Workshop diskutiert veränderte Anforderungen

DV-Profi der 90er Jahre muß zum Prozeßmoderator werden

15.05.1992

MÜNCHEN (CW) - Hat die klassische Computer-Fachkraft eine berufliche Zukunft? Welche Qualifikationen wird sie benötigen? Ist die Aus- und Weiterbildung dieser DV-Fachkräfte den zukünftigen Anforderungen gewachsen? Diese Fragen standen in Mittelpunkt des Workshops "DV-Fachkräfte zwischen Arbeitsgestaltung and Technikgestaltung-Paradigmenwechsel in der Qualifizierung" Anfang Mai in St. Augustin.

Erste Ergebnisse des Forschungs- und Entwicklungsprojekts "Qualifizierungsziel Ganzheitliche Arbeitsgestaltungskompetenz" wurden von Vertretern aus Unternehmen sowie Aus- und Weiterbildungsinstitutionen diskutiert. Die Veranstaltung und das Projekt fördert das Ministerium für Arbeit, Gesundheit und Soziales des Landes NRW im Rahmen des Programms "Mensch und Technik - Sozialverträgliche Technikgestaltung".

Die Berufsgruppe der Computerfachkräfte hat trotz neuer Techniken zur Unterstützung der Software-Entwicklung und einer stärkeren Beteiligung der Benutzer an der Erstellung von Computerprogrammen auch in Zukunft wichtige Aufgaben. Die Verwirklichung neuer Unternehmensstrategien basiert auf der Nutzung der Computertechnologie. Den DV-Fachkräften kommt so zukünftig eine Schlüsselrolle für die Erhaltung der Wettbewerbsfähigkeit der Unternehmen und die Schaffung menschengerechter Arbeitsbedingungen zu.

Dieser Bedeutungszuwachs ist mit einem grundlegenden Wandel der beruflichen Anforderungen und der Stellung der DV-Fachkräfte in den Unternehmen verbunden.

In den 60er und 70er Jahren bestimmte der Programmierer das Berufsbild. Er war ein reiner Techniker, der, räumlich getrennt vom übrigen betrieblichen Geschehen, für die Gestaltung isolierter technischer Systeme zuständig war. Kernaufgabe war das Programmieren und das Bedienen der DV-Systeme im Rechenzentrum.

Die Aus- und Weiterbildung mußte in dieser Zeit, neben den beruflichen Grundlagen (zum Beispiel Mathematik), nur wenige Programmiersprachen und die Vermittlung technischer Details einiger Rechnertypen umfassen.

Abkehr von traditionellen Leitbildern

Mit der betrieblichen Integration der DV seit Ende der 70er Jahre änderten sich im Laufe des folgenden Jahrzehnts auch die Anforderungen an die DV-Fachkräfte. Die Gestaltung der Computersysteme konnte nun nicht mehr als Laboraufgabe an reine Techniker delegiert werden. Die Abbildung betrieblicher Strukturen und Abläufe erforderte Kenntnisse des Anwendungsfeldes.

Die Gestaltung der Mensch-Maschine-Schnittstelle machte eine Auseinandersetzung mit den "Eigenheiten" der Computerbenutzer notwendig. Der Einsatz von Methoden der Systementwicklung wurde mit zunehmender Komplexität der Entwicklungsprozesse immer notwendiger. Die Qualifizierung in dieser Zeit bestand in der Vermittlung eines sehr vielschichtigen technischen Wissens, eingehender Methodenkenntnisse und zunehmend auch von Fachkenntnissen aus den Anwendungsgebieten (zum Beispiel Betriebswirtschaft).

Jetzt in den 90er Jahren wird die DV-Fachkraft immer zum Prozeßmoderator, dessen Aufgabe darin besteht, die Prozesse zur Arbeits- und Technikgestaltung zu optimieren. Dieser Rollenwechsel ist Ergebnis eines Bedeutungswandels der Computertechnologie in den Unternehmen. Gefragt ist nicht mehr die Computerisierung bestehender Arbeitsabläufe, sondern die Entwicklung und technische Unterstützung von neuen organisatorischen Strukturen und Abläufen. Damit wird das Wechselspiel zwischen Technik und Arbeitsgestaltung zum Mittelpunkt des Arbeitsalltags von DV-Fachkräften.

Dieser grundlegende Wandel spiegelt sich im Übergang von der Daten- zur Informationsverarbeitung wider: Nicht mehr die Verarbeitung von Daten und die Steuerung von Datenflüssen durch die Maschine stehen im Mittelpunkt der Gestaltung von Computersystemen, sondern die Verarbeitung von Informationen durch Menschen. Es geht nun nicht mehr um die Aufteilung der Arbeit zwischen Mensch und Maschine oder die optimale Gestaltung des notwendigen Dialogs zwischen beiden (Dialogsysteme). Ziel ist die Unterstützung von aufeinander bezogenen Arbeitsprozessen mit der hierfür notwendigen Kommunikation zwischen Menschen.

Die bislang gängige Reaktion des Aus- und Weiterbildungsmarktes auf die Veränderungen der beruflichen Anforderungen an DV-Fachkräfte bestand in einer ständigen Ausweitung des Qualifizierungsangebots. Die Anforderung nach Kenntnissen im Bereich "relationale Datenbanken" wurde mit einem Kurs "relationale Datenbanken" beantwortet, die verstärkte Einführung von "Projektarbeit" in den Unternehmen mit einem Kurs Projekt-Management, etc. Das Ergebnis ist ein "Flickerlteppich" einzelner Fächer oder Kurse.

Das wirft Probleme auf: Das Angebot des Aus- und Weiterbildungsmarktes hinkt den Anforderungen in den Unternehmen nach dem "Hase-Igel-Prinzip" beständig hinterher. Ge- gewärtig nähert sich die Anzahl der Unterrichtsstunden durch das beschriebene "additive" Prinzip immer mehr einer natürlichen Sättigungsgrenze an.

In Zukunft wird es nicht darauf ankommen, immer weitere "Flickerl" an diesen "Teppich" zu nähen, sondern der Qualifizierung von DV-Fachkräften eine grundsätzlich neue Richtung zu geben. Gefordert ist ein Qualifizierungskonzept, das die Trends des zukünftigen Qualifizierungsbedarfs vorausschauend aufgreift. Dazu wird ein Analyseinstrument benötigt, das das chaotisch anmutende Gewirr neuer beruflicher Anforderungen systematisierbar macht und so die Grundlage für ein neues Qualifizierungskonzept legt.

Die Voraussetzung für diese Innovation in der Aus- und Weiterbildung ist eine Abkehr von dem traditionellen, auf Technik und Programmiersprachen orientierten Leitbild der Qualifizierung. Für eine offensive Aus- und Weiterbildung wird eine Orientierung auf die neue Rolle der DV-Fachkräfte notwendig.

Organisiert wurde die Veranstaltung vom Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) Marburg und vom Ausbildungsbereich "Mathematische Technische Assistenten" der Gesellschaft für Mathematik und Datenverarbeitung (GMD) Anfang Mai 1992 in St. Augustin.

In einer dreiteiligen Serie wird das Marburger Institut für Sozialwissenschaftliche Forschung (ISF) in den nächsten Ausgaben der CW die Ergebnisse des Workshops vorstellen und vor allem auf die veränderten Anforderungen des DV-Spezialisten in den 90er Jahren eingehen.