DV-Chefs sind verärgert: OSF bremst Durchbruch von Unix

16.12.1988

Herstellergruppierungen mit dem Ziel, Standards zu schaffen, werden von vielen Anwendern kaum noch ernstgenommen. Verärgert allerdings haben einige DV-Profis die Machtkämpfe, die sich seit Monaten in der Unix-Szene abspielen - hervorgerufen durch die Gründung der Open Software Foundation. Schimpft Wolfgang Müller, Leiter EDV-Systeme der Tegut Stiftung in Fulda: "Unter dem Deckmantel von Standardisierungsbemühungen gründen Hersteller eine Organisation, verfolgen aber damit das Ziel, die Standards zu zerstören, die sich der Markt bereits gebildet hat." Bestätigt Manfred Hoffmann, Org./DV-Leiter bei der Merkur Direktwerbegesellschaft in Einbeck: "Seit der OSF-Gründung wissen wir nicht mehr, was sich im Unix-Bereich weiter tun wird." Vor allem aber, so Hoffmann, sei der Unix-Benutzer frustiert. "Den großen Schritt, den wir alle Anfang des Jahres in die Herstellerunabhängigkeit gesehen haben, ist durch die OSF mehr als gebremst worden."

Rainer Sitzmann

Leiter Organisation/Informationssysteme,

SH-Schieder-Möbel Holding GmbH, Schieder

Mittlerweile irritieren Herstellergruppierungen der Art, wie sie gerade in diesem Jahr entstanden sind, mehr, als man sie ernstnehmen kann. Die dahinterstehende Strategie ist jedoch ziemlich klar. Unter dem Anstrich, das Beste für den Anwender zu wollen, tun sich Anbieter zusammen, um angeblich Standards zu schaffen. Diese sollen Investitionsentscheidungen erleichtern, Investitionen zukunftsträchtig sichern und damit dem Anwender helfen. Tatsächlich geht es jedoch darum, Marktvorteile zu gewinnen, den eigenen Kuchen zu vergrößern und den Kontrahenten Anteile zu verwehren.

Die IBM will den Mikrokanal in der PC-Welt zum neuen Standard machen, die EISA-Gruppe möchte dies mit einem offenen Gegenkonzept verhindern. IBMs Ziel ist es, mit dem Mikrokanal dem Preiskampf zu entrinnen, den ihr beim ersten Industriestandard MS-DOS die Cloner bescherten und ihr herbe Verluste im PC-Geschäft beibrachten. Die Kompatiblen wiederum wollen sich aber auch weiterhin ein gehöriges Stück vom IBM-Kuchen abschneiden. Die Belange des Anwenders sind unter "ferner liefen" angesiedelt.

Szenenwechsel: Die Open Software Foundation (OSF) formierte sich aus Herstellern die bislang mit Unix nicht viel im Sinn hatten. Ihr Ziel ist es, den Alleingang von AT&T in Sachen Unix zu unterbinden. Dies kann sich AT&T natürlich nicht gefallen lassen. Ergo: Man gründet eine Anti-OSF-Gruppe. Seitdem streiten sich beide Parteien recht medienwirksam in der Öffentlichkeit und haben dabei nur ein Ziel vor Augen: die Vormachtstellung bei Unix zu erlangen. Die Interessen des Anwenders sind dabei ohne Bedeutung.

Sicherlich hat die Vergangenheit gezeigt, daß solche Vereinigungen auch zum Erfolg führen können - für den Anwender. Die OSI-Gruppe schuf die ISO-Norm, X/Open machte sich um die Standardisierung von Unix verdient. Doch was derzeit zwischen der OSF und Unix International abläuft, das ist für den Anwender ein Jammerspiel. Hier wird gar nicht erst versucht, den Gedanken Unix - der ohnehin noch sehr unausgegoren ist - konsequent weiterzuentwickeln und weiterzudenken um dem Kunden dann deutliche Verbesserungen im Unix-Sektor präsentieren zu können. Im Gegenteil: Man versucht auszuweichen, legt einen neuen Grundstein - und hofft, damit irgendwann im Kampf um den Kunden die Nase vorn zu haben.

Die Anbieter sollten ihre Zeit nicht damit vergeuden, Interessengruppen zu bilden, sondern zur Abwechslung einmal wirklich wieder Standards schaffen. Es gibt im DV-Alltag ausreichend Themenkreise, die dringend nach einer einheitlichen Herstellerlinie verlangen. Ein Beispiel von vielen ist das Problem der Druckerschnittstellen. Würden die Anbieter hier endlich einmal an einem Strang ziehen und die Datenübertragung zur Steuerung des Druckers vereinheitlichen, dann wäre dies für den Anwender eine überaus sinnvolle und hilfreiche Entscheidung. Doch solche Probleme gehen die Hersteller in der Regel nicht an; jeder will sich schließlich seine Pfründe sichern. Die Eigeninteressen der Hersteller trüben schon sehr den Blick für Normen und Standards

Somit bleibt dem Anwender nur eine Möglichkeit: Er muß - wie gehabt - seinen Weg selbst bestimmen. Er darf sich weniger denn je von Herstellerversprechungen blenden lassen und schon gar nicht solchen Gruppierungen wie beispielsweise OSF vertrauen. Denn diese können dem Anwender in seiner Entscheidungsfindung nicht helfen. Sie verunsichern ihn nur.

