Beispiele für Nachhaltigkeit per Blockchain

DLT und Nachhaltigkeit - passt das zusammen?

23.10.2023
Von   IDG ExpertenNetzwerk
Susanne Rathgeb verfügt über 15 Jahre Erfahrung in IT Projekten, IT Beratung und zu verschiedenen Führungs- und Projektrollen in der Corporate IT. Die Autorin ist MBA-Absolventin Sustainability Management an der Leuphana Universität Lüneburg. Die Schwerpunkte ihrer aktuellen Tätigkeit liegen an der Schnittstelle zwischen Digitalisierung und Nachhaltigkeit und in der nachhaltigen Transformation von Unternehmen.
Distributed Ledger Technologien (DLT) wie Blockchain besitzen Potenzial für die Transformation von Unternehmen in nachhaltige Ökosysteme.
Recycelbare Verpackung im Versand zum Endverbraucher ist nur eines von vielen Gliedern in einer nachhaltigen Supply Chain.
Recycelbare Verpackung im Versand zum Endverbraucher ist nur eines von vielen Gliedern in einer nachhaltigen Supply Chain.
Foto: Chay_Tee - shutterstock.com

Dekarbonisierung, also die Minimierung des CO2-Fußabdrucks, gewinnt in Deutschland und in Europa derzeit massiv an Bedeutung. Bis 2045 soll Deutschland laut Klimaschutzgesetz treibhausgasneutral werden. Konkret bedeutet das: Von 746 Millionen Tonnen CO2-Äquivalent-Emissionen im Jahr 2022 auf Null im Jahr 2045. Dabei entfallen 420 Millionen Tonnen der einzusparenden Klimagase, also mehr als 50 Prozent, auf Industrie und Energiewirtschaft.

Bei der Umsetzung der vorgegebenen Ziele tun sich die Unternehmen jedoch schwer. Schon die eigenen CO2-Emissionen im Rahmen eines Nachhaltigkeitsberichts zu messen und zu dokumentieren, stellt sie vor Herausforderungen. Eine einheitliche Methodik für die systematische Datenerhebung fehlt. Interne Verantwortlichkeiten sind unklar, Prozesse und Strukturen für das Nachhaltigkeits-Reporting noch im Aufbau.

Mangels Primärdaten werden Sekundärdaten wie Emissionsfaktoren aus Lebenszyklus-Datenbanken oder näherungsweise Schätzungen von Verbräuchen herangezogen. Noch schwieriger ist es, die Emissionen entlang der gesamten Wertschöpfungskette zu bestimmen. Sie betragen nach Erkenntnissen des Carbon Disclosure Project (CDP) fast das Dutzendfache der direkten Emissionen eines Unternehmens. Doch laut CDP nimmt nur eines von zehn Unternehmen klimabezogene Anforderungen in Lieferantenverträge auf. Ein Grund dafür ist der Interessenkonflikt zwischen dem Bedarf an Transparenz des Gesamtprozesses und dem Bedürfnis der einzelnen Beteiligten, ihre Betriebsdaten zu schützen. Einen Ausweg aus diesem Dilemma weisen Distributed Ledger Technologien (DLT) wie Blockchain. Der Leitfaden "Blockchain und Klimaschutz" des Branchenverbands Bitkom etwa beschreibt, wie DLT die Schaffung eines Marktes für klimaneutral erzeugten Stahl mit sogenannten Grünstahlzertifikaten unterstützt.

Von der Zulieferindustrie bis zu den Endverbrauchenden: Mehr Nachhaltigkeit erfordert Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Von der Zulieferindustrie bis zu den Endverbrauchenden: Mehr Nachhaltigkeit erfordert Transparenz entlang der gesamten Wertschöpfungskette.
Foto: NTT DATA DACH

Vertrauenswürdig dank Blockchain

DLT-Anwendungen speichern Transaktionsdaten dezentral, transparent, kryptografiert und irreversibel. Diese Eigenschaften nutzen die 15 Mitglieder des 2022 gegründeten Vereins Estainium, um Emissionsdaten entlang der gesamten Lieferkette verfügbar zu machen. Die Plattform dafür liefert Siemens. Unter dem Namen Sigreen unterstützt sie die Abfrage, Berechnung und Weitergabe von Informationen über den realen CO2-Fußabdruck von Produkten, international bezeichnet als Product Carbon Footprint (PCF). Die dezentrale Architektur der Lösung dient dem Datenschutz aller Beteiligten. Mit Sigreen lassen sich an jedem Punkt in der Wertschöpfungskette kryptografische Zertifikate erstellen und austauschen, um die bereitgestellten Daten zu verifizieren. So können Unternehmen anhand der Daten aller Beteiligten den PCF über die gesamte Lieferkette abbilden.

