Wiedereingliederung mit Hindernissen

DV-Ausbildung für straffällige Jugendliche

23.07.1976

ROCKENBERG - Wohl genauso einmalig wie der Versuch der Firma Hecker in Hattersheim (CW-Nr. 25 vom 18. 6. 76 "Eine Chance für Körperbehinderte") dürfte die Schulungsarbeit in der hessischen Jugendstrafanstalt Rockenberg sein: Dort werden seit mehreren Jahren straffällig gewordene Jugendliche, die eine Mindeststrafzeit von einem Jahr zu verbüßen haben, zu Datentypisten ausgebildet. Die Schüler werden aufgrund eines Eignungstests ausgewählt, der allerdings die Anforderungen bei weitem übertrifft, die Control Data an seine Seminarteilnehmer zur Ausbildung als Programmierer stellt. Am Anfang steht eine dreiwöchige Intensivschulung am IBM-Locher 029 mit täglichen Leistungs- und Fortschrittskontrollen. Nach erfolgreichem Abschluß werden die Ausgebildeten in den Produktionsbereich übernommen. Parallel dazu findet ein Kurs der hausinternen Volkshochschule statt, der sich "Einführung in die DV" nennt. Diese Bezeichnung ist nicht ganz passend, denn ich habe Operatoren mit mehrjähriger Berufserfahrung kennengelernt, die vielleicht gerade die Hälfte des Wissens besaßen, das die entlassenen Strafgefangenen vorweisen konnten.

Ausbildung bis zum Programmierer

Zieht sich die Strafe über einen längeren Zeitraum hin, so kann anschließend an die Einführung ein Kurs belegt werden, der ziemlich umfangreiche Kenntnisse in verschiedenen Programmiersprachen vermittelt (Assembler, COBOL; PL/1). Seit längerer Zeit laufen Verhandlungen mit dem hessischen Kultusministerium und der IHK, die den Jugendlichen eine Abschlußprüfung als Datenverarbeitungskaufmann ermöglichen sollen (bisher allerdings erfolglos). Trotz allem ist die Bilanz relativ positiv. Seit Bestehen der Einrichtung(mehr als sechs Jahre) gingen daraus etwa sechs Programmierer, zehn Operatoren und etliche Datentypisten hervor. Leider hinkt die Praxis der Leute etwas nach, da erst in der letzten Zeit außer Schulungsunterlagen auch einige Hardware gespendet wurde. Selbst unser geliebter Marktführer zeigt sich hier eher knauserig.

Karriere endet beim Einstellungsgespräch

Ich kann an meiner eigenen "EDV-Karriere" die theoretisch bestehenden Chancen aufzeigen: Ich habe mich im November 72 für den Kurs angemeldet und kam im Februar 73 in die JVA Rockenberg. Noch am selben Tage begann die Schulung. Ich schloß einen VHS-Kurs und die Datentypisten-Ausbildung ab. Nach meiner Entlassung war ich fünf Monate in einem Service-Büro als Datentypist tätig und wurde dann Operator an einer IBM 370/125. Nach einem Jahr wechselte ich als Junior-Programmierer zu einem MDT-Hersteller. Ich bin heute Programmierer an einer IBM 370/158 (1 MB, OS/VS 1). Doch leider läuft es bei den meisten Entlassenen nicht so gut. Wenn beim Einstellungsgespräch die Frage "Sind Sie vorbestraft?" fällt, ist das Gespräch meist schon beendet.

Das Problem besteht darin, daß nur selten Firmen bereit sind, Vorbestrafte einzustellen. Gerade die alteingesessenen Hersteller-Firmen mit gutem Namen sind in dieser Beziehung äußerst konservativ, obwohl gerade sie am besten in der Lage wären, etwas für die Eingliederung dieser Jugendlichen zu tun.

Es fehlt an Stellen, Hardware und Schulungsmaterial

Um Jugendlichen eine Chance zur Wiedereingliederung zu geben, fehlt es an Schulungsmaterial, Hardware und an Stellen. Gesucht werden Firmen - bevorzugt aus Hessen -, die bereit wären, einen Entlassenen nach DV-Ausbildung in Rockenberg einzustellen. Wer keine Stelle hat, kann auch mit überflüssigen Ausbildungsunterlagen oder mit ausrangierter Hardware (es gibt sogar eine Spendenbescheinigung dafür) helfen. Kontaktanschrift: Ralf Knerr, 6 Frankfurt 60, Berger Straße 420, oder Redaktion Computerwoche, 8 München 40, Tristanstraße 11.