ECM-Strategie statt Datenstückwerk

13.09.2006
Die Unternehmen drohen an der Masse ihrer Daten zu ersticken. Gründe: die zunehmende E-Mail-Flut und digitaler Datenaustausch sowie die vermehrte elektronische Erfassung von Dokumenten. All das führt dazu, dass immer mehr Informationen in den IT-Systemen verarbeitet, kategorisiert, gespeichert und archiviert werden müssen. Klassische Dokumenten-Management-Systeme (DMS) stoßen dabei an ihre Grenzen. Statt DMS-Lösungen für einzelne Teilbereiche sind in den Unternehmen heute umfassende ECM (Enterprise Content Management)-Strategien gefragt.

Die effiziente Verarbeitung, Verwaltung und Speicherung von Informationen wird für Unternehmen zur Schlüsseltechnologie. Der Druck, sich mit unternehmensweiten Strategien für das Dokumenten-Management zu beschäftigen, kommt aus unterschiedlichen Richtungen: Auf der einen Seite sehen die Unternehmen ein erhebliches Potenzial für Kostenreduzierungen und Effizienzsteigerungen, wenn sie papierbasierte Abläufe durch elektronische Prozesse ersetzen. Auf der anderen Seite sind es neue Rechtsvorschriften wie Basel II, der Sarbanes Oxley Act und die Grundsätze zum Datenzugriff und zur Prüfbarkeit digitaler Unterlagen (GDPdU), die den Verantwortlichen zu schaffen machen. Die GDPdU regelt Anforderungen zur Prüfung elektronischer Unterlagen im Rahmen von Außenprüfungen der Finanzbehörden. Danach muss etwa der Originalzustand des übermittelten und gegebenenfalls verschlüsselten Dokuments jederzeit nachprüfbar sein.

Anke Hoffmann, Analystin bei der Experton Group
Anke Hoffmann, Analystin bei der Experton Group

„ECM-Systemen kommt in den Unternehmen inzwischen ein ähnlich hoher Stellenwert zu, wie der eines funktionierenden ERP-Systems. Der Aufbau einer ECM-Architektur ist allerdings auch ähnlich komplex und aufwendig wie der eines ERP-Systems“, sagt Anke Hoffmann, Analystin bei der Experton Group. Die Expertin hat vergangenen April eine Kurzbefragung von ECM-Anwendern durchgeführt und arbeitet zurzeit an einer groß angelegten Anwenderbefragung zu Dokumenten-Management, Workflow, Records-Management und Collaboration. „Unternehmen sehen zunehmend die Notwendigkeit, professionelles Wissens- und Informations-Management einzurichten. Ohne die dafür notwendigen Technologien und Werkzeuge wie Enterprise Content Management (ECM) lässt sich die heutige Informationsflut allerdings kaum noch bewältigen“, resümiert Hoffmann.

ECM Kurzumfrage 04/2006 Experton Group
ECM Kurzumfrage 04/2006 Experton Group

Aber das Angebot an Herstellern und Technologien ist selbst für Fachleute kaum noch überschaubar: Von Spezialisten für Workflow, Business Process Management, Langzeitarchivierung oder digitale Signatur über Web-Content- und Records-Management-Systeme bis zu Herstellern von Storage-Hardware und kompletter ECM-Suiten drängen Anbieter unterschiedlichster Provenienz in den lukrativen Markt.

Unstrukturierte Datenmassen

Als Oberbegriff haben sich ECM (Enterprise Content Management) und DRT (Document Related Technologies) etabliert. Sie fassen all jene Technologien zusammen, die der Erfassung, Verwaltung, Verteilung und Archivierung von digitalen Informationen dienen. Nach der Definition der internationalen Dachorganisation der ECM-Anbieter decken diese fünf Funktionsbereiche ab: Erfassung (Capture), Verwaltung (Manage), Speicherung (Store), Ausgabe (Deliver) und Bewahrung (Preserve).

In dem Bestreben, ihr Angebot zu komplettieren, sind die großen Anbieter ständig dabei, ihre Suiten mit zusätzlichen Funktionen zu erweitern. Manche vertrauen dabei auf Eigenentwicklungen, andere setzen auf Akquisitionen. Die Anforderungen an die Systeme steigen ständig: Während die Unternehmensdaten früher fast ausschließlich in strukturierter Form vorlagen und sich deshalb relativ einfach in Datenbanksystemen ablegen ließen, müssen umfassende ECM-Lösungen heute die zunehmende Flut unstrukturierter Daten verarbeiten.Nach seriösen Schätzungen liegen heute nur noch rund 20 Prozent der Unternehmensdaten strukturiert in Datenbanken vor, 80 Prozent sind unstrukturierte Daten wie E-Mails,Textdateien, PDFs und Mutimediadateien.

