Psychologische Wirkung bei Neuinstallation nicht unterschätzen:

DV-Nutzen ohne Mitarbeiterakzeptanz fraglich

11.05.1984

Unternehmen, die sich mit der Planung eines Computereinsatzes beschäftigen, werden mit dem Begriff Standardsoftware geradezu bombardiert. Eins steht außer Frage: Standardsoftware, die auch in den meisten Fällen ihren Namen verdient, gibt es für schon beinahe klassische Computerbereiche wie etwa Finanzbuchhaltung oder Lohn und Gehalt im ausreichendem Umfang und auch entsprechend praxisbewährt. Der Grund ist naheliegend: In diesen Bereichen hat der Gesetzgeber Vorschriften, die für nahezu alle Branchen gelten und sich daher ideal standardisieren lassen. Wie sieht es aber aus mit den speziell auf die Branche zugeschnittenen Produkten, den sogenannten Anwendungsprogrammen? Gibt es sie, oder noch provozierender gefragt: Kann es sie überhaupt geben?

Ein Anwendungsprogramm soll spezielle Abläufe wie zum Beispiel die Auftragserfassung oder die Preisfindung automatisch unterstützen und somit schneller und kostengünstiger ablaufen lassen.

Und schon ist der User am kritischen Punkt der sogenannten Standard-Anwendungssoftware angelangt.

Bei einem Standardprogramm muß sich der Computerbenutzer voll auf den Arbeitsablauf, wie es das Programm vorschreibt, einstellen. Im Bereich der typischen Anwendungen wie Auftragsabwicklung jedoch zu verlangen, daß die User ihre seit Jahren eingespielten und größtenteils bewährten Arbeitsabläufe völlig umgestalten, nur weil es das Programm anders vorschreibt, würde die Wirtschaftlichkeit der DV in diesen Bereichen ad absurdum führen.

Benötigt wird also ein Anwendungsprogramm, das voll auf die Organisationsabläufe in den Bereichen Einkauf, Verkauf, Lager und Fertigung abgestimmt ist, in der Fachsprache auch Individualprogramms genannt.

Ein Produkt nach Maß ist natürlich teurer als eines von der Stange. Teurer allerdings auch nur auf den ersten Blick. Denn langfristig gesehen, ist das Werkzeug Computer nur dann wirtschaftlich einzusetzen, wenn es genau das macht, was der Benutzer bestimmt, und nicht umgekehrt.

Es kommt darauf an, einen langfristigen DV-Partner zu finden, der gewisse standardisierbare Programmbausteine als Basisorganisation anbietet und aus dem Rahmen fallende Organisationsabläufe in Form von Ergänzungsbausteinen auf den speziellen Ablauf abstimmt.

An Kosten ergeben sich, abhängig vom Umfang der computergestützten Arbeitsabläufe, mindestens nochmals 50 Prozent der reinen Hardwarekosten an Softwareaufwand.

Rosarote Brille für DV-Umsteiger

Der technische Fortschritt und der damit verbundene Preisverfall auf dem Computermarkt macht es für Mittelständler nicht nur möglich, sondern geradezu zur Notwendigkeit; mit Hilfe des Computers Rationalisierungsmaßnahmen im Bereich der Verwaltung durchzuführen. Mit Hilfe der DV können fast alle Verwaltungs- und Routinearbeiten rationeller und damit kostengünstiger bearbeitet werden.

Durch die neuen leistungsfähigen Computer läßt sich die Datenverarbeitung dort nutzbringend einsetzen, wo sie gebraucht wird: am Arbeitsplatz des Managers und Sachbearbeiters. Zum Abrufen der aktuellen Unternehmensdaten ebenso wie zur Auftragsbearbeitung, zum Verfolgen von Bestellungen bei Lieferanten oder zur Planung und Steuerung des auftragsbezogenen Fertigungsablaufes.

