Finanzdienstleister noch in der Orientierungsphase

E-CRM-Projekte setzen langen Atem voraus

29.06.2001
MÜNCHEN (CW) - Mit der zunehmenden Bedeutung digitaler Medien im Geschäftsverkehr entwickelt sich das elektronische Customer-Relationship-Management (E-CRM) zum strategischen Thema für Unternehmen. Das IT-Beratungshaus Plenum hat sich am Beispiel der Finanzdienstleistungsbranche mit den technischen Voraussetzungen für eine E-CRM-Einführung auseinander gesetzt.

Wie in vielen Branchen hat das Internet als zentrale E-Business-Plattform auch im Markt für Finanzdienstleister die Wettbewerbssituation verschärft. Einen neuen Wertschöpfungs- und Differenzierungsfaktor, der nicht nur die E-Business-Strategien der Banken- und Versicherungsbranche in den nächsten Jahren bestimmen wird, sieht der Wiesbadener IT-Dienstleister Plenum in der Gestaltung einer interaktiven Kundenkommunikation übers Web.

Das klassische CRM, das sich in den vergangenen Jahren als Unterstützung für Auf- und Ausbau von Kundenbeziehungen etabliert hat, stößt hinsichtlich der durch das Internet erweiterten Zugangskanäle jedoch an seine Grenzen. So lässt sich eine personalisierte Interaktion mit dem Kunden durch die herkömmlichen Systeme nicht über die elektronischen Vertriebskanäle abbilden.

Voraussetzung für eine dahingehende Evolution im Kundenbeziehungs-Management ist nach Ansicht von Plenum die Einbindung digitaler Medien in bestehende CRM-Konzepte. Dabei beschreibt der Begriff "E-CRM" nach Auffassung des Beratungshauses weder die bloße elektronische Abbildung herkömmlicher Prozesse noch allein die Browser-Fähigkeit bestehender CRM-Anwendungen. Für den IT-Dienstleister stellt das elektronische CRM - als Erweiterung der klassischen Vertriebskanäle - die Verknüpfung individualisierter und automatisierter Kundeninteraktion mit den herkömmlichen Konzepten zur Kundendatenauswertung oder Ableitung gezielter Aktionen für Marketing, Vertrieb und Service dar. Im Rahmen einer Studie haben sich die Wiesbadener mit den Planungsanforderungen und Entwicklungsperspektiven für das elektronische Kundenbeziehungs-Management auseinander gesetzt.

Eine ausgeprägte E-CRM-Architektur umfasst die Content-Personalisierung, Tools für E-Mail-Management, das Online-Kampagnen-Management sowie zusätzliche Systeme, die die Geschäftslogik abbilden - etwa den virtuellen Berater. Entscheidend für die jeweilige Ausprägung ist, dass bereits in der E-CRM-Konzeption Datenströme und Schnittstellen zwischen den unterschiedlichen Komponenten sowie offene Architekturstandards definiert werden, um die Zukunftsfähigkeit der neuen Struktur zu gewährleisten.

Allerdings lässt sich eine umfassende E-CRM-Architektur nicht von heute auf morgen einführen. Als erste wichtige Schritte in Richtung elektronisches Kundenbeziehungs-Management nennt Plenum die Sicherstellung einheitlicher Datenbestände sowie die Implementierung von Personalisierungs- und Content-Management-Systemen. Dabei ist eine unternehmensspezifische E-CRM-Strategie nach Ansicht des Beraters für den Erfolg der neuen Architektur entscheidend.

Technische VoraussetzungenBei der technischen Konzeptionierung des E-CRM sind laut Plenum eine ganze Reihe von Eigenschaften der IT-Architektur hinsichtlich der aktuellen oder künftigen Ausprägung des elektronischen Kundenbeziehungs-Managements zu berücksichtigen. Dazu gehören die unternehmensweite Datenintegration, die einheitliche Unternehmenspräsentation über alle Kanäle hinweg mittels Verknüpfung von Online- und Offline-Medien sowie eine inhaltliche Koppelung von Front- und Backend über fachliche Middleware. Letztere bildet in der Internet-Architektur die Geschäftslogik ab und stellt somit einen wesentlichen Bestandteil des inhaltlichen E-CRM-Konzepts dar. Eine ebenso entscheidende Rolle spielt die Sicherstellung der Web-Fähigkeit des Geschäfts über technische Middleware. Diese steuert die Zugriffe der E-CRM-Logik auf andere Systeme und Datenbanken. Das Straight-Through-Processing, sprich: eine durchgängige Abwicklung der Geschäftsvorfälle, gewährt wiederum die weitgehende Automatisierung des Geschäfts mit dem Kunden. Als relevante Merkmale nennt Plenum außerdem die Geschäftsabwicklung rund um die Uhr, den Einsatz flexibler, offener Architekturen im Sinne einer Langzeitsicherung getätigter IT-Investitionen sowie die Unterstützung neuer Standards. Letztere soll die Integrationsfähigkeit mit künftigen Komponenten sicherstellen.

