DV: Karrierechancen nur für richtig Motivierte

04.11.1988

MÜNCHEN - Viele versuchen es, aber nicht jeder schafft eine Karriere in der Datenverarbeitung. Jungen Leuten mit unklaren Vorstellungen von ihrem späteren Beruf erscheint das Informatik-Studium als das Karriere-Schlupfloch schlechthin. Der rege Zulauf zum Informatik-Studium läßt darauf schließen, daß eine Image-Diskussion hier überflüssig ist. Es scheinen einzig die Berufsaussichten bei der Entscheidung für die DV-Ausbildung eine Rolle zu spielen. Die Werbetrommel braucht jedenfalls nicht gerührt zu werden. 30 000 ausgeschriebene Informatiker-Stellen ersetzen jede Werbestrategie. Bei der Euphorie werden zwei Erfolgsfaktoren für die Karriere in der Datenverarbeitung oft völlig außer acht gelassen: die richtige Motivation und Kenntnisse über Anwendungsbereiche außerhalb des Studienfaches. Finanzielle Anreize und günstige Arbeitsbedingungen reichen für den beruflichen Erfolg nicht aus. Unabdingbar sind persönliches Engagement und die Begeisterung für die neue Technik. Nur derart motivierte DV-Mitarbeiter können mit Erfolg rechnen und Karriere machen.

Berufe in der Datenverarbeitung sind gefragt wie nie zuvor: Für das Wintersemester 1988/89 bewarben sich 7700 Anwärter um die knapp 3400 Studienplätze für Informatik an bundesdeutschen Universitäten und Gesamthochschulen. Ausfallquoten während des Studiums von rund 50 Prozent lassen unter anderem vermuten, daß einige Studienanfänger die Informatik lediglich als Karriere-Schlupfloch ansehen und mangels notwendigem Engagement auf der Strecke bleiben. Alles deutet darauf hin, daß die 30 000 freien Stellen für Informatiker noch einige Zeit - aber nur den richtig motivierten Studenten - zur Verfügung stehen.

Als Ursache für diese Entwicklung nennen Experten die heutige Situation der Informatiker.

Hermann Rampacher, Geschäftsführer der Gesellschaft für Informatik in Bonn: "Auf der einen Seite besteht nach wie vor eine starke Nachfrage nach den sogenannten Hauptfachinformatikern. Auf der anderen Seite werden kurz oder mittelfristig eher anwendungsbezogene Informatiker gesucht. Beide Gruppen zeichnen sich durch hohe Flexibilität aus. Ein großes Manko ist allerdings, daß dieses Fach noch nicht so anerkannt ist, wie beispielsweise die klassische Mathematik."

Keine Probleme mit den Informatik-Absolventen hat Georg Spickenreuther, Leiter des Personal-Marketing bei MBB, München: "Wir nehmen Informatiker so, wie sie aus der Ausbildung kommen. Es gibt keine Absolventen, die unsere Anforderungsprofile in allen Punkten erfüllen. Nach der Einarbeitungszeit sind wir indes mit den Mitarbeitern zufrieden. Es stellt sich im übrigen schnell heraus, ob der einzelne am richtigen Platz ist. Ist das nicht der Fall, bieten wir solchen Leuten Chancen in anderen Bereichen an."

Wie die Karrierechancen für den einzelnen in der DV aussehen, hängt im wesentlichen von seiner Motivation ab. In der Informatik gibt es nach Meinung der Experten kein klares Berufsbild, das motivierend wirken könnte. Es bestehen lediglich Perspektiven, die man Schulabgängern aufzeigt.

Heinz Streicher, Leiter Kommunikation bei der SCS Unternehmensberatung, Hamburg: "Vielen Abiturienten wird heute die Datenverarbeitung als das Fachgebiet mit guten Aussichten auf eine Anstellung, überdurchschnittlichen Verdienstmöglichkeiten und Karrierechancen vorgestellt. Im Informatik-Studium folgt nach kurzer Zeit der Begeisterung für Zahlentheorien allzuoft die Ernüchterung: Das Gefühl nämlich, daß die Brücke zwischen Theorie und Praxis fehlt." Diese Erfahrung wiederhole sich nicht selten am Anfang der Berufslaufbahn, wenn der Absolvent sich beim Einstieg in ein Unternehmen plötzlich vor ganz anderen Aufgaben gestellt sieht, als in seiner Studienzeit.

Deutlicher drückt es Hermann Rampacher aus: "Informatik-Aspiranten haben keine klare Vorstellung von dem, was von ihnen im Studium und Beruf verlangt wird. Abhilfe könnte geschaffen werden, wenn es gelänge, die Informatik an der höheren Schule als normales Unterrichtsfach einzuführen. Als Nebeneffekt würde die hohe Ausfallquote während des Studiums sinken, und es könnte sich allmählich ein Image bilden."

