IT im Transportwesen/Trotz Bedarfs stockende Entwicklung

Die Verkehrstelematik ist ganz auf GSM und das Web eingestellt

09.06.2000
Der Mobilfunkdienst der dritten Generation kündigt sich an und damit auch eine Vielfalt an Services für jedermann, wie sie heute nur im professionellen Transportgewerbe verfügbar sind. Die Kontroverse in Sachen WAP- und/oder GATS-Standard scheint beendet. Brechen nun goldene Zeiten für die Verkehrstelematik an? Hadi Stiel* berichtet.

Nach einer Studie der Netzexperten von ACR zum Thema "Wireless Internet" sollen bereits Ende 2002 weltweit mehr mobile als leitungsgebundene Web-Teilnehmer im Netz der Netze agieren. Angesichts eines solch vehementen Drangs zur Mobilität verwundert es nicht, dass auch die Verkehrsmittel als lukratives Einsatzgebiet für die mobile Kommunikation gesehen werden: Allein in Deutschland sind rund 50 Millionen Straßenverkehrsteilnehmer unterwegs - Tendenz steigend.

Bis eine neue Qualität der Verkehrssteuerung erreicht ist, heißt die Devise auf den Straßen vorerst "Nur empfangen", statt vorausschauend im Sinne einer intelligenten Verkehrssteuerung zu agieren. "Fließen doch alle Informationen zum und rund um den Verkehr nur in eine Richtung, in die des Verkehrsteilnehmers", beschreibt Andreas Kreutzer, Leiter Verkehrstelematik bei Gora, Hecken & Partner in Sulzbach bei Frankfurt am Main, den Status quo in der Verkehrstelematik. Adressiert würden Informationen

-zur Verkehrssituation über Medien wie Verkehrsfunk, RDS-TMC, GSM-Netz und Satellitenfunk,

-zur schnellen Notfall- und Pannenhilfe über Notrufsäulen oder über das GSM-Netz,

-zur Routenauswahl und Zielführung über Navigationssysteme,

-zu Fahrplänen und zur Verkehrsmittelreservierung über das GSM-Netz und in Ansätzen via Internet sowie

-zur Kraftfahrzeugferndiagnose über das GSM-Netz.

Die passenden Ausgabeeinheiten dazu: Autoradios mit RDS-TMC-Funktion, Mobilfunk- und Satellitentelefone, Navigationssysteme mit TMC-Anbindung sowie spezielle Telematik-Endgeräte mit GSM-Anschluss wie das Telematik Service Kit vom ADAC, Gemini GPS 148 von Blaupunkt und Polestar von Peiker Acustic.

Das bisherige Manko des in der Summe neben Induktionsschleifen, Mikrowellen, Infrarot und Satellitenkommunikation prominentesten und mit Blick auf die Kundschaft lukrativsten Übertragungsmediums, des GSM-Netzes: Die 9,6 Kbit/s reichten lediglich für die Sprachkommunikation aus, daneben für maximal 160 Zeichen kurze Textmitteilungen mittels SMS (Short Message Service).

Doch steht mit GPRS (maximal 115 Kbit/s) ein Übertragungsverfahren in den Startlöchern, das in GSM-Netzen die mobile Datenkommunikation noch in diesem Jahr langsam in Fahrt bringen wird - und den Verkehrsfluss eventuell gleich mit. Bevor UMTS in rund zwei Jahren mit Bandbreiten von bis 2 Mbit/s selbst die Übertragung von qualitativ hochwertigen Videosequenzen erlauben wird. Die Lizenzen für diesen Mobilfunkdienst der dritten Generation werden noch in diesem Sommer vergeben werden.

