden deutschen Richtlinien und technischen Spezifikationen, deren Vorgaben das Bundesministerium fuer Arbeit und Sozialordnung festsetzt.

Sie beruhen auf dem derzeitigen Kenntnisstand hinsichtlich einer dem Menschen angepassten Softwaregestaltung. Das heisst zum Beispiel: Software sollte den Anwender bei der Erledigung einer Aufgabe unterstuetzen und nicht durch ihre komplizierte Handhabung behindern. Darueber hinaus sollte sie dem Anwender im interaktiven Dialog Einsatzzweck und Leistungsumfang des Programms und einzelner Arbeitsschritte selbst erklaeren. Schliesslich gehoert nach den Normen auch eine Bedienungsanleitung dazu, die dem User alle fuer ihn notwendigen Informationen liefert.

Die EG-Richtlinien verstehen unter dem Begriff Ergonomie nach dem ISO-9000-Standard die menschengerechte Gestaltung einer Arbeit. Software-Ergonomie ist demzufolge die menschengerechte Gestaltung einer Mensch-Computer-Schnittstelle: Die Computersysteme sollten sich an den Beduerfnissen der Anwender orientieren. Dadurch will man eine hohe Akzeptanz beim Anwender erzielen - die Voraussetzung fuer gute Arbeitsergebnisse.

Aehnliche Anforderungen werden von den EG-Richtlinien an die Steuerbarkeit eines Computerprogrammes gestellt. Der Anwender sollte es weitgehend selbst beeinflussen koennen; nur so ist gewaehrleistet, dass er sicher und ohne Angst damit umgeht. Die EG- Norm sieht darum auch vor, dass der Benutzer bei einer ergonomisch ausgerichteten Software die Geschwindigkeit des interaktiven Dialogs an seine individuelle Arbeitsgeschwindigkeit anpassen kann. Dieses Dialogverhalten sollte innerhalb eines Systems einheitlich gestaltet sein.

In Hinblick auf die ergonomische Gestaltung von Software gilt es darueber hinaus, die Europa-Norm EN 292 "Sicherheit von Maschinen" zu beruecksichtigen. Sie erlaeutert technische Leitsaetze, um Konstrukteuren und Herstellern eine sicherheitsgerechte Maschinenkonstruktion fuer gewerbliche und private Zwecke zu erleichtern. Auch darin wird die Beachtung ergonomischer Grundsaetze gefordert, da diese zu groesserer Sicherheit beitragen, weil sie die Belastung des Anwenders reduzieren. Alle Elemente an der Schnittstelle zwischen Operator und Maschine - etwa Signal- oder Datenanzeigeelemente - muessen so konstruiert werden, dass eine klare und eindeutige Wechselwirkung zwischen Operator und Maschine moeglich ist. Software soll also - und damit wiederholen sich die Forderungen - selbsterklaerend und klar strukturiert sein.

Ebenso enthaelt die EG-Norm Richtlinien fuer die Anwendung von Sicherheitsgrundsaetzen bei der Konstruktion von Steuersystemen, also von Softwareprogrammen. So wird fuer elektronische Steuerungssysteme eine eindeutige Fehleranzeige gefordert. Sicherheitskritische Bauteile muessen beispielsweise jeweils doppelt installiert werden. Werden elektronische oder optische Speicher eingesetzt, fordern die Richtlinien den Einbau von Sicherheitsmassnahmen, die eine zufaellige oder willkuerliche Aenderung des gespeicherten Programms verhindern. Wo immer moeglich, sollten ausserdem Diagnosesysteme die Fehlersuche erleichtern.

Fuer die Erstellung von Bedienungsanleitungen erheben die EG- Richtlinien ebenfalls detaillierte Forderungen. Grundsaetzlich muss die Dokumentation vollstaendig sein und beispielsweise auch Beschreibungen von Gefahrenloesungen und Massnahmen zur Qualitaetskontrolle enthalten. Auch eine einwandfreie und allgemeinverstaendliche Betriebsanleitung des Geraetes oder der Maschine gehoert zur Dokumentation. Die Betriebsanleitung muss dabei in der Sprache des jeweiligen Verwendungslandes abgefasst sein sowie in einer weiteren EG-Sprache, vorzugsweise in der des Herstellerlandes.