Auf die Zukunft des Berufsbildes der Informatiker angesprochen, prognostiziert Ulrich Bohn, Personalreferent des Hewlett-Packard Vertriebsbüros München: "Allein aufgrund der steigenden Zahl der Beschäftigten, die mit Datenverarbeitung oder Bildschirmarbeit zu tun haben, werden Bekanntheitsgrad und Akzeptanz dieser Berufsgruppe steigen. In Zukunft wird nahezu jeder eine klare Vorstellung von den Aufgaben eines Informatikers haben. Das ist eine Chance für ein genaues Berufsbild."

Wolfgang Lichius, Bereichsleiter Personal der Kienbaum-Personalberatung in Gummersbach, fällt es derzeit schwer, jungen Leuten ein klares Berufsbild aufzuzeigen. Wie seine Experten-Kollegen kann er lediglich Perspektiven anbieten: "Der Informatiker hat zunächst im weiteren Sinne mit Programmierung, Systemengineering, Planung und Implementierung von computergestützten Systemen und Lösungen für bestimmte betriebliche Funktionen zu tun. Der Beruf bietet dem Mitarbeiter ein breites Aufgabenfeld, das ihn langfristig nicht einengt, sondern in dem er relativ weiträumig eingesetzt wird und in die meisten Bereiche eines Unternehmens Einblick hat."

Den Grund dafür, daß sich bislang kein Berufsbild der Informatiker entwickeln konnte, sieht Elmar Frickenstein, Ingenieur-Informatiker aus München, darin, daß sie in theoretische und ingenieurwissenschaftliche Informatiker aufgeteilt sind. Allerdings sei das alte Technokraten-Image längst passe. "Der Informatiker ist im Unternehmen akzeptiert. Es gibt heute keine Abteilung und keinen Fachbereich mehr, die sich nicht mit der Datenverarbeitung auseinandersetzen muß."

Lothar Gügel, Leiter des Unternehmensbereiches Bildschirmtest und Rechnerverbund der Main-Data-Telekommunikations-GmbH, Hanau, und Vorsitzender des Berufsverbandes Telematik in Bonn, schiebt der relativ jungen Geschichte der Informatiker den Schwarzen Peter dafür zu, daß noch kein gutes Image vorhanden ist: "Die Berufsgruppe der Informatiker ist einfach noch zu jung, um zu dem gleichen Image zu kommen, wie es bei Berufen mit langer Tradition der Fall ist. Trotzdem glaube ich, daß der Informatiker großen Teilen der Bevölkerung bekannt ist und dort in naher Zukunft ein positives Bild entsteht."

Es müsse jedoch verhindert werden, daß junge Leute die Datenverarbeitung als Karriere-Schlupfloch benutzen. Im Mittelpunkt stehe dabei die richtige Motivation, die richtige Einstellung und die richtige Vorbereitung auf den Beruf.

Dies bestätigt Wolfgang Lichius: "Aus unserer Sicht sollte man falschen Vorstellungen bei den Informatik-Studenten durch eine frühzeitige Ausrichtung auf bestimmte Anwendungsfelder während des Studiums vorbeugen. Wichtig ist, daß die Studenten wissen, daß nicht mehr so sehr die reine Informatik, sondern die anwenderbezogene gefragt ist. Der Absolvent muß heute beispielsweise Kenntnisse im Controlling haben, wenn er ein Controlling-System auf DV-Basis installieren will."

Ähnlicher Meinung ist Ulrich Bohn: "Generell sind wir mit den Absolventen des Informatik-Studiums zufrieden. Unsere Mitarbeiter - das sind in vielen Fällen Informatiker brauchen jedoch Qualifikationen, wie sie die Universität nicht vermitteln kann. Dazu gehört zum Beispiel, den Umgang mit unseren Kunden, das heißt mit den Anwendern, pflegen zu können. Ein Informatiker muß bei uns Fähigkeiten wie gewandtes und sicheres Auftreten vor Ort und schnelles Analysevermögen vorweisen können."

Lothar Gügel ergänzt: "Der Informatiker wird heute auch nach Kriterien wie Kommunikationsfähigkeit, Allgemeinwissen und Kreativität beurteilt."

Dennoch entdeckt Wolfgang Lichius einen Silberstreif am Horizont: "Das Wissen über ihr zukünftiges Berufsleben ist in der jüngeren Generation ausgeprägter als vor etlichen Jahren. Die jungen Leute stellen sich heute meines Erachtens geschickter an und sind gewissermaßen frustrationstoleranter, als beispielsweise meine Generation vor zwanzig Jahren."

