DV-Seminare auf den Umgang mit Schwierigkeiten abklopfen Fehler-Management im Training schuetzt vor Problemen danach Von Dirk Braune*

18.02.1994

"Errare humanum est" - Irren ist menschlich, wie die kleinen und grossen Fehler immer wieder zeigen, die jeden auf Schritt und Tritt verfolgen. Auch die Arbeit am Computer bleibt davon nicht verschont. Wer jedoch bereits im DV-Seminar bewusst mit Fehlern konfrontiert wird und diese zu bewaeltigen lernt, arbeitet nachher produktiver.

Zwoelf Prozent der Arbeitszeit am Rechner gehen mit der Beseitigung von Schwierigkeiten verloren, so die Kernaussage des an der Uni Muenchen durchgefuehrten Forschungsprojekts "Faust" (Fehleranalyse zur Untersuchung von Software und Training). Dabei ist es sogar gleichgueltig, ob ein Experte oder ein Novize am Computer sitzt - beiden Gruppen unterlaufen gleich viele Fehler. Bei Experten ist die Fehlerrate mit 5,8 Fehlern pro Stunde sogar etwas hoeher als bei DV-Neulingen, die auf 3,9 Fehler pro Stunde kommen. Experten, die Fehler machen, unterscheiden sich vom Anfaenger allerdings darin, dass sie mehr Methoden zur Fehlerbeseitigung kennen.

Die Stunde der Wahrheit schlaegt erst nach dem Kurs

Fehler sind die natuerlichen Feinde des Menschen, das Zusammentreffen mit ihnen ist also unvermeidlich. Die vielfach zitierte Empfehlung "aus Fehlern lernen" wird allerdings oftmals nicht angewandt.

Dies ist auch in DV-Seminaren zu beobachten. Den Teilnehmern wird dort mit viel Aufwand der Weg zu komplexen Sachverhalten gewiesen; es werden mannigfaltige Moeglichkeiten des Programms angesprochen und in Uebungen weiter vertieft. Waehrend des Seminars treten aber nur hoechst selten Probleme auf. Solange die Teilnehmer die vom Dozenten vorgegebenen Schritte der Reihe nach verfolgen und sie 1:1 umsetzen, ist das Programm ohne Schwierigkeiten beherrschbar. Sollten dennoch Fehler auftreten, werden diese durch den schnell hinzueilenden Dozenten im Keim erstickt.

Die Stunde der Wahrheit kommt, wenn nach Seminarende die ersten Taetigkeiten am eigenen PC ausgefuehrt werden. Selbst scheinbar einfache Aufgaben missgluecken, weil man beispielsweise einzelne Schritte vergisst oder ein falsches Symbol waehlt. Das nun entstandene Problem kann der Computernovize allein nicht loesen. Fehlt die hilfreiche Unterstuetzung von Kollegen oder des Benutzerservices, fuehrt dieses Anfangsdebakel dann oft dazu, dass Fehler einfach durch Nichtbenutzung des Programms umgangen werden.

Im Grunde genommen existiert zu diesem Negativszenario nur eine Alternative, die in der Literatur als Fehlertraining bezeichnet wird. Darunter ist eine Seminargestaltung zu verstehen, die Probleme beziehungsweise Fehler aufgreift, sie zum Thema macht und ihre Bewaeltigung durch den Teilnehmer unterstuetzt. Dieser Ansatz wird verstaendlich, wenn man einen kurzen Ausflug in die Theorie menschlichen Handelns unternimmt. Jede Handlung eines Menschen laesst sich in drei Phasen untergliedern, in der unterschiedliche Fehler auftreten koennen.

1. Planung einer Handlung. Fehler in dieser Phase zeigen sich an grundlegend falschen Loesungsansaetzen fuer Probleme.

2. Durchfuehrung einer Handlung, waehrend alle Zwischenschritte im Gedaechtnis behalten werden muessen. Fehler treten hier haeufig auf, wenn einer der Teilschritte vergessen wird.

