DV-Generationskonflikt: Die beste Praxis ist eine gute Theorie

11.11.1983

Immer öfter bleiben im rasanten Innovationsprozeß der Datenverarbeitung die "alten DV-Hasen" auf der Strecke. Zwar verfügen die Männer der ersten Stunde über ein großes Potential an innerbetrieblichem Wissen, doch können diese Werte heute oft nur zum geringsten Teil die oft vorhandenen Ausbildungslücken kompensieren. Ihnen stehen nun zunehmend Hochschulabgänger mit viel theoretischem Wissen, aber wenig Erfahrung gegenüber. Um dieses "Human Gap" zu überwinden, gibt es nach Ansicht von Helmut Weber und Felicitas Albers vom Kölner Bifoa-Institut nur eine Möglichkeit: Alte DV-Hasen und Newcomer können nur dann sinnvoll zusammenarbeiten, wenn sie wirklich gewillt sind, die jeweiligen Vorteile der "anderen Seite" zu nutzen. ih

Günther Weizei Organisation und EDV, Westdeutscher Rundfunk Köln

Die sprunghafte hard- und softwaremäßige Entwicklung der EDV, bezeichnet als "Generationen", hat bei den Menschen, die die EDV bedienen (sollen) immer wieder neue Probleme aufgeworfen, die auch auf dieser Seite Generationsprobleme sind; dabei wird die Generation bei den Mitarbeitern in erster Linie von Qualifikation, Lern- und Anpassungsfähigkeit und weniger vom Alter bestimmt.

Bei der Ablösung der großen Lochkarten-Maschinensäle wurden auch viele Leiter abgelöst, (vorzeitig) in Pension geschickt, auf Sonder- und Ehrenposten versetzt oder auch einfach bei gleichem Gehalt herabgestuft.

Derzeit erleben wir, wie insbesondere viele sogenannte Anwendungsprogrammierer ums "Überleben" kämpfen. Durch Datenbanksysteme und komplexe fertige Softwarepakete ist (fast) kein Platz mehr für "handgestrickte" Programme. Einerseits sind einige Programmierer auch den neuen Anforderungen gar nicht mehr gewachsen, und andererseits werden zu den Datenbanksystemen zusätzliche Abfragesprachen angeboten, die mit jeder neuen Version immer anwenderfreundlicher und damit von Fachleuten unabhängiger werden.

Aber diese Probleme stellen sich nicht nur in der Abteilung EDV und Organisation, sondern auch in den Fachabteilungen. Wenn Karteien, Schreibund Rechenmaschinen, Aktenordnersysteme etc, durch Bildschirmarbeitsplätze ersetzt werden, so treten auch in diesen Abteilungen EDV-Generationsprobleme auf, obwohl (oder weil) diese Mitarbeiter vorher nie unmittelbar mit der EDV zu tun hatten. Auch hier werden Mitarbeiter durch Rationalisierung nicht mehr gebraucht beziehungsweise sind teilweise nicht in der Lage, die Umstellungsanforderungen fachlich-geistig zu erfüllen.

Die Gesellschaft, konkret der Betrieb, beziehungsweise die einzelne Abteilung muß diese Problemfälle tragen, ob durch Umsetzung auf einfachere Arbeitsplätze oder als "Sozialfälle".

Wie wird es in Zukunft aussehen:

1. Fachlich werden die jungen Menschen besser vorbereitet auf die Arbeitsplätze kommen; der Umgang mit EDV ist künftig ein Selbstverständnis. 2. Das Wichtigste wird künftig ein Wechsel in der Einstellung sein. Die Generation, die meinte, daß mit Schulabschluß das Lernen beendet ist, muß von

einer Generation abgelöst werden, die von den drei großen Ls (Lang Life Learning) geprägt ist.

Dr. Felicitas Albers Heirnut Weber Betriebswirtschaftliches Institut für Organisation und

Automation an der Universität Köln

Die Verwendung des Generationsbegriffs in der Datenverarbeitung kennzeichnet im allgemeinen die Entwicklungsstufen der Informationstechnologie und steht damit im Gegensatz zum hier diskutierten personellen Generationenbegriff. Der heutige, durch Miniaturisierung der Hardware und ihre verstärkt dialogorientierte Anwendung charakterisierte Stand der EDV kann durchaus als vierte Computergeneration gekennzeichnet werden. Bedinqt durch die Schnelligkeit der technologischen Entwicklung nimmt die Dauer der Generationszyklen - im Gegensatz zum menschlichen Generationszyklus - immer mehr ab. In diesem asynchronen Verlauf menschlicher und technologischer Generationszyklen dürfte die Ursache eines bisweilen konstatierten (personellen) Generationenkonfliktes in der Datenverarbeitung liegen.

