Gastkommentar

Dornroeschen Telearbeit hat einen marktwirtschaftlichen Kuss verdient

08.03.1996

Christian Zschaber, Institut fuer Politik- und Wirtschaftsberatung, Koeln

Gesucht werden erwerbstaetige Prinzen, die das Dornroeschen Telearbeit (Stand 1994: zirka 30 000 Telearbeitsplaetze in Deutschland) nachhaltig wachkuessen. Technische Verfuehrungskuenste sind dabei weniger gefragt als praktikable Ideen, wie mit den komplizierten nichttechnischen Aspekten der Telearbeit umzugehen sei.

Um als ueberzeugender Kuesser akzeptiert zu werden, muss der Prinz eine ganze Menge Probleme loesen:

- soziale (Stichworte: Vereinsamung, Selbstausbeutung, Motivation, Privatheit, Akzeptanz),

- organisatorische (Kontrolle, Kommunikationssicherheit, Datensicherheit, Zielsicherung),

- juristische (Mitbestimmung, Arbeitnehmerstatus, Zutritt zum Arbeitsplatz, Kostenteilung, Versicherung),

- betriebswirtschaftliche (Kosten/ Nutzen, Produktivitaet, Messbarkeit) und

- technische (Standards und Offenheit der Systeme, Mensch- Maschine-Schnittstellen, Sicherheit und Zuverlaessigkeit, Intelligenz der Systeme). Vom Prinzen wird auch ein Vorschlag erwartet, wo Telearbeit in der Regel stattfinden soll: zu Hause, unterwegs, im Satelliten- oder im Nachbarschaftsbuero.

Starke und divergierende Interessen beeinflussen die Diskussion ueber die Einfuehrung von Telearbeit. Soziale Aengste und Befuerchtungen werden geschuert, statt vorhandene empirische Untersuchungen und die bereits gemachten Erfahrungen ernst zu nehmen. Prognosen ueber die zukuenftige Ausbreitung der Telearbeit werden in Zweifel gezogen und als Schimaeren abgetan. Dem Management in den Unternehmen wird a priori die Faehigkeit abgesprochen, auch Telemitarbeiterinnen und -mitarbeiter zu fuehren und ergebnisorientiert zu kontrollieren.

Individual- und Kollektivrechte werden als hochgradig gefaehrdet angesehen, statt die vorhandenen gesetzlichen Bestimmungen pragmatisch durch Vereinbarungen ueber ausserbetriebliche Arbeitsstaetten auszulegen beziehungsweise Vereinbarungen mit den an Telearbeit Interessierten auf freiwilliger Basis zu treffen. Die Beispielreihe liesse sich beliebig fortsetzen.

Was folgt, ist hierzulande der Ruf nach dem Staat, nach einem alles regelnden Telearbeitsgesetz. Zugleich breitet sich die Telearbeit in anderen europaeischen Laendern und in Amerika schon kraeftig aus, wie Zahlen belegen.

Ueberzeugte Marktwirtschaftler geraten ins Abseits. Das marktwirtschaftliche Say´sche Theorem "Jedes Angebot schafft sich selbst seine Nachfrage" wird durch die unterschiedlichen Auslegungen und Forderungen der bestehenden gesetzlichen Rahmenbedingungen, die fuer die Telearbeit relevant sind, paralysiert.

Folgerichtig wird die Ultima ratio eines Telearbeitsgesetzes auf politischer Ebene diskutiert. Gewerkschaften interessieren an Telearbeit vor allem die Mitbestimmungsgesetze.

Nuetzlicher und marktwirtschaftlicher waere es, wenn Arbeitgeberverbaende und Gewerkschaften einen einheitlichen Kriterienkatalog ueber ausserbetriebliche Arbeitsstaetten mit Empfehlungscharakter erarbeiteten, der sozialvertraegliche, organisatorisch umsetzbare, juristisch haltbare und technisch realisierbare Vorgaben setzt.

Beispiele fuer erfolgreich eingesetzte Telearbeit gibt es bereits. In praxisnahen Workshops kann man sich darueber informieren. Die zahlreichen Verbaende und Organisationen der Informations- und Kommunikationsindustrie sind aufgerufen, endlich Flagge zu zeigen und das bei ihren Mitgliedsfirmen schon vorhandene Know-how nachhaltig in die politische Diskussion einzubringen. Die soziale Marktwirtschaft basiert auf dem Subsidaritaetsprinzip mit der Verantwortungszuweisung an die gesellschaftlichen Gruppen. Der Ruf nach dem Staat, um gesetzlichen Handlungsbedarf zu signalisieren, ist zu einfach, und ob er ueberhaupt etwas bringt, ist aufgrund der komplizierten und langwierigen Meinungsbildung und Entscheidungsfindung schwer vorherzusagen.

Veraenderungen in den gesetzlichen Regelungen koennen mehr Buerokratie erzeugen und innovative Unternehmen bremsen. Wenn denn aber ein Telearbeitsgesetz trotzdem sein muss, dann wenigstens eines mit marktwirtschaftlich gepraegten Inhalten, die die Einfuehrung der Telearbeit nicht erschweren, sondern foerdern.

Dornroeschen hat einen marktwirtschaftlichen Kuss verdient. Marktwirtschaftler, vereinigt euch! Dornroeschen wird euch dankbar sein.

P.S. Der Verfasser beabsichtigt, bei Frau Dr. Ursula Engelen- Kefer (stellvertretende Vorsitzende des DGB) und bei Herrn Dr. Norbert Bluem (Bundesarbeitsminister) den marktwirtschaftlichen Prinzen zu spielen.