DV: Von der Handwerkerzur Gestalter-Mentalität

03.06.1988

Dr. Helmut Fritzsche

Stellvertretender Leiter des Zentralboreichs Informatik und Kommunikationswesen, Wacker-Chemie GmbH, München

In den letzten Jahren ist in vielen Aufsätzen, Vorträgen und Diskussionen zur Rolle des DV-Leiters und seiner Einordnung in die Unternehmenshierarchie Stellung bezogen worden. Die meisten Autoren sind sich in der Forderung einig, daß der Leiter des Informations-Bereiches im Top-Management anzusiedeln ist, da die Information eine Unternehmensressource ist und durch das effektive Managen der Information ein strategischer Wettbewerbsvorteil erzielt werden kann. In einigen Branchen, wie beispielsweise den Versicherungen, ist diese Forderung heute bereits Realität geworden; jedoch ist dies die Ausnahme, denn in den meisten Branchen wird die Bedeutung der Datenverarbeitung für das Unternehmen nach wie vor geringer als die der meisten klassischen Ressorts eingestuft.

Es gibt auch sicher große Unterschiede in der Aufgeschlossenheit des Top-Managements gegenüber der Informationsverarbeitung. Es gibt aber nach meinen Beobachtungen außer diesen beiden - vom DV-Leiter wenig beeinflußbaren Faktoren - eine Reihe von weiteren Gründen dafür, daß der Stellenwert der Informationsverarbeitung häufig so niedrig ist, die - vielleicht weil sie viel unbequemer sind - in diesem Zusammenhang selten oder gar nicht diskutiert werden.

Der Anspruch, die elektronische Informationsverarbeitung zur Bereitstellung von Führungs- und Steuerungsinformationen für das Management oder sogar als strategische Wettbewerbswaffe einsetzen zu wollen, erscheint vor dem Hintergrund dessen, was in den meisten DV-Abteilungen im Augenblick betrieben wird, als glattes Wunschdenken. Die Voraussetzung hierzu wäre nämlich, daß von einem beachtlichen Teil der in der Entwicklung von Anwendungssystemen beschäftigen Mitarbeiter alte, DV-technisch orientierte Denkweisen aufgegeben werden müßten, zugunsten einer viel offensiveren, an betrieblichen Zielen und organisatorischen Zusammenhängen orientierten Denkweise.

Die konzeptionelle, organisatorische Kompetenz in den Anwendungsentwicklungs-Abteilungen ist zwar gegenüber von vor zehn Jahren klar gestiegen, jedoch hat sie mit Sicherheit nicht Schritt gehalten mit der Entwicklung bei den Software-Werkzeugen. Während früher die handwerkliche Arbeit des Programmierens einen Großteil des Gesamtaufwandes ausmachte, ist durch stark verbesserte Software-Werkzeuge.

Wozu sind die entstandenen Freiräume von den DV-Abteilungen aber hauptsächlich verwendet worden? Leider nicht dazu, um den handwerklichen Aufwand zugunsten des organisatorischen und konzeptionellen zu reduzieren. Fälschlicherweise wird noch zu oft angenommen, daß sich durch die Verfügbarkeit einer leistungsfähigeren Software gleichzeitig die organisatorischen Probleme reduzieren. Das Gegenteil ist der Fall: Je mächtiger ein Software-Werkzeug, desto höher ist der vorab zu erbringende organisatorische Aufwand, um dieses Werkzeug wirtschaftlich zu nutzen. Die Mehrzahl der DV-Entwickler hingegen empfindet es immer noch als weniger produktiv, mühsam organisatorische Konzepte mit dem hierzu erforderlichen, meist noch mühsameren Abstimmungsprozeß zu erarbeiten, als die Ärmel hochzukrempeln und Programm-Code zu erzeugen. Die kritische Frage nach dem Beitrag, den diese Arbeit zum Unternehmensergebnis liefert, wird in den Anwendungsentwicklungs-Abteilungen immer noch viel zu selten gestellt. Hierdurch wird offenbar, wie weit der Anspruch des strategischen Informationsmanagements und der DV-Alltag im Augenblick auseinanderklaffen.