EDV-Fachleute, deren Ausbildungs- und Erfahrungsstand um einen relativ geringen Zeitraum von etwa 10 Jahren differiert, trennen technologisch Generationen. Eklatantes Beispiel hierfür ist der häufig anzutreffende Dissenz zwischen am Batch-Betrieb orientierten "alten Hasen" und dialogorientierten "Newcomern". Dies äußert sich beispielsweise in einer bisweilen höheren Priorität von Batch-Läufen gegenüber Dialoganwendungen im RZ-Betrieb oder auch im unzulänglichen Einsatz dialogfähiger Terminals: Sie werden unsinniger Weise zur dialogisierten, aber zentralen Datenerfassung genutzt, anstatt sie in die Sachbearbeitung zu integrieren und so diverse belegorientierte Tätigkeiten zu vermeiden.

Einen weiteren "Generationenkonflikt" stellt die Alternative des zentralen beziehungsweise dezentralen EDV-Einsatzes dar. Die in diesem Zusammenhang bisweilen ideologisch anmutend geführte Diskussion verdeutlicht, daß hier nur scheinbar ein durch Altersunterschiede bedingter Generationenkonflikt vorliegt. Vielmehr ist es der Dis. sens unterschiedlicher Ciestaltungs- und Anwendungsphilosophien, die für den Ausbildungs- und Erfahrungsraum der jeweiligen EDV-Fachleute prägend waren. Nur wenn dies erkannt und durch entsprechende Maßnahmen der Aus. und Weiterbildung zu beeinflussen versucht wird, ist zu erreichen, was im Sinne eines sa. chadäquaten EDV-Einsatzes dringend erforderlich ist: Fragen der Dialog- oder Stapelverarbeitung, der Zentralisation oder Dezentralisation dürfen nicht ideologisch, sondern müssen vielmehr in Abhängigkeit von der jeweiligen Anwendung entschieden werden.

Die Ursachen des "Generationenkonflikts" sind sehr stark im Auseinanderklaffen von Anwendung und Ausbildungsstand zu sehen. Die Ausbildung hat gerade in der "Frühzeit" der EDV stark hinter der Anwendung hergehinkt. Zwischen den ersten DV-Anwendungen in unserem Lande - 1956 - und der Verabschiedung der Ausbildungsordnung für den DV-Kaufmann - 1969 - liegen schließlich 13 Jahre. Dabei zeigt sich deutlich, daß die rasante technologische Entwicklung, der Eingriff der Informations- und Kommunikationstechnik in immer weitere Anwendungsbereiche, insbesondere aber das Zusammenwachsen der traditionell getrennten Funktionsbereiche Datenverarbeitung, Textverarbeitung und Kommunikation neue, veränderte Tätigkeiten, aber auch neue Berufsinhalte und -bilder mit sich bringt und bringen wird.

Dies erfordert die Abkehr von traditionellen Denk- und Verhaltensweisen. Der DV-Manager wird sich zum Informations- und Kommunikationsmanager entwickeln müssen, DV-Organisatoren sind verstärkt gezwungen, "in Systemen: zu denken. Bei den Softwareproduzenten wird neben den Fertigkeiten, Techniken und Hilfsmitteln in erhöhtem Maße "Anwendungswissen und Benutzerverständnis" erwartet.

Die neuen Anforderungen bedingen Qualifikationen, denen nur mit Aus- und Weiterbildung begegnet werden kann. In einer Zeit, in der Informatikunterricht zunehmend Eingang in die allgemeinen und berufsbildenden Schulen findet, in der Home- und Hobby-Computer dabei sind, zum Spielzeug der Zehnjährigen zu werden, scheint das Gebot permanenter Aus- und Weiterbildung an die erfahrenen Praktiker unumgänglich. Ebenso muß die Grundstruktur der Erstausbildung einen Wandel erfahren. Neben der Basisqualifikation für die Anfangsstelle muß sie insbesondere Grundlage von Aus- und Weiterbildung sein. Berufsqualifikation basiert schließlich auf Erstausbildung, Erfahrung und Weiterbildung. Die "alten Hasen" und "Newcomer", Erfahrung und Wissen, Praxis und Theorie können dann sinnvoll kooperieren, wenn beide "Seiten" gewillt sind, die "komparativen Vorteile" der "anderen Seite" zu nutzen. Schließlich gilt immer noch: Die beste Praxis ist eine gute Theorie.