3. Kontrolle einer Handlung, in bezug auf das Erreichen der Ziele. Zu Problemen kommt es in diesem Abschnitt, wenn Rueckmeldungen am Bildschirm (zum Beispiel Fehlermeldungen) nicht richtig interpretiert werden.

Neben diesen drei Ablaufphasen kann eine Handlung auch unterschiedlich automatisiert sein. Der Fuehrerscheinneuling erlebt beispielsweise aehnliches wie ein Neueinsteiger in die PC-Welt: Jeder Schritt muss von ihm einzeln ueberdacht und bewusst ausgefuehrt werden. Experten am Steuer und an der Tastatur arbeiten dagegen quasi maschinell. Lenken und Schalten, Befehle waehlen und ausfuehren - diese Ablaeufe erfolgen sehr schnell, manchmal sogar so schnell, dass unerwartete Gefahren (Glatteis beziehungsweise die Abfrage vor dem Loeschen) nicht mehr wahrgenommen werden.

Jeden Schritt einzeln und ueberlegt durchfuehren

Das Spektrum dieser Automatisierung haben die Wissenschaftler des Projektes "Faust" in folgende drei Gruppen unterteilt:

a) Intellektuelle Handlungen: geringe Automatisierung der Handlung (zum Beispiel Planung und Erstellung einer komplexen Excel- Tabelle)

b) Flexible Handlungen: Quasi-automatische Handlung (zum Beispiel Speichern bei DV-Anwendern mit mehr Erfahrung)

c) Sensumotorische Handlungen: Automatische Handlung (zum Beispiel Texteingabe im Zehnfingersystem)

Handlungsschritte und -automatisierungen bilden demnach zwei Taetigkeitsebenen. Wie man der Abbildung entnehmen kann, ergeben sich daraus theoretisch neun Bereiche eines Handlungsprozesses. In jedem Abschnitt koennen Probleme auftreten. Da sich in der Praxis Fehler auf der sensumotorischen Ebene nicht unterscheiden liessen, hat man diese unter dem Begriff Bewegungsfehler zusammengefasst. Ausserdem wurde als zusaetzlicher Punkt die Regulationsgrundlage aufgenommen, weil unabhaengig von Automatisierung und Handlungsschritten ohne ein bestimmtes Wissen eine Handlung nicht moeglich ist.

Dieses System laesst sich anhand zweier typischer Beispiele erlaeutern:

-Ein Merkfehler tritt beispielsweise auf, wenn man bei einer Taetigkeit, die man noch nicht sicher beherrscht (intellektuelle Ebene), einen Teilschritt wie einen Befehl vergisst (Handlungsphase: Gedaechtnis).

-Ein Gewohnheitsfehler entsteht dagegen, wenn man eine bereits haeufig ausgeuebte Aktion (flexible Ebene) ausfuehrt, in diesem Moment allerdings eine andere Aktion (Handlungsphase: Planung) notwendig waere. Typisch hierfuer ist zum Beispiel, dass man die Tastenkombination zum Speichern im falschen Programm einsetzt.

Fach- und DV-Wissen miteinander verbinden

Von diesem handlungstheoretischen Ansatz lassen sich je nach Fehlerart verschiedene Wege der Fehlerbewaeltigung und -praevention ableiten, die sich in Seminaren vermitteln lassen.

Die unterschiedlichen Konsequenzen fuer das DV-Training sind:

- Wissensfehler und Urteilsfehler koennen durch ein ganzheitliches Training beseitigt werden. Ganzheitlich impliziert an dieser Stelle, dass der Anwender ein rich- tiges, nachvollziehbares und insbesondere ein verwendbares Modell ueber die Zusammenhaenge seiner Software und Taetigkeiten erhaelt. Deshalb ist es wichtig, in den Schulungen ueber die Tastenfunktionen hinaus einen allgemeinen Hintergrund zu vermitteln. Der Trainer sollte den Teilnehmer fortwaehrend unterstuetzen, eine anwendbare Vorstellung von der Funktionalitaet seines Computers zu erwerben.

