Digital Equipment auf dem Weg in interaktive Maerkte Warten auf neuen Erfolg und die entscheidende Killerapplikation

17.02.1995

CW-Bericht, Gerhard Holzwart

MUENCHEN - Wen interessiert das Gejammere von gestern; (auch) die Zukunft von Digital Equipment (DEC) liegt im Multimedia-Markt. Dass davon bisher nur Insider wussten, ist ein anderes Problem - aber das soll sich nun aendern. Die schon vor zwei Jahren ins Leben gerufene DEC-Division "Advanced Technology Group" stellte sich jetzt der deutschen Fachpresse vor. Und ihre Ziele, naemlich Geld zu verdienen in den Bereichen Internet, Mobilkommunikation und vor allem interaktive Video- und Fernsehdienste.

Hauptsaechlich ueber letzteres wollten die DEC-Verantwortlichen Sultan Zia und Jaques Setton, General Manager beziehungsweise European Business Development Manager der Advanced Technology Group, bei ihrem Deutschlandbesuch reden - was nicht weiter verwundert, da dieser vermeintliche Zukunftsmarkt momentan in aller Munde ist.

Bei DEC kann man sich aber immerhin aus einer gewissen Kennerschaft darueber unterhalten; zu nicht weniger als 15 der bisher weltweit 25 in Angriff genommenen Pilotprojekten in puncto interaktives Fernsehen, Video on demand und Teleshopping steuerte der Computergigant aus Maynard entweder die Hardwareplattform oder die wichtige Media-Server-Software bei.

"DEC arbeitet wieder profitabel", gab Zia zunaechst in einer Art unternehmensweiter Nabelschau zum besten; die Restrukturierung von Digital in die Bereiche Computer Systems, Component Systems, Multivendor Services und eben die Advanced Technology Group scheint jedenfalls zu greifen. Und natuerlich traut Zia, seit 20 Jahren bei Digital taetig, seiner Division mit am meisten zu, wenn es darum geht, fuer das Unternehmen Pfruende in neuen Wachstumsmaerkten zu sichern.

Dabei operiert man allerdings alles andere als blauaeugig. "Wir schielen nicht auf die Prognosen der Marktforscher, sondern orientieren uns an den von den Netzbetreibern und Service- Providern geplanten Investitionen", machte Zia deutlich und verwies zugleich auf die zum Teil gravierenden Unterschiede zwischen den Maerkten in Europa, Nordamerika und Fernost. In "konservativen" DEC-Schaetzungen ausgedrueckt, heisst dies: Bis 1997 werden rund eine Million Kunden in den USA, 500 000 im asiatisch- pazifischen Raum und vergleichsweise bescheidene 125 000 in Europa Services wie Video on demand und Teleshopping nachfragen.

Dann allerdings duerfte mit jaehrlichen Wachstumsraten zwischen 200 und 300 Prozent ordentlich die Post abgehen, so dass man bei DEC Ende der neunziger Jahre schon mit einem Marktvolumen von mehr als fuenf Milliarden Dollar rechnet. Fuer dieses Business wiederum, besser gesagt, fuer das Geschaeft hinter dem Geschaeft, sehen sich die DEC-Verantwortlichen bestens geruestet - frei nach dem Motto, alles an Hintergrundtechnik muss da und in der Praxis erprobt sein. Denn wenn es mit Video on demand und Teleshopping tatsaechlich losgeht, ist keine Zeit mehr fuer Experimente.

Originalton Zia: "Die Diensteanbieter wollen funktionsfaehige Applikationen und interessieren sich nicht fuer die darunterliegende Plattform."

Basis fuer einen DEC-Erfolg soll hier unter anderem die mittlerweile schon zweite Generation von Media-Servern sein, mit denen Telefon- und Kabelgesellschaften kostenguenstig interaktive Applikationen fuer den Massenmarkt entwickeln koennen. Schon die erste Generation der Digital-Media-Server kam, wie es bei DEC heisst, international betrachtet weit haeufiger im Rahmen von Pilot- und Engineering-Projekten zum Einsatz als die Systeme anderer Anbieter. So zum Beispiel bei Pilotversuchen von US West in Nebraska, Nynex in Rhode Island, Massachusetts und Maine, Svenska und Kabel TV in Schweden oder Telstra in Australien.

