Digital-Ergebnis duch Abfindungen in Milliardenhoehe belastet DEC-Boss beklagt darwinistische Tendenzen in der DV-Industrie

22.07.1994

MAYNARD/MUENCHEN (IDG/ciw) - Mit dem Ruecken zur Wand wagt die Digital Equipment Corporation (DEC) eine erneute Reorganisation. Neun Business Units und eine Technologiegruppe verantworten kuenftig DECs gesamtes operatives Geschaeft - die bisher uebergreifenden Funktionen Marketing und Vertrieb, Entwicklung, Fertigung und Logistik eingeschlossen. Die Umstrukturierung und der beschleunigte Abbau von 20 000 Stellen sollen Einsparungen von 1,8 Milliarden Dollar pro Jahr bringen. Zunaechst belasten sie Digitals Ergebnis allerdings mit rund 1,2 Milliarden Dollar.

DEC-Chef Robert Palmer begruendete den neuerlichen organisatorischen Umbau mit der Notwendigkeit von klaren Verantwortungsstrukturen, einfachen Befehlslinien, kurzen Entwicklungszyklen und effizienten Entscheidungswegen. Die bisherige Matrix-Management-Struktur, so erkannte der Topmanager jetzt, habe die direkte Verantwortung der Geschaeftsbereiche verhindert. Sie passe nicht mehr in eine immer "darwinistischer" werdende Industrie wie die Computerbranche, betonte er.

Bis spaetestens Januar 1995 sollen die Kern-Geschaeftsbereiche PC-, System- und Account- (Grosskunden)-Geschaeft in der Computer Systems Division unter Fuehrung von Enrico Pesatori zusammengefasst werden.

Die Business Units Components & Peripherals, Network Devices und Storage Products stehen als Components Division kuenftig unter der Obhut von Charles Christ.

Neu geschaffen wurde die Business Unit Halbleiterfertigung. Darueber hinaus etablierte Palmer mit der Advanced Technologie Group eine kleine Entwicklungsmannschaft, die sich um die Erschliessung neuer Maerkte kuemmern soll.

Keine Veraenderungen durchlaufen die Geschaeftseinheiten Multivendor Customer Services und Digital Consulting.

Anders als bisher verantwortet jeder Bereich seine eigene Produktentwicklung, Fertigung und Logistik sowie das Marketing. Der Vertrieb und die Erschliessung indirekter Kanaele fallen ebenfalls in ihre Zustaendigkeit. Als einzige uebergreifenden Konzernaufgaben bleiben Personal, Recht, Finanzen und Kommunikation erhalten. Mit dieser organisatorischen Straffung hofft Digital auf Zeit- und Geldersparnis.

Ein deutscher DEC-Kenner sieht in diesen zu hohen Kosten das Hauptproblem: "Die Kosten drastisch zu senken und den Stellenabbau so schnell wie moeglich zu realisieren, das sind die wichtigsten Aufgaben. Alles andere ist sekundaer." Ausserdem brauche ein Unternehmen wie Digital junge, dynamische Leute fuer den Wandel und keine "saturierten, ehemaligen IBM-Manager, die mit alten Rezepten versuchen, dem Patienten wieder auf die Beine zu helfen".

Bisher nicht erhaertet haben sich die Geruechte ueber den Verkauf wesentlicher Unternehmensteile. Die Verhandlungen mit Quantum ueber den Verkauf der Disk-Drive-Unit sind bisher der einzige konkrete Vorstoss in diese Richtung. Allerdings bestaetigte Palmer die Staerkung der indirekten Vertriebskanaele. So waehle Digital zur Zeit Softwareprodukte aus, die von den Vertriebspartnern betreut werden koennen. Bereits im naechsten Jahr will der DEC-Chef den Umsatzanteil aus dem indirekten Vertrieb von heute 30 auf 50 Prozent geschraubt haben.

Der geplante Stellenabbau um 20 000 Mitarbeiter wird beschleunigt. Nicht mehr in zwei Jahren soll die Belegschaft reduziert werden, sondern binnen einer zwoelfmonatigen Frist.