Der DV-Anwendungsentwickler hat in den Augen der meisten Mitarbeiter seiner Firma (natürlich außer in den Augen der DV-Mitarbeiter selbst) den Status eines gut ausgebildeten, teuren Mechanikers oder auch Fahrers im betrieblichen Fuhrpark. Es wird zwar inzwischen weitgehend eingesehen, daß ohne die Datenverarbeitung nichts mehr im Unternehmen läuft; wo da jedoch irgendeine strategische Komponente verborgen sein soll, ist den meisten Nicht-DV-Mitarbeitern in der Firma unergründlich.

Diese Einschätzung des Stellenwerts der DV liegt an deren ausgeprägtem Image als Dienstleistungserbringerin. Es steht außer Frage, daß die DV-Abteilungen einen Dienstleistungsauftrag haben, der darin besteht, benötigte Informationen kostengünstig und zeitgerecht zur Verfügung zu stellen. Um diese Dienstleistungen aber auf Dauer effizient wahrnehmen zu können, muß neben die Dienstleistungsfunktion eine gestalterische, organisatorische Funktion treten, wie dies im übrigen bei jeder Dienstleistungsabteilung der Fall ist. Leider hat sich aber der Dienstleistungsgedanke für DV-Leistungen im Laufe der Jahre in eine Richtung entwikkelt, die für traditionelle Dienstleistungsabteilungen, wie das Rechnungswesen, heute undenkbar wäre. Zwar gehört die Leistungserbringung "auf Zuruf" auch in der Datenverarbeitung weitgehend der Vergangenheit an. Jedoch hat sich an der Grundhaltung wenig geändert, nämlich daß die "mündige Fachabteilung" dem DV-Anwendungsentwickler Vorgaben macht, die dieser dann möglichst kritiklos in DV-Technik umsetzen soll. Es ist unglaublich, welche unausgegorenen, auch noch scheibchenweise vorgebrachten Gedanken oft hinter scheinbar griffigen und einsichtigen Schlagworten stecken. Hier muß sich der DV-Anwendungsentwickler viel stärker emanzipieren, er muß Anforderungen viel stärker kritisch hinterfragen, um dem Anspruch auch nur annähernd gerecht zu werden, als Organisator und Mitgestalter von Abläufen anerkannt zu werden, und somit die Voraussetzung zu schaffen, einen positiven Beitrag zur Zielerreichung des Unternehmens zu liefern.

Wer muß nun was tun, damit sich erstens die eben beschriebene Situation in den DV-Abteilungen und zweitens die Stellung der Informationsverarbeitung innerhalb des Unternehmens und damit eventuell auch die hierarchische Stellung des DV-Leiters verbessert?

Die Antwort ist so einfach, wie die Umsetzung schwierig ist: Der DV-Leiter muß eine Mentalitätsänderung in erster Linie bei seinen Mitarbeitern, aber danach auch bei den Entscheidungsträgern des Unternehmens herbeiführen: weg von der Handwerker-/Mechaniker-Mentalität, hin zu einer Konstrukteur-/Gestalter-Mentalität des DV-Anwendungsentwicklers.

Es ist klar, daß sich diese Mentalitätsänderung unter großen Geburtswehen vollzieht, da sie einen echten Umdenkprozeß im bisherigen Rollenverständnis beinhaltet. Es gibt aber keinen anderen Weg.

Welches Element im Verhältnis zwischen DV-Abteilung, Anwendern und Top-Management ist es nun, das überhaupt als Auslöser dafür in Frage kommt, etwas am Status quo zu verändern? Die bisherigen Beobachtungen liefern nämlich noch keinen erfolgversprechenden Ansatz, etwas zu verändern, da schließlich jede Änderung in die von mir implizierte Richtung zu einer Aufwertung des DV-Leiters führen würde, an der erst einmal nur er selbst interessiert ist.

Die Notwendigkeit, am Status quo etwas zu verändern, ergibt sich daraus, daß die Höhe der DV-Kosten in zunehmendem Maße einen Leidensdruck beim Top-Management erzeugt, der dazu zwingt, die heutige Form der Arbeitsteilung zwischen den Fachabteilungen und der DV-Abteilung als reinem ausführenden Dienstleistungsorgan zu ändern. Sie ist nämlich langfristig für das Unternehmen die teuerste Art, die Datenverarbeitung zu nutzen.

Diesen Gedanken immer wieder bei den Entscheidungsträgern im Unternehmen zu vertreten, ist ein Ansatzpunkt dafür, Mentalitäten im erforderlichen Maße so zu verändern, daß mit der Datenverarbeitung die richtigen Dinge angegangen und dann auch noch möglichst wirtschaftlich durchgeführt werden.