Um die Risiken der Produkthaftung zu begrenzen, wird auch eine Analyse des Werbematerials sowie der Anweisungen und Warnhinweise fuer den Benutzer gefordert, um falsche Auslegungen auf ein Minimum zu reduzieren. Darueber hinaus sollte die gesamte Dokumentation lesbar, einschliesslich der Revisionsdaten datiert und leicht identifizierbar sein. Die Unterlagen selbst koennen dabei in Papierform oder auf einem Datentraeger gespeichert werden.

Auch den wachsenden Anforderungen in bezug auf Produktqualitaet und Produktsicherheit traegt die EG im Rahmen des Qualitaetssicherungs-Systems nach ISO 9000 bis 9004 Rechnung und hat spezielle Regelungen fuer Software geschaffen. Diese sind in ISO 9000, Teil 3: "Leitfaden fuer die Anwendung von ISO 9001 auf die Entwicklung, Lieferung und Wartung von Software" zusammengefasst. Danach muessen die Qualitaetsziele eindeutig formuliert sein, damit sie fuer alle Beteiligten - auch fuer die Anwender - verstaendlich sind. Sie sollten sich weniger am technisch Machbaren als an den tatsaechlichen Beduerfnissen orientieren.

Die EG-Richtlinien tragen sicherlich dazu bei, ein neues Verstaendnis fuer Qualitaetssicherung, Produktqualitaet und Benutzerfreundlichkeit in der Praxis durchzusetzen und den rechtlichen Rahmen dafuer europaweit zu definieren. Der Grundgedanke einer ergonomischen Mensch-Maschine-Schnittstelle, die dem Menschen den Umgang mit der Technik erleichtern soll, ist hierfuer sicherlich der richtige Ansatzpunkt. Fuer Softwarehersteller gilt, dass sie sich mit den EG-Richtlinien und - Normen vertraut machen muessen und sie bei der Entwicklung ihrer Produkte beruecksichtigen sollten, damit ihnen keine Wettbewerbsnachteile in der Europaeischen Gemeinschaft entstehen.

*Peter Eiblmayr leitet ein Ingenieurbuero in Kirchheim bei Muenchen, das sich mit Verlagsberatung und technischer Dokumentation beschaeftigt.

Auf einen Blick: Die neuen Normen

Die Normen der ISO-9000-Serie sind international gueltige Vereinbarungen fuer den Bereich des Qualitaets-Managements und der Qualitaetssicherung. Die europaeische Normreihe EN 29000 und die deutsche DIN ISO 9000 sind dabei inhaltsgleich. Nachstehend die Themen der Normen auf einen Blick.

9000: Qualitaets-Management- und Qualitaetssicherungs-Normen; Leitfaden zur Auswahl und Anwendung.

9000, Teil 3: Qualitaets-Management- und Qualitaetssicherungs- Normen; Leitfaden fuer die Anwendung von ISO 9001 auf die Entwicklung, Lieferung und Wartung von Software.

9001: Qualitaetssicherungs-Systeme; Modell zur Darlegung der Qualitaetssicherung in Design und Entwicklung, Produktion, Montage und Kundendienst.

9002: Qualitaetssicherungs-Systeme; Modell zur Darlegung der Qualitaetssicherung in Produktion und Montage.

9003: Qualitaetssicherungs-Systeme; Modell zur Darlegung der Qualitaetssicherung bei der Endpruefung.

9004: Qualitaets-Management und Elemente eines Qualitaets- Sicherungssystems; Leitfaden.

9004, Teil 2: Qualitaets-Management und Elemente eines Qualitaets- Sicherungssystems; Leitfaden fuer Dienstleistungen.

Wie sollte eine Dokumentation aussehen?

Die EG-Richtlinien weisen genau aus, wie eine ausfuehrliche Dokumentation auszusehen hat. Eine Dokumentation muss nicht alle konstruktiven, sondern lediglich die sicherheitsrelevanten Details enthalten:

- Gesamtplan der Maschine sowie die Steuerkreisplaene.

- Pruefplaene, -protokolle und -ergebnisse der Kontrolle der Uebereinstimmung der Maschine mit den Sicherheitsstandards.

- Liste der Normen, Spezifikationen etc., die bei der Konstruktion der Maschine beruecksichtigt wurden. Berichte ueber Ergebnisse von Pruefungen, wenn solche in der Norm vorgeschrieben sind.

- Beschreibungen von Loesungen, die zur Verhuetung der von der Maschine ausgehenden Gefahren gewaehlt wurden.

- Beschreibung der Massnahmen zur Qualitaetskontrolle bei Serienfertigung sowie

- Betriebsanleitung der Maschine.