Dafuer hat das Unternehmen 60 Prozent der vorgesehenen Restrukturierungsausgaben in Hoehe von 1,2 Milliarden Dollar reserviert. Die ausserordentlichen Aufwendungen werden zusammen mit einer Abschreibung von 300 bis 400 Millionen Dollar auf "immaterielle Vermoegensgegenstaende" gegen die Ergebnisse des vierten Quartals gerechnet, das am 30. Juni zu Ende ging. Dem

"Wall Street Journal" zufolge rechnen Finanzanalysten fuer das vierte Quartal mit einem operationalen Verlust von mindestens 100 Millionen Dollar. Somit beliefe sich der Quartalsverlust von Digital insgesamt auf rund 1,7 Milliarden Dollar.

Die Auswirkungen der neuen Organisation auf die Personalsituation seien in bezug auf die einzelnen Laenderorganisationen noch nicht abschaetzbar. Die Divisionen muessten nach Einschaetzung der deutschen DEC-Sprecherin Theresia Wermelskirchen zuerst klaeren, "wie und mit wie vielen Leuten" sie ihr Geschaeft betreiben wollen. Beobachter vermuten indes, dass die ausseramerikanischen DEC-Aktivitaeten am staerksten betroffen sein werden, zumal die Bedeutung der Geographien zurueckgehe.

Zur Zeit beschaeftigt die deutsche Digital 4827 Mitarbeiter.

"Wir planen bis zum Ende dieses Geschaeftsjahres die Zahl auf 3900 zu reduzieren. Insofern ist es sehr spekulativ zu sagen, wie viele da jetzt mehr gehen muessen", meinte Wermelskirchen im Hinblick auf die von Gewerkschaftseite

gemachten Aussagen, DEC-Deutschland wolle sich von weiteren 2000 Mitarbeitern trennen (siehe auch CW Nr. 27 vom 8.

Juli 1994, Seite 1).

Anwendervertreter und Analysten beurteilen den neuerlichen Kraftakt, mit dem das Unternehmen wieder auf Kurs gebracht werden soll, unterschiedlich. "Abzuspecken ist immer hart, aber es ist ganz klar, dass Digital das durchstehen muss, um wieder eine lebensfaehige und starke Company zu werden", meinte Ted Grenham, Executive Director der 145 000 Mitglieder umfassenden DEC-User- Group Decus. Otto Titze, Vorstand der deutschen Decus, sieht vor allem der Einfuehrung der neuen Struktur mit Spannung entgegen. "Es kommt darauf an, welche Prioritaeten sie setzen." Den Ausbau des indirekten Vertriebs haelt der Anwendervertreter fuer unabdingbar: "Sie kaufen Ihre Stereoanlage auch nicht beim Hersteller, sondern beim Haendler."

Industriebeobachter und Analysten sehen die Sache kritischer: "Die Reorganisation ist vernuenftig, aber wir wissen immer noch nicht, welche Geschaeftsbereiche Federn lassen und welche Leute wo gehen muessen. Wann verbessern sich die Geschaefte?" fragt George Elling, Finanzanalyst bei Merril Lynch. "Im Moment ist das eine Gleichung mit zu vielen Unbekannten." Fuer Dataquest-Analystin Jane Doorly fehlt DEC vor allem im Geschaeft mit den Alpha-CPUs nach wie vor die kritische Masse. Gegenueber dem "Wall Street Journal" sagte sie: "Sie haben noch nicht genuegend Hersteller gewonnen, die ihre Chips kaufen und sie in den eigenen Rechnern einsetzen."

Andere US-Analysten sehen die Veraenderung der Management- Strukturen als einen ersten Schritt, der die notwendigen Veraenderungen im operationalen Geschaeft erst ermoeglicht: "Einzelne Glieder des Patienten sind von Wundbrand befallen, und es ist besser, sie zum Wohle des Ganzen zu amputieren", erklaert beispielsweise der Analyst Terry Shannon. Seiner Ansicht nach sollte sich DEC von Hardwareprodukten wie Disk-Drives sowie von Applikationen trennen, die wenig zum Gewinn beitragen. Ausserdem muesse sich das Management darum kuemmern, die Chipfertigung mit Auftraegen von aussen besser auszulasten. Die Produktion von CPUs fuer AMD sei ein gutes Beispiel.