Gleichzeitig können die beteiligten Unternehmen sicher sein, dass der Schutz ihrer strategisch relevanten Informationen gewahrt bleibt. Um sicherzugehen, dass die Angaben eines Lieferanten korrekt sind, können Kunden über die IDUnion-Blockchain dessen digitale Identität und die damit verbundenen digitalen Nachweise verifizieren. Da dieser Prozess automatisiert abläuft, können alle Beteiligten jederzeit schnell den aktuellen PCF abrufen und so zeitnah den Einfluss ihrer konkreten Maßnahmen auf das Gesamtergebnis kontrollieren und dokumentieren.

Dadurch senkt die Blockchain-Lösung gleichzeitig den Aufwand der Unternehmen für die gesetzlich vorgeschriebene CSR-Berichterstattung - nicht nur im Hinblick auf CO2-Emissionen oder andere Umweltfaktoren, wie etwa den Wasserverbrauch im Herstellungsprozess. Die Rückverfolgung von Lieferketten lässt sich ebenfalls mit Blockchain-Technologie unterstützen. Das belegt unter anderem die Anwendung der Food-Trust-Blockchain von IBM in den Lieferketten von Kaffee-, Textil- oder Fischproduzenten. Auch in der Gesundheitsbranche hat sich die Blockchain zu einer der wichtigsten Technologien entwickelt.

Mit Tokenisierung die Umwelt schützen

Zusätzliches Potenzial für nachhaltige Anwendungen bietet die Tokenisierung, unter anderem in Form von Non Fungible Tokens (NFT). Digitale Tokens von Anteilen an "Gütern" wie Regenwaldgebieten oder Mooren können diese als wirtschaftlich nicht nutzbare Gebiete mit einem ökonomischen Wert versehen und handelbar machen. Das Verfahren, das zuvor hauptsächlich im Bereich von Gaming und Digitaler Kunst sowie virtuellen Gütern im Metaversum Einsatz fand, wird unter anderem vom brasilianischen Unternehmen Nemus genutzt, um die Regenwälder des Amazonasgebietes vor weiterer Abholzung zu schützen.

Das Projekt Aerth von Adina Popescu nutzt NFT und Blockchain, um einen digitalen Zwilling zur Demonstration des Umweltzustandes der Erde zu dokumentieren und für Menschen überall auf der Welt erfahrbar zu machen - mit dem Ziel, mehr Bewusstsein und Engagement für den Schutz von Klima und Umwelt zu schaffen. Und das Berliner Startup Goodcarbon bietet mit goodcarbon.earth einen Blockchain-basierten Marktplatz für CO2-Zertifikate aus naturbasierten Klimalösungen.

Wirtschaftliche Nachhaltigkeit

Traditionelle Business-Konzepte, die streng unterscheiden in B2B- und B2C-Aktivitäten, sind Auslaufmodelle. Unternehmen transformieren sich weltweit in Richtung Netzwerkökonomie. Sie integrieren nicht nur B2B und B2C in übergreifende Geschäftsabläufe, sondern schaffen neue Modelle, wie B2B2C. Dabei sind die diversen B2B-Beziehungen nicht notwendigerweise linear organisiert, wie in einer klassischen Lieferkette, sondern immer häufiger um den (End-)Kunden herum. Und die Beteiligten wechseln situationsbezogen ihre Rolle. Beispielsweise werden Kunden von Mobilitätsdienstleistern zu Lieferanten von Nutzungsdaten, Bewertungen, Empfehlungen - oder auch von Energie.

Lesetipp: Bill of Lading goes Digital - Konossement per Blockchain spart CO2

In solch komplexen Wertschöpfungsnetzen kann die Blockchain-Technologie unter anderem das Micropayment zur Vergütung der Datenüberlassung regeln. Mehr noch: Sie kann steuern, wer wann welche Daten in welchem Umfang nutzen darf - und zu welchen Konditionen. Damit hat die Blockchain das Potenzial, zur treibenden Kraft für viele wirtschaftlich nachhaltige Geschäftsmodelle von morgen zu werden. Und nach Einschätzung der Konferenz der Vereinten Nationen für Handel und Entwicklung (UNCTAD) stellt die Blockchain-Technologie eine wichtige Basis für die wirtschaftlich nachhaltige Entwicklung vieler Entwicklungsländer dar.

Reif für nachhaltige Unternehmensprozesse

Zugegeben: Blockchain ist als Technologie noch in der Entwicklung. Doch sie ist reif für die Praxis. Das zeigt unter anderem auch die IDC-Studie "IT & Sustainability in Deutschland 2022", wonach ein Drittel der Unternehmen Blockchain zu den Technologien zählen, mit denen sie in den nächsten 12 bis 24 Monaten nachhaltigere Unternehmensprozesse und Innovationen bereitstellen wollen. (bw)