Dieter Tolz, EDV-Personalberater, Karben

Ich konnte bisher im EDV-Bereich beim Anwender ein Generationsproblem zwischen sogenannten alten DV-Hausen und Newcomern nicht feststellen. Wir wissen, daß unsere Branche ständiger Weiterentwicklung unterworfen ist und da kann es jedem EDV-Leiter oder sonstigem Vorgesetzten nur gelegen sein, wenn er Diplom-Kaufleute oder Informatiker, die bereits über Praxis in der EDV verfügen, in seine Mannschaft aufnehmen kann. Sie bringen neue Ideen ein oder helfen ihm, Abläufe zu verbessern, Neukonzeptionen up to date" zu halten und vieles mehr. Andererseits wissen die jungen Akademiker oder sie lernen es sehr schnell -, daß ihnen die sogenannten "alten Hasen" etwas ganz Wesentliches voraus haben, nämlich die Berufspraxis in der EDV. Jeder erkennt sehr schnell, daß für den Weg nach oben Berufspraxis erforderlich ist und in der EDV die fachliche Kompetenz eine ganz wesentliche Rolle spielt. Ich halte die Mischung aus jungen Akademikern mit gutem theoretischen Wissen und der berufserfahrenen Mannschaft über 40 Jahre bis Anfang 50 für ein gegenseitigem Geben und Nehmen. Sicher wird es immer wieder Integrationsprobleme geben, dies kann man aber dann nicht pauschal auf das Konto "Generationsprobleme" buchen.

Franz Lamine DV-Leiter, Döhler GmbH & Co. KG, Darmstadt

Immer häufiger trifft man auf ein inzwischen fast typisch gewordenes Symptom.

Wie vielerorts auch, ist es das Imponiergehabe" unter DV-Leuten, der Gruppe also, die wir wohl am besten beurteilen können. Geht man nun ein klein wenig hobbypsychologisch der Frage nach: Warum ist dies so?", so wird man häufig feststellen können, daß dieses Verhalten bereits eine Schutzmaßnahme darstellt, der Beginn einer defensiven Haltung sowie das Blockieren von Detaildiskussionen untereinander.

Da wird mit Computerchinesisch um sich geschlagen, daß man oft meint, es sei an der Zeit, ein Seminar für "EDV-Rhetorik" belegen zu müssen. Wirft man aber einen Blick auf seine Diskussionspartner, so stellt man fest, daß sie bereits allen Altersklassen zugehörig sind. Zu selten findet man eine aufgeschlossene Diskussion zwischen jungen und älteren Jahrgängen.

Ist es nun einerseits die Angst, "wirtschaftsinformatorisch", oder noch neudeutscher nicht mehr auf der Höhe zu sein, oder ist es andererseits der Zugzwang, sich gerade diesbezüglich profilieren zu müssen? Sicher gibt es noch mehr derartige Gesichtspunkte.

Gibt es nicht doch irgendwo eine Ausgewogenheit? Innovationsprozesse in unserem Metier sind - verglichen mit anderen Disziplinen - immens schnellebig. Das wissen wir, und wir leben damit. Wir wissen aber auch, daß gerade aus diesem Grund der Lehr- und Übermittlungsprozeß über den dagegen relativ trägen Verwaltungsapparat unserer Hochschulen und Universitäten, dieser Schnellebigkeit nicht standhalten kann. Als Folge davon trifft man hier häufig hochkompliziertes -Halbwissen an.

Da wird unter den Älteren unter uns ein enormes Potential an EDV- und innerbetrieblichem Wissen sowie die Kenntnis um die Entwicklungsprozesse der EDV verwaltet, kann aber leider meist nicht mit hochschulreifer Betriebswirtschaft oder Wirtschaftsinformatik ergänzt und auch nicht mehr ' vorbehaltlos angewendet werden. Andererseits aber muß ebenso objektiv festgestellt werden, daß dem frischgebackenen Wirtschaftsinformatiker eben diese noch fehlen, um produktiv tätig sein zu können. Was nützt der Führerschein - ohne Auto.