Kann das die "Vision 2000" sein?

Manfred Hoffmann

Leiter Org./DV, Merkur

Direktwerbegesellschaft mbH & Co. KG,

Einbeck

Anfangs war ich der Meinung, daß sich die beteiligten Hersteller mit der Gründung der Open Software Foundation gegen die Lizenzpolitik von AT&T zur Wehr setzen wollten. Damals hatte AT&T angekündigt, die gesamte Lizenzierung von Unix erheblich zu straffen. Doch was sich in den vergangenen Monaten alles in und um diese Formation herum abgespielt hat, läßt immer mehr Fragezeichen bei mir als Anwender aufkommen. Vieles paßt nicht zusammen. So muß allein die Konstellation der Hersteller verwundern, die in der OSF vertreten sind. Siemens, Nixdorf, Bull, Digital Equipment - um nur einige zu nennen -, die sonst so vehement gegen die IBM streiten, sitzen auf einmal mit ihr an einem Tisch. Davon abgesehen, daß normalerweise sowieso jeder von ihnen sein eigenes Süppchen kocht.

Am meisten erstaunt aber, daß die OSF-Mitglieder sich nun von dem vorhandenen Unix-Standard abwenden, obwohl die meisten von ihnen ihr eigenes Unix-Derivat haben, das - so betonen sie immer wieder - X/Open-kompatibel ist. Sie wollen jetzt gemeinsam auf der Basis von IBMs AIX Produkte schaffen. Wird es demnächst mehrere Standards geben? "AT&T-Unix", "OSF-AIX", "X/Open-...ix" - oder noch mehr?

Dies alles muß den Anwender, der bereits stark in Unix-Lösungen investiert hat, doch sehr verunsichern. Wir sind zum Beispiel seit einiger Zeit dabei, unsere gesamte Dialogverarbeitung Stück für Stück auf Unix umzustellen. Dabei bewegen wir uns schwerpunktmäßig auf der Sinix-Schiene Richtung X/Open. Seit der OSF-Gründung wissen wir aber nicht mehr, was sich im Unix-Bereich weiter tun wird. Können wir auch in Zukunft auf die Unix-Versionen bauen, die von der X/Open Group festgelegt wurden und in einigen Unternehmen bereits im Einsatz sind? Oder müssen wir mit gravierenden Veränderungen rechnen und uns irgendwann mit ganz neuen Unix-Standards auseinandersetzen, die unsere bereits getätigten Investitionen hinfällig machen?

Dabei sind vor allem die Anwender, die in allernächster Zeit Investitionsentscheidungen treffen müssen, in einer mißlichen Situation. Dies ist bei uns im kommenden Jahr der Fall, weil unsere derzeitigen Unix-Anlagen kapazitäts- und leistungsmäßig nahezu an ihren Grenzen angelangt sind. Im Augenblick sehen wir die einzige Möglichkeit darin, auf den Unix-Standard zu setzen, der derzeit am Markt verfügbar ist. Dabei wollen wir auch bleiben und werden deshalb vehement versuchen, mit der Forderung auf unseren Hersteller einzuwirken, diese Versionen auch in Zukunft zur Verfügung zu stellen.

Doch der Anwender ist nicht nur verunsichert, sondern auch sehr frustriert. Denn der große Schritt, den wir alle Anfang des Jahres in die Herstellenunabhängigkeit tun wollten ist durch die OSF-Gründung mehr als gebremst worden Die Bildung dieser Organisation hat eine Entwicklung, nämlich den Durchbruch von Unix, die mit diesem Jahr nun endlich in Gang gekommen war, inzwischen fast zum Erliegen gebracht. Damit muß der Anwender nicht nur einmal mehr Herstellerkämpfe auf seinem Rücken austragen lassen. Vielmehr bleiben auch seine Interessen wieder einmal auf der Strecke.