- Im Falle von Denk- und Merkfehlern helfen den Anwendern Prinzipien - hier Heuristiken genannt - weiter, mit deren Hilfe sie Fachwissen und Computerwissen verbinden koennen. Klassische Loesungswege im Kurs koennen hierzu ein Wesentliches beitragen.

-Fehler auf der sensumotorischen und flexiblen Ebene passieren, weil die Handlungen fast automatisch durchgefuehrt werden. Sie lassen sich kaum vermeiden, weshalb ihre Bewaeltigung, das heisst, das Fehlermanagement, wichtiger ist als ihre Praevention. Fehlerhinweise und Wege aus dem Dilemma sollten deshalb schon in die Schulung integriert werden.

Neben diesen rein technischen Ueberlegungen ist ein weiterer Punkt zu beachten.

Fehler fuehren zu Stress, Frustration und Aerger. Negative Emotionen sind sowohl fuer die jeweilige Person als auch fuer ihre Umwelt eine Belastung. Deshalb sollte die Fehlerbewaeltigung auch eine emotionale Verarbeitung beinhalten. Dazu gehoert beispielsweise eine Uminterpretation von Fehlern, indem man vermittelt, Fehler seien positiv, da man durch sie lernen koenne. Methoden sich zu entspannen oder abzureagieren koennen in diesem Rahmen ebenfalls angefuehrt werden.

Softwareprogramm in den Anwenderkontext stellen

Da Seminare haeufig die Grundlage fuer die ersten Schritte am Computer bilden, sind sie die erste Anlaufstelle, um die Weitergabe des Fehler-Managements einzufordern. Fuer den potentiellen Teilnehmer beziehungsweise den Entscheider ueber die DV-Qualifikation stellt sich nun daraus die Frage, woran man Seminare mit Fehler-Management erkennt. Aus Sicht der Referenten und Weiterbildungsinstitute lautet dagegen die Frage: Wie baue ich ein Training im Sinne des Fehler-Managements auf?

Um diese Frage zu beantworten sollte man sich folgende drei Teilbereiche naeher betrachten:

1. Seminarunterlagen

2. Seminarstil des Referenten

3. Seminarinhalte

1. Seminarunterlagen: Bereits in den Unterlagen muss sich der Seminarverlauf wiederfinden. Der Aufbau des Seminars darf dabei nicht von den ueblichen Handlungsschritten eines Anwenders abweichen.

Die Kursunterlagen weisen auf moegliche Probleme hin

So ist es unmoeglich, zum Beispiel das Speichern ganz am Ende einer Unterlage zu plazieren, wenn sich dieser Schritt bereits in den ersten Stufen als dringend erforderlich erweist.

Auf den ersten Seiten sollte ein Kapitel einen Ueberblick ueber das Programm, seinen prinzipiellen Sinn und moeglichweise sogar ueber seine Einbindung in ein komplettes System geben. In jedem Kapitel ist es zudem sinnvoll, die jeweilige Funktion in den Kontext des Programmes und der Taetigkeiten des Anwenders zu stellen. So laesst sich ein ganzheitliches Training verwirklichen.

Allgemeine Prinzipien sind in einem eigenen Kapitel oder bei ihrem ersten Auftreten explizit als solche zu kennzeichnen. Dadurch findet der Anwender wesentliche Vorgaenge auch nach dem Seminar schnell wieder.

Selbstverstaendlich duerfen in einer fehlerorientierten Unterlage auch Hinweise auf moegliche Probleme nicht fehlen. Als guenstig hat sich dabei die Unterteilung in ein eigenes Fehlerkapitel sowie spezifische Fehlerhinweise in den Abschnitten des entsprechenden Themas erwiesen.

