Langfristig eine Stabsstelle oder Dienstleistungseinrichtung:

Dokumentationsstelle hat übergeordnete Funktion

10.06.1983

Das Dilemma mit der Dokumentation ist ein Problem, das jedem Softwareentwickler und jedem EDV-Anwender zur Genüge bekannt ist. Viele sehen den einzigen Weg, diesen Mißstand zu beseitigen, darin, ein maschinelles Dokumentationssystem einzuführen. Leider stellt sich dies häufig als Fehlentscheidung heraus. Denn zur Zeit gibt es kein System, das die vielfältigen Belange der Dokumentation (ihrer Erstellung, Verwaltung und Organisation) befriedigend unterstützt. Darüber hinaus wird häufig vergessen, daß die Einführung eines maschinellen Dokumentationssystems für spezielle Anwendungen, nämlich zur Unterstützung der Arbeit des Softwareentwicklers, in einer EDV-/Programmierabteilung, nicht unproblematisch und reibungslos vor sich geht und zumeist erhebliche organisatorische Probleme mit sich bringt.

So wie die eigene Berufswelt oft blind macht, glauben Softwareentwicklers häufig, die Einführung eines maschinellen Dokumentationssystems gehe "einfach so nebenbei vor sich, man kenne sich ja schließlich in der Materie aus". Aber das ist mit Sicherheit nicht richtig und führt recht bald zu mancherlei Enttäuschung, die nicht zu Lasten des Systems gehen darf, sondern eine Folge davon ist, daß die Dinge allzu leicht genommen wurden.

Der Einsatz des maschinellen Dokumentationssystems hat wesentliche organisatorische Zusatzaufgaben zur Folge, die am besten von einer Dokumentationsstelle wahrgenommen werden können.

Im folgenden wird erläutert,

- welche Aufgabe eine solche Stelle übernehmen kann,

- wie sie personell besetzt werden kann (welche personellen Voraussetzungen) und

- wie sie in die bestehende Organisation des Unternehmens oder der EDV-/Programmierabteilung integriert werden kann. (Vieles von dem was hier gesagt wird, trifft natürlich auch zu, wenn die Dokumentation manuell geführt wird, nur ist dann die Notwendigkeit einer Dokumentationsstelle nicht so zwingend.)

Die Dokumentationsstelle ist eingerichtet, bevor das maschinelle Dokumentationssystem eingeführt wird.

Die erste Aufgabe dieser Stelle ist es,

- in Zusammenarbeit mit den Softwareentwicklern (den eigentlichen Anwendern des zukünftigen Systems) das System auszuwählen,

- gemeinsam mit dem Rechenzentrum das System zu installieren und

- im Unternehmen einzuführen.

Die Dokumentationsstelle übernimmt die Schulung des Systems entweder selbst oder sorgt dafür, daß eine geeignete Schulung stattfindet. Geschult werden die Anwender des Systems (die Softwareentwickler) und alle Personengruppen oder Abteilungen, die im weitesten Sinne mit der Dokumentation eines Softwaresystems zu tun haben (zum Beispiel die Revisionsabteilung oder Instanzen, die Entscheidungsbefugnis über Softwareentwicklung haben). Das Rechenzentrum wird in der laufenden Abwicklung des Systems geschult.

Die Dokumentationsstelle berät die Softwareentwickler beim Arbeiten mit dem System und unterstützt sie bei speziellen Fragestellungen oder arbeitet auch aktiv an Dokumentationsaufgaben mit.

Die Beratung erstreckt sich schwerpunktmäßig auf Dokumentationsunterstützung bei

- Software-Neuentwicklungen,

- Software-Änderungsentwicklungen, -Erweiterungen, -Wartung,

- allen Retrieval-Aufgaben (Wiederauffinden von bereits dokumentierten, das heißt schriftlich festgehaltenen Informationen) während der Entwicklungsarbeit oder während des Einsatzes eines beliebigen Softwaresystems.

Kontaktstelle

Die Dokumentationsstelle pflegt den Kontakt zu allen Abteilungen, Stellen und Personen im Unternehmen, die von der Dokumentation im weitesten Sinne betroffen sind, ohne daß sie direkt mit dem in der Dokumentation beschriebenen EDV-System zu tun haben. Das sind zum Beispiel die Revision, der Betriebsrat, Entscheidungsgremien, kaufmännische Abteilungen, die die Wirtschaftlichkeitsberechnungen durchführen und andere.

Darüber hinaus pflegt die Dokumentationsstelle den Kontakt zum Hersteller/Vertrieb des maschinellen Dokumentationssystems, um

- Unstimmigkeiten im System, eventuell auch Fehler oder Fehlbedienungen so schnell wie möglich beseitigen zu können (denn das Dokumentationssystem ist ein Handwerkszeug, das der Softwareentwickler ständig benötigt),

- Änderungen, Erweiterungen im System zu erfahren und gegebenenfalls selber zu übernehmen und um

- eigene Anregungen zur Weiterentwicklung/Verbesserung weitergeben zu können.

Die Dokumentationsstelle erarbeitet zusammen mit dem Softwareentwickler im Rahmen einer Verfahrensanalyse, wie sie beim Einsatz jedes anderen EDV-Systems auch einmal jährlich durchgeführt wird, einen Erprobungs- und Erfahrungsbericht über das System. Anhand eines solchen Berichts lassen sich auch auf dem Wege einer Nachkalkulation Aussagen zur Wirtschaftlichkeits- und Nutzenanalyse des Systems ableiten.

Im übrigen werden Zufriedenheit oder Unzufriedenheit der Anwender und indirekt betroffenen Personen mit dem System festgestellt und daraus möglicherweise Konsequenzen gezogen.