Damit, schätzt Kreutzer, könnten sich den Verkehrsteilnehmern mit einer professionellen Datenkommunikation im Hintergrund Zug um Zug neue Möglichkeiten erschließen, jederzeit aktiv auf aktuelle Verkehrssituationen zu reagieren, um so insgesamt einen intelligenten Verkehrsfluss in Gang zu setzen. "Denn einmal erhoben", so der Berater, "können im Hintergrund alle Daten für hilfreiche Aussagen im Straßenverkehr korreliert werden." Erreichen ließe sich dadurch eine auf das Ziel und die aktuelle Verkehrssituationen abgestimmte Routenplanung, die Alternativstrecken, Umsteige- beziehungsweise Umlademöglichkeiten, Parkplatzkapazitäten, Zeitplanänderungen durch alternative Verkehrsmittel sowie Wetterverhältnisse ausweist und dabei individuelle Präferenzen etwa hinsichtlich des Transportmittels und der bevorzugten Strecke berücksichtigt.

Parallel reifen Web-Standards wie WAP und WML heran, um neben anderen Informationen auch Daten zur Verkehrsdarstellung normgerecht zu präsentieren: WAP für die Informationsübertragung über eine allgemein gültige Applikations-Schnittstelle, WML für die Gestaltung der Benutzeroberfläche auf den kleineren Displays der mobilen GSM-Geräte. Auch erste Endgeräte gibt es bereits, um nicht nur Verkehrsdaten Web-konform an die Verkehrsteilnehmer auszugeben: WAP-fähige Handys, Organizer, Smart Phones, Handheld-PCs sowie vollwertige PCs in Form von Notebooks, auf denen Informationen statt im spartanischen WML-Format in Form von HTML-Seiten oder XML-Stylesheets präsentiert werden können.

"Zu alledem kündigt sich ein Ende der Kontroverse zwischen WAP, hinter dem Mobilfunkgrößen wie Nokia, Ericsson und Motorola stehen, und GATS, favorisiert von Automobilherstellern wie VW, General Motors, Daimler-Chrysler, BMW und Volvo, an", weiß Eberhard Holler, Geschäftsführer von Consulting & Networks in Oberursel. Das CEN, das GATS speziell für die Verkehrstelematik vorantreibt, habe bereits angezeigt, für eine gemeinsame Harmonie mit seinen Definitionen auf dem Protokoll-Stack des universell einsetzbaren WAP aufzusetzen.

Das Problem der Ortung von Verkehrsteilnehmern ist schon lange gelöst. Sie funktioniert genauso wie für jeden anderen Mobilfunkteilnehmer. Zwei unterschiedliche Verfahren, UL-TOA und E-OTD, setzten die GSM-Netzbetreiber dazu ein. Beim ersten Verfahren wird die Signallaufzeit zwischen mobilem Endgerät und drei Basisstationen gemessen, um so die Koordinaten des Fahrzeugs in einem so genannten Mobile Positioning Center zu ermitteln. Dazu fordert die dem Fahrzeug jeweils am nächsten liegende Basisstation das Mobilfunkgerät auf, parallel an alle drei Basisstationen Signale zu senden.

Anders beim E-OTD-Verfahren: Hier übernimmt das mobile Endgerät die Initiative, indem es die benachbarten Basisstationen zur Sendung eines Referenzsignals auffordert, um anschließend die Laufzeiten zur Ermittlung der Koordinaten an das Mobile Positioning Center zu übermitteln. "Wie es aussieht, wird sich E-OTD zur Lokalisierung der Verkehrsteilnehmer, für die sich unter anderem Nortel, Siemens und Motorola stark machen, im Markt durchsetzen", meint Holler. Zumal es gegenüber UL-TOA (500 Meter) mit 100 Metern mit einer höheren Messgenauigkeit aufwarte. Zudem stehe bereits fest, so der Geschäftsführer weiter, dass E-OTD mit Abschluss der Standardisierung durch das US-Gremium ANSI/T1P1 von ETSI für den Geltungsbereich Europa übernommen werde.

Ebenso ist letztlich auch die Ortung der Verkehrsteilnehmer gelöst: Die Koordinatendaten des Mobile Positioning Center bilden dann die ideale Datenbasis, auf der beispielsweise Speditionen über einen geschützten Internet-Zugang via WAP jederzeit den aktuellen Standort ihrer eingesetzten Fahrzeuge und damit ihrer Fracht nachvollziehen können.