Nicht in jedem Fall müssen alle der genannten Eigenschaften erfüllt sein. Vielmehr rät der Wiesbadener IT-Dienstleister im Vorfeld festzulegen, wie die einzelnen Funktionalitäten und Fähigkeiten zu priorisieren sind. Zu berücksichtigen sind dabei sowohl bestehende Architekturmerkmale als auch die fachliche Zielsetzung des jeweiligen E-CRM-Vorhabens.

Noch in den KinderschuhenDie Finanzdienstleistungsbranche steckt hinsichtlich der für ein umfassendes E-CRM relevanten Voraussetzungen jedoch offensichtlich noch in den Kinderschuhen. So sind dort erst wenige der beschriebenen Merkmale Realität. Die Rund-um-die-Uhr-Verfügbarkeit hat mit 58 Prozent die Nase vorn, gefolgt von der Standardunterstützung mit 46 Prozent und dem Einsatz technischer Middleware (42 Prozent). Das Straight-Through-Processing ohne Medienbrüche hingegen erfüllen lediglich zwölf Prozent der Studienteilnehmer. Ebenfalls wenig verbreitet sind Eigenschaften wie die einheitliche Unternehmenspräsentation (23 Prozent) sowie die umfassende Datenintegration (27 Prozent).

Welche Komplexität der Aufbau einer E-CRM-Architektur birgt, zeigt sich bereits bei der Präsentation der Web-Inhalte. Zu der Vielzahl der in der Finanzbranche eingesetzten Anwendungen und Darstellungsformen für die Gestaltung des Frontends zählt das Portable Document Format (PDF), das 80 Prozent der befragten Finanzdienstleister etwa zur Bereitstellung von Informationsbroschüren oder Vertragsanträgen im Netz verwenden. 79 Prozent der Studienteilnehmer nutzen Interaktionsmöglichkeiten über Java Script, weitere 63 Prozent setzen hierzu Java-Anwendungen ein. In künftigen Interaktionsszenarien werden nach Einschätzung von Plenum auch Servlets beziehungsweise Java Server Pages (JSPs) eine Rolle spielen, die zum Aufbau dynamischer Websites dienen können. Beliebt als kundenbindendes Element sind Flash-Animationen, die 35 Prozent der Finanzinstitute einsetzen. Anwendungen wie Audio- und Video-Files werden - vor allem aufgrund unzureichender Bandbreiten - noch nicht häufig verwendet, dürften nach Ansicht von Plenum als Unterstützung komplexer Produkte (etwa multimedialer Themenparks für "Investor-Education") nicht zuletzt als Differenzierungsfaktor im Wettbewerb aber an Bedeutung gewinnen.

Unabhängig von der Auswahl der Technologien legt der IT-Berater E-CRM-willigen Unternehmen eine stets strukturierte, auf den einzelnen Kunden zugeschnittene Präsentation ihres Web-Auftritts ans Herz, um die interaktive Kommunikation übers Internet anzuregen.

Der Application-Server, der die Kommunikation der Frontend-Komponenten mit der fachlichen Geschäftslogik steuert sowie als Integrationsschicht für die Anbindung von Backend-Systemen und Datenbanken fungiert, bietet sich in der E-CRM-Architektur als mögliche Integrationsplattform für die einzelnen Komponenten an. In einem solchen Szenario lassen sich Server-Basisdienste wie Benutzerverwaltung und -identifizierung, Sicherheitskonzept und Load Balancing für die Gesamtarchitektur nutzen. Als Bestandteil der E-CRM-Architektur kann der Application-Server den Zugriff auf Kunden- beziehungsweise Profildatenbanken steuern und fachspezifische Geschäftssysteme für die Online-Unterstützung - etwa von Produktkonfiguration, Vertragsabschluss oder Statusinformationen - integrieren. Zudem lassen sich über diese Plattform individuelle Websites dynamisch zur Laufzeit gestalten.

Zwei Server-AusrichtungenHinsichtlich ihrer grundsätzlichen Funktionsausrichtung unterteilt Plenum die Application-Server in "funktionalitäts"- beziehungsweise "anwendungsorientierte" Produkte. Zur ersten Kategorie zählen die Wiesbadener die Angebote von Brokat, Data Design oder Netlife, die auf definierten Geschäftsvorfällen - etwa einer Überweisung oder Wertpapiertransaktion - basieren und im Finanzmarkt bevorzugt im transaktionsorientierten Bankgeschäft eingesetzt werden. So arbeiten 44 Prozent der befragten Unternehmen mit Brokats "Twister". Hinsichtlich seiner Eignung als E-CRM-Plattform hält Plenum diesen allerdings mit der Funktionalität so genannter anwendungsorientierter Server, beispielsweise von Bea, IBM oder I-Planet, für nicht vergleichbar. Diese unterstützen Java-basierte Programme (Enterprise Javabeans) und geben aufgrund ihrer J2EE-Unterstützung den Standard für offene E-Business-Plattformen vor.