Die Theorie der Fibonacci'schen Zahlenfolge, oder das Prinzip relationaler Datenbankverfahren, brauchen heutzutage nicht mehr im Unternehmen erfunden zu werden, Vielmehr müssen die Mitarbeiter der Fachabteilungen im Unternehmen mit den Grundprinzipien der DV-Methodik vertraut gemacht, und die praktikable Handhabung diverser Softwarepakete auf verständlicher Basis zum Anwender gebracht werden.

Der "EDV-Psychologe" ist hier eine der wichtigsten Grundvoraussetzungen für eine funktionsfähige EDV-Abteilung. An diesem Prozeß sollten die die alten EDV-Hasen" bemüht sein, mit ihrem Erfahrungspotential teilzuhaben. Sie sollten die Vermittlerrolle zwischen der- EDV und den mehr und mehr qualifizierten Mitarbeitern der Fachabteilungen anstreben, bevor sie unter dem Eindruck "von der Technisierung überrollt" zu werden, in die Knie gehen. Es wäre wünschenswert, zwischen beiden Fronten mehr Akzeptanz und Toleranz zu schaffen, um nicht das Risiko eingehen zu müssen, daß auf beiden Seiten eigene Brötchen gebacken werden. Rechtzeitig zu reagieren, muß auch im Interesse des Arbeitgebers liegen! Bevor nun so manch ein strebsamer und selbstbewußt agierender Nachwüchsler seine Flut von Zertifikaten und Diplomen vor den künftigen Arbeitgeber (oder zum Arbeitsamt) trägt, hier ein vorsichtiger Tip: Beurteile deine Größe nicht nach der Länge deines Schattens, wenn du dich nicht vorher vom Stand der Sonne überzeugt hast. Vielleicht wird dich doch der andere lächelnd das Laufen lehren müssen.

Sigmund Braun, DV-Manager, Chase Bank AG, Frankfurt

Der heutige Konflikt der Generationen . unterscheidet sich in seiner grundsätzlichen menschlichen Problematik nicht wesentlich von dem früherer Zeiten.

Was heute, jedoch verschärfend im EDV-Bereich dazukommt, ist der permanente und rasante, mit anderen Disziplinen kaum vergleichbare Innovationsprozeß.

Die gesamte Problematik des heutigen Human GAP darf aus meiner Sicht nicht nur, wie oft in der Vergangenheit, als ein individuelles menschliches oder betriebliches, sondern als ein gesellschaftspolitisches Problem gesehen werden.

Wir dürfen nämlich bei allem technischen Fortschritt, dem wir uns nicht entziehen können, das Umfeld - und das sind die Menschen - nicht aus dem Auge verlieren.

Da muß doch ein sogenannter EDV-Pionier auf dem Messestand erleben, wie zwei Dreizehnjährige mit Nonchalance über die Computerei fachsimpeln. Die für ihn bis dahin noch heile mystische EDV-Welt stürzt in ihm wie ein Kartenhaus zusammen. Was ihn dabei besonders beunruhigt, ja erschreckt, sind die Fachkenntnisse der beiden.

Diese beiden jungen Leute sind dem Computeranalphabetentum entronnen und haben sich darauf vorbereitet, die Zukunft zu bewältigen.

Die Konsequenz aus diesem Erleben ist: Die Älteren müssen wieder lernen, lernen, um ebenfalls die Zukunft meistern zu können, und sei's sobald wie möglich, denn die zukünftige Zukunft wird uns immer schneller erreichen.

Im übrigen gilt dies nicht nur für bestimmte Altersgruppen oder Job-levels, die wieder auf die Schulbank müssen, sondern sowohl für die Sekretärin wie auch für den Manager.

Ältere Menschen verfügen meist über Werte, die sie jungen Leuten überlegen machen, wie beispielsweise Urteilsfähigkeit, verantwortliches Handeln und Erfahrung. Die Werte können aus heutiger Sicht nur noch zum Teil Minderwissen kompensieren.

Nun stellen sich beim Lernen zwei wesentliche Probleme in den Weg, nämlich der Faktor Zeit und die begrenzte physische Aufnahmefähigkeit. Diese Problematik sollte heute jedoch mit Hilfe neuer Lehrmethoden und Tools lösbar sein. Ich denke dabei an Video und Btx.

Wer sich der Notwendigkeit des Lernen müssens entzieht, gefährdet nicht nur seine Existenz, sondern sorgt automatisch für weitere Generationskonflikte.