Wolfgang Müller

Leiter EDV-System, Tegut Stiftung,

Fulda

Die Gründung der Open Software Foundation ist in meinen Augen nichts anderes als ein Boykott des bestehenden Unix-Standards von AT&T. Denn: In der OSF sind genau die Hersteller vertreten, die zwar immer wieder für offene Systeme plädieren, diese aber in Wirklichkeit mit aller Macht verhindern wollen. Schließlich würde die Möglichkeit des Anwenders, sich unabhängig am Markt zu bewegen, die gesamte Produktgestaltung, das gesamte Produktmanagement der meisten Anbieter in eine nicht wünschenswerte Richtung lenken. Ergo: Unter dem Deckmantel von Standardisierungsbemühungen gründen diese Hersteller eine Organisation, verfolgen aber damit das Ziel, die Standards zu zerstören, die sich der Markt bereits gebildet hat. Wie so oft stehen hier eindeutig die Interessen der Anbieter im Vordergrund: Sie wollen die eigenen Betriebssystem- beziehungsweise Rechnerstrategien durchsetzen. Die Interessen der Anwender hingegen bleiben unberücksichtigt. Schlimmer noch: Der Benutzer wird völlig verunsichert.

Deshalb hat der Anwender, der sich mit dem Thema Unix auseinandersetzt, nur eine Chance: Er muß sich darüber klar werden, was die in der OSF vertretenen Hersteller mit ihrer Politik tatsächlich beabsichtigen. Nur wer sich ehrlich mit den Geschehnissen rund um die OSF befaßt und noch dazu wirklich eine Systemunabhängigkeit anstrebt, wird seinen Weg finden. Dieser wiederum kann nur so aussehen, zumindest vorerst den Unix-Konzeptionen zu folgen, die bereits vor der OSF-Gründung vorhanden waren. Unser Haus hat so verfahren. Denn wir sind gerade dabei, innerhalb eines Filialwarenkonzeptes eine eigenständige, vom System möglichst unabhängige Lösung zu realisieren. Als nun die Diskussionen um OSF anfingen, analysierten wir die Situation und kamen zu dem Schluß: Wir gehen nicht den Weg der OSF, sondern orientieren uns auch weiterhin an dem AT&T-Standard, sprich: den Konzeptionen der X/Open. Dieser Ansatz erscheint uns aus der Historie heraus der ehrlichere in diesem Markt zu sein. Mehr als ärgerlich ist dabei, daß sich durch die Gründung der OSF der Durchsetzungsprozeß von Unix verzögert hat. Der Unix-Markt hatte in diesem Jahr sicherlich schon eine wesentlich positivere Entwicklung genommen, wenn die OSF hier nicht Sand ins Getriebe gestreut hätte. So jedoch ist für den Anwender kostbare Zeit verloren gegangen.

Dennoch bin ich ganz sicher daß die Unix-Entwicklung nicht aufzuhalten ist. Der Anwender will Systemunabhängigkeit, und er wird auch künftig vehement von den Herstellern fordern, Standards zu schaffen, die zur Öffnung der Systemwelt führen. Das Spezialistentum der letzten Jahre gehört der Vergangenheit an. Die Anbieter, die lange Zeit ihren Kunden vorschrieben, was sie an Systemen anzuschaffen haben, werden in ihrer Macht immer schwächer - denn der Markt schreit nach Standards. Dieser Entwicklung wird sich jeder Hersteller über kurz oder lang anpassen müssen. Und dabei werden gerade die erfolgsverwöhnten nicht wenig zu kämpfen haben.

Kommentar

Beate Kneuse

lgnoranz kommt vor dem Fall

Viele bundesdeutsche DV-Chefs läßt das derzeitige Gerangel an der Unix-Front völlig kalt. "Wer oder was ist bitte OSF?" fragte beispielsweise ein DV-Leiter aus Norddeutschland, der um ein Statement zu diesem Thema gebeten wurde. Doch auch die Reaktionen von anderen Anwendern zeigen, daß hiesige DV-Profis Herstellergruppierungen im allgemeinen und der Anti-AT&T-Bewegung OSF im besonderen nur wenig Beachtung schenken. Typische Kommentare: "Interessiert uns nicht", "Darüber machen wir uns keine Gedanken", "Können wir nichts mit anfangen" oder "Nehmen wir nicht ernst" - ein Desinteresse, das schon an Ignoranz grenzt.

Mit Ignoranz aber kommt der Anwender sowohl der OSF als auch der AT&T-gelenkten Contra-Contra-Bewegung Unix International nicht bei. Im Gegenteil: Der Anwender muß - sofern er Systemunabhängigkeit anstrebt - diesen Machtkampf um die Vormachtstellung bei Unix mitverfolgen und für sich analysieren. Denn er hat letztlich die Hard- und Softwareentscheidungen zu treffen, die auch noch in ein paar Jahren für sein Unternehmen tragfähig sein müssen. Die Statements der Thema - der - Woche - Teilnehmer zeigen: Mehr denn je ist der Anwender gefordert, die wahren Interessen der Hersteller zu durchschauen und zu bewerten. OSF wie Unix International sind keine Vereinigungen zum Wohle des Anwenders: Sie haben den Vormarsch von Unix erst einmal ins Stocken gebracht.