Die in der Regel hoch skalierbaren Server eignen sich laut Plenum für Szenarien wie E-CRM, in denen es komplexe Anwendungen miteinander zu integrieren gilt. Auf dem Finanzmarkt gibt diesbezüglich IBMs "Websphere" den Ton an. Vor dem Hintergrund steigender E-CRM-Aktivitäten prognostiziert der IT-Berater diesem Segment ein gesundes Wachstum.

Während laut Plenum-Untersuchung manche Finanzinstitute gleich mehrere Application-Server einsetzen, verzichten bislang immerhin 18 Prozent der Studienteilnehmer ganz darauf und realisieren Anwendungen und Datenbankanbindungen - eher umständlich - über proprietäre Lösungen. Zwar lassen sich auch E-CRM-Szenarien komponentenweise ohne Applikations-Server umsetzen. Strukturen auf Basis eines Application-Server sind nach Angaben des IT-Dienstleisters jedoch einfacher zu realisieren und bieten aufgrund ihrer offenen Standards auch größere Zukunftssicherheit.

Wichtige Kriterien für die Auswahl eines E-CRM-Systems stellen nach Angaben von Plenum dessen Bedienungsfreundlichkeit und Funktionalität dar. Der Datenintegrationsaufwand sowie die Integrierbarkeit mit dem Application-Server sind ebenfalls wesentliche Entscheidungsmerkmale. Zudem tendieren die Wiesbadener zu komponentenbasierten Lösungen anstelle von Komplettpaketen: So verspricht der "Best-of-Breed-Ansatz" nach Ansicht von Plenum eine auf künftige Anforderungen besser ausgerichtete und flexiblere Gesamtarchitektur. Der damit verbundene, etwas größere Integrationsaufwand wird durch die üblicherweise höheren Lizenzkosten der Komplettlösungen aufgewogen. Zudem sollen Letztere beim Customizing häufig an ihre Grenzen stoßen, so dass sich inhaltliche Anforderungen unter Umständen nicht vollständig umsetzen lassen. Ein weiteres, wichtiges Auswahlkriterium stellt die Unterstützung der jüngsten Spezifikation von J2EE dar.

Zusatzfunktionen sind StandardE-CRM-Logik wird heute typischerweise mit anderen Funktionalitäten wie Application-Server-Diensten, Content-Management-Systemen oder Data Mining verknüpft. Marktführer Broadvision, erklärte Nummer eins bei der Hälfte der befragten Finanzinstitute, bietet beispielsweise eine integrierte Suite aus Web-Content-Management, Personalisierungs-Engine sowie Application-Server an. Weitere im Finanzmarkt bevorzugte Anbieter - mit unterschiedlichem funktionalem Fokus - sind Vignette, Microstrategy, Epiphany und ATG.

Den Studienergebnissen zufolge erlaubt heute allein die aktuelle Datensituation bei den Finanzdienstleistern in den wenigsten Fällen ein effektives, umfassendes E-CRM. So verfügen derzeit nur 33 Prozent der befragten Institute über eine umfassende Kundendatenbank. Darüber hinaus liegen durchschnittlich 30 Prozent der zur Verfügung stehenden Kundendaten brach und werden in den Geschäftsabläufen nicht genutzt. Auch mit der Aufnahme und Nutzung kundenrelevanter Informationen über elektronische Medien sieht es beim Gros der Befragten noch bescheiden aus. Entsprechend wenige E-CRM-Module befinden sich derzeit bei den Finanzdienstleistern im Einsatz.

Einstieg über NischenErste E-CRM-Lösungen werden sich nach Einschätzung von Plenum zunächst auf ein sehr begrenztes Anwendungsfeld beschränken und vorwiegend in Bereichen realisiert, in denen schon wenige Daten Nutzen generieren können. Das ist bei der Neukundenakquise über das Internet der Fall, die Plenum aus diesem Grund als geeigneten Einstieg in das E-CRM ansieht. Komplexe Tools etwa zur Personalisierung des Web-Auftritts sind in der Finanzbranche derzeit noch wenig ausgeprägt. So bieten lediglich zehn Prozent der Finanzinstitute einen personalisierbaren Internet-Auftritt, 23 Prozent sind momentan mit dem Aufbau beschäftigt, weitere 47 Prozent haben sich die Implementierung dieser E-CRM-Komponente ganz oben auf die To-do-Liste geschrieben. Laut Umfrage soll der Anteil an Ausgaben für E-CRM-Projekte am Gesamt-IT-Budget im Schnitt um knapp 270 Prozent steigen.

Zur StudieDie E-CRM-Studie "Perspektiven des Kundenbeziehungs-Managements über elektronische Medien" fasst Erkenntnisse aus dem deutschsprachigen Finanzdienstleistungsmarkt zusammen und lässt sich für 950 Euro unter plenum.de beziehen. Befragt wurden 260 Finanzdienstleister im Privatkundengeschäft bezüglich des Entwicklungsstandes von E-CRM. Es beteiligten sich zu 50 Prozent Banken, 28 Prozent Versicherungen, 14 Prozent Online-Anbieter und acht Prozent Fondsgesellschaften.

Abb: Straight-through-Processing

Möglicher Funktionsumfang einer E-CRM-Architektur. Quelle: Plenum