Die Mitarbeiter der Dokumentationsstelle verfolgen die weiteren Entwicklungen maschineller Dokumentationssysteme auf dem Softwaremarkt.

Um die Dokumentationsprobleme im eigenen Unternehmen zu unterstützen (und das auch in einem wirtschaftlich vertretbaren Rahmen) muß unter Umständen ein neues Dokumentationssystem oder eine Erweiterung des bestehenden Systems vorgesehen werden. Dies zu erkennen, vorzubereiten und in die Wege zu leiten, ist Aufgabe der Dokumentationsstelle.

Die Dokumentationsstelle muß mit qualifiziertem Personal ausgestattet werden. Mitarbeiter einer Dokumentationsstelle sind Softwareentwickler, die sich schwerpunktmäßig mit den Aufgaben der Dokumentation von Software beschäftigt haben, die die Problematik kennen, Erfahrungen in der Dokumentation haben und entsprechend geschult sind (oder zu gegebener Zeit geschult werden). Sie brauchen umfangreiche Erfahrungen in der Entwicklung von Software und müssen sich mit den Zielen und Aufgaben der Dokumentation identifizieren. Sie benötigen Erfahrung im Umgang und im Einsatz mit EDV-Systemen, sollten also selber bereits einmal "Anwender gewesen sein.

Um die vielfältigen Aufgaben der Dokumentationsstelle erfüllen zu können, bringen sie geeignete Voraussetzungen mit.

Meist werden die Mitarbeiter der Dokumentationsstelle aus den Softwareabteilungen des Unternehmens selbst kommen, oder sie werden für die neu geschaffene Stelle zusätzlich eingestellt.

Die Integration der Dokumentationsstelle hängt natürlich wesentlich von der individuellen Organisation des Unternehmens ab. Die hier vorgestellten Möglichkeiten sind als Beispiele zu verstehen und müssen den unterschiedlichen Gegebenheiten angepaßt werden.

Die Dokumentationsstelle ist langfristig gesehen eine Stelle im Unternehmen, die den Charakter einer

- Stabsstelle oder

- Dienstleistungseinrichtung hat, weil sie nur dann ihre übergeordneten Funktionen wahrnehmen kann.

Kurzfristig wird dies jedoch in den meisten Fällen nicht möglich sein. Dann kann die Dokumentationsstelle als Teil der EDV-/Programmierabteilung oder als eigenständige Gruppe innerhalb einer Projektorganisation eingerichtet werden. In diesem Fall übernehmen die Mitarbeiter der Dokumentationsstelle neben den oben beschriebenen Aufgaben noch Tätigkeiten der EDV-/Programmierabteilung. Sie können zum Beispiel folgende Zusatzaufgaben übernehmen:

- Redaktionsstelle,

- zentrale Dokumentationsverwaltung,

- Qualitätssicherung,

- Softwaretechnologie-Beratung,

- Methodenberatung.

Wie auch immer die Dokumentationsstelle integriert sein mag und welche Aufgaben sie vielleicht zusätzlich noch übernimmt, wichtig ist die Festlegung folgender Einzelheiten:

- welche Funktionen führt die Stelle aus (und welche nicht),

- welche Zuständigkeiten bestehen,

- welche Verantwortungen,

- wie ist sie personell ausgestattet,

- wie wird sie finanziert,

- wie ist die Zusammenarbeit mit anderen Abteilungen oder Personengruppen,

- welche Schnittstellen bestehen zu diesen Abteilungen/Personengruppen.

Die hier beschriebene Funktion der Dokumentationsstelle wird sich in Zukunft noch wesentlich ändern.

Im Zuge der zu erwartenden maschinellen Unterstützung des gesamten Softwareentwicklungsprozesses (und nicht nur der Dokumentation als einer Tätigkeit aus diesem Entwicklungsprozeß, bei der es jedoch derzeit mit die größten Schwierigkeiten gibt) wird sie eine Beratungsstelle sein für

- Methoden,

- Organisation und

- maschinelle Unterstützung für sämtliche mit der Entwicklung von Software zusammenhängenden Tätigkeiten und Entwicklungsabschnitte. Das Stichwort in diesem Zusammenhang heißt "Software-Arbeitsplatz" und "Softwareentwicklungsrechner". Die Einführung solcher den gesamten Softwareentwicklungsprozeß unterstützenden Spezial-Softwaresysteme erfordert dann noch einmal einen hohen Integrationsaufwand. Die Integration einer Dokumentationsstelle kann hierzu ein erster Schritt sein.

Derzeit fehlen noch Erfahrungsberichte aus der Praxis über die Einrichtung einer Dokumentationsstelle. Zumindest gibt es keine Veröffentlichungen hierüber. Benutzer von Softwareentwicklungssystemen führen in Eigeninitiative einen Erfahrungsaustausch durch (zum Beispiel treffen sich die Anwender von "Delta" im Delta-Benutzerkreis; das System unterstützt auch Teilaufgaben der Dokumentation). "Dokumentation" lehren einschlägige Institutionen, mit Spezialfragen der Dokumentation beschäftigen sich Softwareberatungsunternehmen.

Eigene Dokumentationsstellen sind sicher "Pionier-Einrichtungen", mit deren Aufbau und Integration aber nicht gewartet werden sollte, bis einem die Probleme aktuell ins Haus stehen, sondern die eingerichtet werden sollten mit ausreichender Anlaufzeit und mit aus der Praxis gewachsenen Erfahrungswerten.

*Erika Baumann ist Unternehmensberaterin in München.