2. Seminarstil des Referenten: Die Atmosphaere eines Seminars entscheidet wesentlich darueber, inwieweit Fehler erlaubt sind und von den Teilnehmern auch geaeussert werden. Da fuer das Seminarklima hauptsaechlich der Dozent des Seminars verantwortlich ist, sollte er Probleme eines Teilnehmers nicht als dessen Versagen, sondern als Chance fuer ihn und die anderen Teilnehmer hervorheben. Gleich zu Beginn des Seminars kann er die Maxime aufstellen: "Fehler sind erlaubt und koennen hier ohne Konsequenzen auftreten."

Beispiele erleichtern den Wissenstransfer

Waehrend des Seminars ist es sinnvoll, dass nicht der Trainer auftretende Probleme loest, sondern dass er den Teilnehmer durch Fragen (nach Meldungen, seinem geplanten Vorgehen etc.) zu einer eigenen Theorie der Ursache und zu einer Loesung hinfuehrt.

Diese Methode nimmt zuerst mehr Zeit in Anspruch als die schnellere Problemloesung durch den Referenten. Langfristig zahlt sie sich aber durch schnelleres Verstehen beim Teilnehmer bereits im Seminar aus. Spaetestens am Arbeitsplatz wird dadurch seine Handlungsfaehigkeit - gerade in Notfaellen - wesentlich verbessert.

3. Seminarinhalte: Die Seminarinhalte laufen bei guenstiger Gestaltung der Unterlagen parallel zu diesen, das heisst, der Aufbau des Seminars folgt wie die Begleitlektuere den typischen Handlungsschritten des Anwenders.

Probleme am Arbeitsplatz im Seminar behandeln

Der Teilnehmer hat so einen quasi natuerlichen, praxisnahen Verlauf des Seminars vor sich, der den Transfer auf seine eigenen Taetigkeiten erheblich optimiert. Dazu gehoeren gleichfalls Beispiele, die sich wie ein roter Faden durch das Seminar ziehen. Umso mehr sie der Taetigkeit des DV-Anwenders aehneln, desto eher treten auch hier Probleme auf, die sich ansonsten erst im Alltag des Seminarbesuchers einstellen wuerden. Im guenstigsten Falle wird das Seminar nur anhand von Beispielen und typischen Taetigkeiten der Teilnehmer gestaltet.

Selbstverstaendlich sind die in den Unterlagen genannten typischen Fehler und ihre Bewaeltigung im Seminarverlauf zu demonstieren. Auch bei den Teilnehmern auftretende, relevante Probleme koennen sofort als Anlass fuer einen Fehlerexkurs dienen.

Ausserdem sollte ein eigenes Seminarmodul sich mit der Fehlerpraevention beziehungsweise dem Fehler-Management beschaeftigen, innerhalb dessen eigene Fehleruebungen die Wahrnehmung und Loesung von Problemen ermoeglichen.

Anhand dieser drei Punkte kann jeder Interessent ueberpruefen, inwieweit die Hilfe zur Selbsthilfe Kursinhalt des jeweiligen DV- Trainings ist. Es ist immer sinnvoll, die Seminarunterlagen in Hinblick auf Fehlerhinweise und -kapitel durchzusehen und die Referenten auf dieses Thema anzusprechen.

Eigenes Kursmodul widmet sich der Fehlerpraevention

Diese Kontrolle lohnt sich, wie die Untersuchungen des Faust- Projektes zeigen. Bei einem Vergleich zwischen zwei fuenftaegigen Seminaren, eines mit, eines ohne Fehlertraining, ergaben sich sowohl bei der Abschlusspruefung am PC als auch bei der Bewaeltigung einer Arbeitsaufgabe am Rechner signifikante Unterschiede.

Bei der Gruppe, die ein Fehlertraining absolviert hatte, traten nicht einmal halb so viel der Fehler auf wie bei den Teilnehmern des Standardtrainings.

* Dirk Braune ist Referent bei der HMT Informations-Systeme GmbH, Muenchen.