"Drei Monate Auszeit sollte man sich nehmen, um sich gewinnbringend orientieren zu koennen"

12.01.1996

CW: Wie bringen Sie Ihre Teilnehmer dazu, neuen Mut zu schoepfen?

Mueller: Wer im Alter von 50 Jahren mit dem Verlust seiner beruflichen Aufgaben konfrontiert wird, muss den Kopf nicht unbedingt in den Sand stecken. Anstatt mit sich selbst ins Gericht zu gehen oder sich zum Opfer zu stilisieren, sollte man die eigenen Staerken und Schwaechen ausloten. Das grosse Erfahrungspotential der Teilnehmer nutzen wir, um konkrete Erfolgsfaktoren und notwendige Marktchancen zu erarbeiten. Ich ermutige die Menschen, nach vorne zu blicken und eine zukunftsfaehige Perspektive zu entwickeln.

CW: Ihr Kurskonzept ist sehr ans Marketing angelehnt, warum?

Mueller: Die Grundregel des Marketings lautet: das richtige Angebot zum richtigen Zeitpunkt am richtigen Ort. Genauso muessen Ex-Fuehrungskraefte ihre Staerken analysieren und ihre Phantasie spielen lassen. Jeder ist sein eigener Verkaeufer. Ich muss den Teilnehmer stark machen, damit er erstens an sich glaubt und zweitens seinen Kunden vom Nutzen seines Angebots ueberzeugen kann.

CW: Ist das schematische Denken in dieser Altersgruppe nicht besonders ausgepraegt?

Mueller: Dies kann ich nur mit den Worten eines ehemaligen Geschaeftsfuehrers beantworten: "Sie glauben gar nicht, wie angepasst und eingeengt wir eigentlich gearbeitet haben. Wir haben die Firma immer mit den Vorgaben der Vergangenheit weiterentwickelt. Jetzt ist das genaue Gegenteil gefragt, naemlich die Grenzen der Vergangenheit zu ueberwinden und neue Moeglichkeiten ausfindig zu machen. Und wenn man dafuer einmal den Blick geschaerft hat, dann findet man auch den Weg."

CW: Welche Fehler unterlaufen den Betroffenen am haeufigsten?

Mueller: Sich strategisch zu verhalten setzt voraus, dass man erst einmal die Lage sondiert und nicht sofort loslegt. Ich habe mehrere Teilnehmer abgewiesen, die in ihrer Euphorie - auf der Basis ihrer Abfindungen - ohne klare Konzepte die naechsten groesseren Investitionen getaetigt hatten und damit ihre Krise nur noch verschlimmerten. Aktivitaet wird gegen den Geist gesetzt. Dies ist der schlimmste Fehler in der Bedraengnis: zu schnell auf der Erfolgsseite sein zu wollen. Drei Monate Auszeit sollte man sich mindestens nehmen, um sich gewinnbringend orientieren zu koennen. u

Mit Heinrich Mueller, Veranstalter des Muenchner Seminars "Erfahrungen zu Chancen machen", sprach Winfried Gertz.