Lichius erkennt auf seiten der Unternehmen nur wenige Bemühungen, auch den langjährigen DV-Fachmann zu motivieren. Von fertigen Konzepten, Kursen und Maßnahmen für das Job-Enrichment ist ihm noch nichts bekannt. Dies alles stecke noch in den Kinderschuhen, weil bisher nur wenige Unternehmen die Probleme erkannt haben und individuell anpacken.

Der Praktiker Frickenstein geht davon aus, daß Motivation sich wie ein automatischer Prozeß entwickelt: "Die Motivation der Informatiker ergibt sich erfahrungsgemäß aus der Situation im Unternehmen heraus, beispielsweise, wenn ein neues Problem ansteht. In der Regel schickt das Unternehmen seine Leute auch in Fortbildungskurse, um sie für ihre zukünftigen Aufgaben fit zu machen." Generell jedoch stimmt er zu, daß die Entscheidungsphase für einen Beruf schon während der Schulzeit einsetzen sollte. Danach sei es Aufgabe der Berufsberater, die Neigungen des Interessenten herauszuarbeiten und aufzuzeigen, welche Karrierechancen er damit im DV-Bereich habe.

Hermann Rampacher rät jedem, genau zu prüfen, ob er in Fächern wie Mathematik oder Physik gute oder sehr gute Leistungen vorweisen kann. Sprachen und Stärken in wirtschaftlichem Denken mehren die Erfolge im Informatik-Studium und später die Karrieremöglichkeiten im Beruf. Welche Bereiche er sich aussuchen sollte, hänge von seinen Neigungen ab. Darüber hinaus sollte ein Aspirant auch Eigenschaften wie Stehvermögen und einen langen Atem mitbringen. Wer diese Voraussetzungen nicht erfülle, werde wenig erfolgreich sein. "Notwendig ist in jedem Fall, daß man seine Chancen und Fähigkeiten richtig einzuschätzen weiß. Es genügt nicht, daß man sich erhofft, später einen lukrativen und relativ sicheren Arbeitsplatz aussuchen zu können", mahnt der Kienbaum-Berater.

Falschen Vorstellungen will Hewlett-Packard schon früh vorbeugen, Ulrich Bohn: "Unser Unternehmen gibt Schülern oft die Gelegenheit zu erfahren, was sie nach einem Informatik-Studium erwarten könnte. Uns fällt auf, daß ein Großteil ernsthaft wissen will, welche Chancen sie mit ihren Fähigkeiten für eine Aufgabe in unserem Bereich haben. Sie wollen nicht nur erfahren, ob es sich lohnt in die DV-Branche einzusteigen. Sie merken in den vierwöchigen Praktika sehr schnell, ob ihre Neigungen für diesen Beruf ausreichen oder nicht." Hochschulabsolventen, so hat man im Münchener HP-Vertriebsbüro festgestellt, bringen zwar nicht hundertprozentig genaue Vorstellungen von dem mit, was sie erwartet, aber die groben Züge sind ihnen schon bekannt.

Heinz Streicher plädiert dafür, das Problem bereits im Studium anzugehen: "Der theoretische Charakter der Informatik sollte unbedingt durch ein anwendungsorientiertes Zusatzfach ergänzt werden." Der Unternehmensberater sieht im Gegensatz zu anderen Experten, daß die Hochschulen bereits reagiert haben. Inzwischen werden neue Studiengänge wie Wirtschaftsinformatik angeboten. Studenten anderer Fachbereiche können in Zusatzkursen Kenntnisse der Informationsverarbeitung erwerben.

Lothar Gügel warnt davor, die Informatik als Karriere-Schlupfloch anzusehen: "Vorsicht ist geboten, wenn das Fach Informatik nur aufgrund der derzeit hohen Bedarfslage studiert wird. Die Lehrerschwemme sollte als mahnendes Beispiel dienen. Für den Informatiker-Beruf sehe ich diese Gefahr zwar nicht, aber ich rate denen ab, die in den Beruf einsteigen, sich aber nicht ständig weiterbilden wollen und nicht mit ihrer ganzen Person hinter der Datenverarbeitung stehen. Es besteht in diesem Fall die Gefahr, keinen, oder nur mäßigen Erfolg zu haben. Wer sich für einen DV-Beruf entscheidet, muß einfach wissen, daß er zwar große Zukunftschancen hat, aber überdurchschnittlich oft an Weiterbildungsseminaren teilnehmen und sich ständig weiterbilden muß. Nur so können ihm langfristig ein attraktiver Arbeitsplatz garantiert und gute Karrierechancen in Aussicht gestellt werden." (Siehe auch Seite 46: "Integration ist Schlüssel für Informatiker. ")