DEC entwickelt an der DSMC-Schnittstelle mit

Durch Kompatibilitaet der neuen Media-Server mit den Systemen der alten Generation sowie deren auf hohe Volumina ausgerichteter Rechen- und Speicherkapazitaet soll dabei den Telefongesellschaften und Service-Providern ermoeglicht werden, ihre Systeme fuer Dienste wie Video on demand der Nachfrage schrittweise anzupassen. Und darueber hinaus auch kostenguenstig, denn im Gegensatz zu Loesungen anderer Anbieter wurden die Digital-Media-Server fuer die Bedienung von Hunderttausenden von Kunden konzipiert, wodurch die Grundkosten pro Video-Stream auf ein sehr niedriges Niveau reduziert werden koennen. So ist man bei DEC eigenen Angaben zufolge in der Lage, eine halbe Million Haushalte mit tausend Titeln fuer etwa 600 Mark pro Video-Stream zu versorgen - mit Tendenz weiter nach unten.

Eingebettet ist das Ganze in die sogenannte "Video and Interactive Information Architecture" (VIIA) - ein, wenn man so will, Paket aus dem 64-Bit-Alpha-Prozessor, PCI-Schnittstellen fuer eine kostenguenstige und leistungsfaehige Bus-Architektur sowie drei verschiedenen Speichersystemen (RAM-Speicher, Storage Works Disk Arrays und automatische "Digital-Linear-Tape"-Bibliotheken). Darueber hinaus ist, wie es bei DEC heisst, durch die objektorientierte Middleware OSF/1 "weitreichende Kompatibilitaet" garantiert, indem sowohl objektorientierte als auch alle fuehrenden SQL-Datenbanken unterstuetzt werden. Kompatibilitaet ist laut DEC zudem zu den verschiedensten Betriebssystemen fuer Set-top-Boxen gewaehrleistet, so zum Beispiel zu den betreffenden Loesungen von Apple, 3DO, Power TV oder Microware System.

Apropos Set-top-Boxen: Hier will man bei Digital die Zusammenarbeit mit fuehrenden Herstellern systematisch ausweiten. Als Basis dienen schon mehr oder weniger enge Kooperationen mit Firmen wie Apple, Compression Labs, General Instruments, Goldstar, Mitsubishi, Online Media, Philips, Samsung, Scientific Atlanta, Stallar One Corporation und Zenith. Darueber hinaus ist DEC im Rahmen von Standardisierungsbemuehungen Mitglied im ISO-MPEG- Komittee, das die sogenannte DSMC-Schnittstelle (Digital Storage Media Command and Control) fuer Set-top-Boxen entwickelt.

Vertrieb von Media-Servern, Allianzen mit Schluesselanbietern im Bereich interaktiver Informationsdienste (beispielsweise mit Alcatel, Apple und Belgacom im Rahmen eines Video-on-demand- Projektes im Grossraum Bruessel; mit der Muenchner Siemens AG fuehrt man derzeit Verhandlungen) sowie das weitere Engagement in Pilotprojekten sind also das kuenftige Core-Business der Advanced Technology Group - und die Bereitstellung sogenannter "Mediastudios". Deren erstes ging vor kurzem in New York in Betrieb - mit der Zielsetzung, Content-Providern bei der Entwicklung und Codierung interaktiver Programme unter die Arme zu greifen. Weitere Studios dieser Art in den USA, Europa und Asien sollen folgen.

Was dann letztlich ueber Video-, Pay-TV- oder sonstige interaktive Kanaele flimmert, ist den DEC-Verantwortlichen im Prinzip egal - auch wenn man natuerlich eine gewisse Vorstellung von dem hat, was diesen von allen so sehnsuechtig erwarteten Wachstumsmarkt zum Explodieren bringen koennte. Von Teleshopping ist da die Rede und von zwei entsprechenden, mittlerweile milliardenschweren Sendern in den USA, von Video on demand natuerlich und vom Anzeigenmarkt als neuer Facette der Finanzierung und damit Wirtschaftlichkeit interaktiver Dienste; quasi nach dem Prinzip: drei Dollar fuer den Videoabruf ohne Werbung, lediglich ein Dollar, wenn man als Konsument Werbung vorher und nachher in Kauf nimmt. Nichts genaues weiss man aber auch bei Digital nicht, wie Zia zugab: "Auch wir warten noch auf die beruehmte Killeranwendung."