Schier unbegrenzt scheinende Möglichkeiten, und die alle auf Knopfdruck - so jedenfalls lautet die Werbung der großen Computerkonzerne. Das führt zu einem der ersten Trugschlüsse, denen Erstanwender oder Umsteiger von kleinen Mikrocomputersystemen unterliegen, wenn sie auf ein modernes Dialogsystem mit mehreren Bildschirmen wechseln wollen.

Mikro- und Bürocomputer liegen im Wettstreit

Die Auswahl eines geeigneten Computersystems und vor allem der passenden Software erfordert denn auch besondere Aufmerksamkeit.

Die für klein- und mittelständische Fertigungsunternehmen in Frage kommenden Computerarten sind vornehmlich Mikro- und Bürocomputer. Die Unterschiede liegen in der Art der Ausführung, in der Kapazität, in der Ausbau- und Leistungsfähigkeit sowie im Preis.

Die Mikrocomputersysteme sind in ihrer Ausbaufähigkeit meist sehr eingeschränkt, so daß sie sich vornehmlich als Einplatz-Anlagen eignen, die sich nur einer Aufgabe widmen (zum Beispiel nur Finanzbuchhaltung).

Ein weiterer Unterschied liegt in der Leistungsfähigkeit, wobei die Bürocomputer wesentlich ausgereiftere und komfortablere Eigenschaften aufweisen. Bei Bürocomputersystemen können auch ohne weiteres mehrere Bildschirme angeschlossen werden, während dies bei Mikrocomputern aufgrund der eingeschränkten Kapazität zwar zum Teil möglich ist, aber meist bei Antwortzeiten und Speicherkapazität Probleme aufwirft.

Mikrocomputer sind hervorragend geeignet für Kleinstanwender. Zu hohe Ansprüche allerdings überfordern die Rechnerzwerge. So kann ein Mikro zum Beispiel nicht zur Abwicklung komplexer Arbeitsgebiete "vergewaltigt" werden.

Es kommt darauf an, welche Aufgaben im Unternehmen mittelfristig (das heißt, in den nächsten fünf bis sechs Jahren) mit dem Computer zur Lösung anstehen. Soll zum Beispiel sofort mit zwei Bildschirmen zur Lager- und Vertriebsorganisation begonnen, im nächsten Jahr in diesen Bereichen drei weitere eingesetzt und zwei Jahre später auch die Bereiche Einkauf und Fertigung mit drei Bildschirmen ausgestattet werden, dann muß der Computer von vornherein in der Lage sein, mit der Expansion des Unternehmens ebenfalls zu wachsen, und zwar in bezug auf die Speicherkapazität und die Anschlußmöglichkeit von Bildschirmgeräten.

Der Computermarkt ist hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der nackten Elektronik immer mehr zusammengewachsen. Es gibt nur noch einige wenige Unterschiede zwischen den größenmäßig vergleichbaren Computern der verschiedenen Hersteller. Bei der Computerauswahl kommt es also vorrangig auf die Software an.

Nicht jeder DV-Einsatz bringt Rationalisierung

Um im heutigen Markt bestehen zu können, sind gerade klein- und mittelständische Fertigungsbetriebe gezwungen, Rationalisierungsmaßnahmen zu ergreifen. Unternehmer und Führungskräfte müssen neue Technologien der Informationsverarbeitung in das unternehmerische Gesamtkonzept rechtzeitig miteinbeziehen, um langfristig wettbewerbsfähig zu bleiben. Durch eine Kostenkontrolle sowie durch Präsenz aktueller und aussagefähiger Informationen ist eine flexible Anpassung an sich verändernde Märkte rechtzeitig möglich.

Rationalisierung der Informationsverarbeitung ist keineswegs das bloße Verbessern von Abläufen, sondern die Basis für künftigen Erfolg Aus diesem Grund muß der Computereinsatz genauestens taktiert werden. Man kann nicht davon ausgehen, daß jede Form des DV-Einsatzes eine Rationalisierung bringt. Bei einer genauen Untersuchung der eigenen Organisationsabläufe muß geprüft werden, ob und wo ein DV-Einsatz gerechtfertigt ist.