Die Implementierung einer umfassenden ECM-Lösung ist schon deshalb so komplex, weil sie nicht eigenständig neben der etablierten IT-Welt betrieben werden kann, sondern in die unterschiedlichsten IT-Systeme eingreift oder über Schnittstellen mit diesen verbunden werden muss: von ERP-, CRM- und BI-Systemen über Content-Management-Scan- und Archivierungslösungen bis zu intelligenten Speicherlösungen mit ILM (Information Lfecycle Management).

Produktivitätsgewinn mit DMS

Reine DM-Systeme wie etwa Posteingangs- oder Rechnungsbearbeitung sind oft äußerst effektiv und tragen erheblich zu Kosteneinsparungen und Produktivitätssteigerung bei. Dennoch bilden sie nur einen Teilbereich einer umfassenden ECM-Strategie. Die eigentlichen Spezialisten aus dem DM-Umfeld bekommen Konkurrenz aus unterschiedlichen Richtungen. Die großen Infrastrukturanbieter wie Oracle und Microsoft drängen ebenso in das ECM-Geschäft wie Speicherhersteller mit intelligenten Storage- und Archivlösungen wie etwa EMC, Fujitsu-Siemens und Hitachi. Hinzu kommen Anbieter von Web Content Management-Systemen (WCM), die ihre Lösungen zu Suiten ausbauen; und auch ERP-Anbieter integrieren zunehmend ECM-Funktionen in ihre Systeme. Mit dem Einzug von Multifunktionsgeräten mit Scan- und Druckfunktion sind es sogar klassische Druckerhersteller wie HP, Kyocera und Brother, die unter der Bezeichnung Output Management gleich ECM-Komponenten zu den Geräten mitliefern.

Kyle McNabb, Analyst bei Forrester Research
Kyle McNabb, Analyst bei Forrester Research

„Die besten Marktchancen dürften Unternehmen haben, die eine komplette ECM-Suite anbieten“, sagt Kyle McNabb, Analyst bei Forrester Research. Denn wenn es um die Frage Best-of-Breed oder integrierte Gesamtlösung geht, sind sich die Verantwortlichen meist einig: Sie vermeiden den Aufwand und die Komplexität, die sich aus der Integration von Komponenten unterschiedlicher Hersteller ergeben. „Unternehmen streben eine einheitliche Plattform für alle Informationen an, die es ihnen ermöglicht, Redundanzen zu verringern und Prozesse zu optimieren“, sagt Analystin Hoffmann. Neben den großen Suiten wird es eng im Markt: Zum einen werden sich Anbieter behaupten, die sich in so speziellen Nischen bewegen, dass sie für die Großen nicht lukrativ genug sind. Zum anderen können regionale Anbieter mit ihrer Nähe zum Kunden, schnelleren Reaktionszeiten und bedarfsgerechten Anpassungen besonders für den Mittelstand eine attraktive Alternative bieten. Und auch Hersteller mit Branchenausrichtung dürften gute Chancen haben, wenn die spezifischen Branchenanforderungen so speziell sind, dass die generalistisch angelegten Suiten der Marktführer sie nicht abdecken.

ECM Suiten 09/2005, Forrester Research
ECM Suiten 09/2005, Forrester Research

Die Unternehmen haben die Bedeutung einer umfassenden ECM-Strategie erkannt: In der Experton-Umfrage gaben 48 Prozent an, bereits eine ECM-Strategie umgesetzt zu haben, nur 3 Prozent der Unternehmen zeigten überhaupt kein Interesse an dem Thema. Insgesamt haben 81 Prozent der Studienteilnehmer eine Optimierung ihrer ECM-Systeme und Prozesse ins Auge gefasst. „Viele Unternehmen, mit denen wir sprechen, zeigen ein deutliches Engagement für ECM-Lösungen“, sagt Hoffmann, „deshalb rechnen wir in diesem Jahr mit einem Marktwachstum zwischen acht und zehn Prozent.“