Allerdings, so moniert Andreas Kreutzer: "Viele Hersteller und Dienstleister im Bereich der Verkehrstelematik haben den Web-Trend der Zeit glatt verschlafen". Die Folgen dieses Versäumnisses, das letztlich eine moderne, standardbasierende Verkehrstelematik auszubremsen droht, macht er an Beispielen deutlich: FCD erlaube zwar, die Geschwindigkeit einzelner Verkehrsströme zu messen und dadurch Verkehrsteilnehmern mit hilfreichen Informationen zur Verkehrsdichte oder zu Staus aufzuwarten. Doch diese Informationen könnten nur an speziellen FCD-fähigen Endgeräten angezeigt werden, die sich bestenfalls über eine integrierte GSM-Einheit GSM-fähig machen ließen. So am Web-Markt vorbeikonzipiert, werde sich FCD innerhalb der nächsten zwei Jahre kaum durchsetzen können. Zumal mindestens 100000 FCD-Endgeräte für einen lukrativen Markteinsatz in Deutschland erforderlich wären.

Die Automobilhersteller beharrten, trotz des Sogs der Web-Kommunikation, weiterhin auf ihren speziellen Telematik-Endgeräten. Ihre Argumente: Die Endgeräte müssten fest installiert sein und dürften aus Gründen der Fahrsicherheit nur gezielte Informationen zur Verkehrsdarstellung anzeigen. Vor allem gehe es darum, die Investitionen in die proprietären Endgeräte zu sichern.

Drohende Web-InformationsflutDer Mehrwert in der Verkehrstelematik lebt von neuen Dienstleistungen. Solche Mehrwertdienste mit neuen Informationsqualitäten für private wie geschäftliche Verkehrsteilnehmer sind aber bisher, auch aufgrund der unterschiedlichen Endgeräte und Verfahren zur Verkehrsdarstellung, kaum abzusehen.

Dennoch hat Kreutzer keinen Zweifel daran, dass sich auch diese Hersteller und Dienstleister letztlich dem steigenden Druck der Mobilfunk- und Web-Kommunikation werden beugen müssen.

"Ein erheblicher Nachteil bleibt dann dennoch", wendet Eberhard Kurz, Berater bei Arthur D. Little in Wiesbaden, ein: "Mit dem Web-Client als Tor zur Verkehrsdarstellung könnten in PKWs und LKWs letztlich die gleichen Information aus dem Internet, Extranet und Intranet abgefragt werden wie zu Hause oder im Büro am PC." Damit wäre die ITS (Information and Technology Society) auf dem besten Weg, den Fahrer mit Informationen zu überschwemmen. "Die Folge: ein erhöhtes Verkehrsrisiko statt eines intelligenten Verkehrsflusses." Zumal Spracheingabesysteme, die die Bedienung der Endgeräte verkehrssicherer gestalten könnten, immer noch weit von einem professionellen Einsatz entfernt seien. Diese drohende Web-Informationsflut einzudämmen, bevor sie über die Verkehrsteilnehmer hereinbricht: Dafür steht die Lösung noch aus.

*Hadi Stiel ist freier Journalist in Bad Camberg.

KürzelANSI American National Standards Institute

CEN Comité Européen de Normalisation

E-OTD Enhanced Observed Time Difference

ETSI European Telecommunications Standards Institute

FCD Floating Car Data

GATS Global Automotive Telematics Standard

GSM Global System for Mobile Communication

GPS Global Positioning System

GPRS General Packet Radio System

HTML Hypertext Markup Language

RDS-TMC Radio Data System - Traffic Message Channel

T1P1 Komitee T1 zur Schaffung von Telekommunikationsstandards in den USA (P1 für Wireless/Mobile Services and Systems)

UL-TOA Uplink Time of Arrival

UMTS Universal Mobile Telecommunications System

WAP Wireless Application Protocol

WML Web Markup Language

XML Extensible Markup Language