Die Datenverarbeitung kann keine Wunder vollbringen, sondern es gilt vielmehr, mit ihrer Hilfe eine Ablauforganisation optimal, das heißt schneller, kostengünstiger und effizienter zu gestalten.

Der Erfolg einer Computerinvestition hängt entscheidend vom Engagement in dem betroffenen Unternehmen ab, vor allem in der vorbereitenden Phase. Es ist eben nicht damit getan, sich ein Gerät namens Computer ins Haus zu stellen, auf den Knopf zu drücken und zu erwarten, daß die ganze Organisation wie von selbst läuft.

Sicher ist dies nach der Einführung des Systems und konsequenter Nutzung in der einen oder anderen Form möglich. Doch bis dieses Ziel erreicht ist, muß sehr viel Arbeit in die gesamte eigene Organisation gesteckt werden, die auf den Computer übertragen werden soll.

Die Vorarbeiten zu einer sinnvollen Computer- und vor allem Softwareauswahl laufen in mehreren Teilschritten ab:

1. Untersuchung der derzeitigen Arbeitsabläufe (Ist-Zustand), um dadurch

- Arbeitsschwerpunkte zu erkennen,

- Schwachstellen aufzudecken,

- Schätzunterlagen für eine Wirtschaftlichkeitsberechnung zu bekommen sowie

- Informationen für einen möglichen Computereinsatz zu gewinnen.

2. Kritische Durchleuchtung der bestehenden Arbeitsabläufe, um mit Einführung des Werkzeugs Computer die Möglichkeit zu nutzen, bestehende Schwachstellen auszumerzen.

3. Schriftliches Festhalten der Punkte 1 und 2 mit dem Ziel darzustellen: So ist es heute, und so soll es in Zukunft sein.

Diese Unterlage, in der Fachsprache "Pflichtenheft", "Fachinhaltsbeschreibung" oder "Anforderungsspezifikation" genannt, ist die wichtigste, vor allem auch vertragliche Grundlage zur Auswahl von Computer und Software.

In den meisten Fällen reicht es aus, die bestehenden Abläufe im Pflichtenheft funktionsorientiert darzustellen. So etwa die Einzelabläufe einer Auftragsbearbeitung oder die genaue Beschreibung der Kalkulation.

Die richtigen Personen in diesen Phasen zu beteiligen, gehört mit zu den wichtigsten Entscheidungen. Man braucht sich nicht zu wundern, wenn die Mitarbeiter des eigenen Unternehmens ein neues Computersystem nicht akzeptieren und damit nicht richtig nutzen, wenn ihnen das Novum einfach vorgesetzt wird.

Die Sachbearbeiter, die später einmal mit einem Bildschirmgerät ihre Arbeit schneller und kostengünstiger machen sollen, müssen daher befragt werden, welche Wünsche und Vorstellungen sie von einer neuen Computerlösung haben.

Psychologische Wirkung nicht unterschätzen

Wichtigster Aspekt ist hierbei die psychologische Wirkung, das Gefühl des Mitarbeiters, etwas zur neuen Computerorganisation beigetragen zu haben. Die Identifikation und damit die Akzeptanz der Lösung ist dadurch gegeben.

Wesentlich kann es auch sein, auf die Erfahrungswerte eines externen Beraters zurückzugreifen, der nicht nur beratend tätig, sondern auch nachweisbar in der Lage ist, dies in die Praxis in Form von Software-Organisationslösungen umzusetzen.

Eigene Mitarbeiter und externe Berater ergeben in dieser vorbereitenden Phase das optimale Team.

Mitarbeiter des Unternehmens verfügen über intensive Erfahrungen über das Geschehen und die Abläufe im Unternehmen. Externe Berater dagegen haben den Vorteil, daß sie diesen speziellen Markt kennen, nicht betriebsblind sind, ähnliche Firmen bereits mehrfach gesehen haben und moderne Projekttechniken beherrschen.

*Helmut Schön ist Prokurist der Haessler-Computersysteme GmbH, Schömberg.