Hoffnungsträger City-Carrier beim pauschalen Internet-Zugang

Die Telekom ist nicht allein schuld am Flatrate-Sterben

27.10.2000
MÜNCHEN (hi) - Der Sensenmann geht um in der deutschen Internet-Provider-Szene. Reiche Ernte beschert ihm dabei die Naivität der Flatrate-Anbieter. Diese, gepaart mit den Exzessen der Dauersurfer und Geschäftsmodellen von gestern, raffte in kürzester Zeit etliche Provider dahin. Allerdings gibt es auch Lichtblicke: Vermehrt wagen Stadtnetzbetreiber den Einstieg in das Geschäft mit der Flatrate.

Lange hatten Anwender und User-Vereinigungen wie die Initiative "Internet ohne Taktung" darum gekämpft, im Internet-Entwicklungsland Deutschland endlich zum Pauschaltarif surfen zu können. Als Vorbild galten die USA. Dort gehen die Anwender bereits seit längerem mit der so genannten Flatrate ins Internet - Telefongebühren inklusive.

Im Sommer 2000 konnten dann auch hierzulande die Anwender aufatmen. Zahlreiche Anbieter lockten mit Pauschalangeboten zum unbegrenzten Surfen ohne Zeittakt. Doch die Freude über diese Offerten war nur von kurzer Dauer. Bald klagten viele Anwender über Einwahlprobleme und stundenlang blockierte Leitungen. Im Spätsommer kursierte unter den Providern bereits das große Sterben. Anbieter wie Surf1, Sonne, Erotik-Flatrate, Cisma, NGI etc. stellen über Nacht ihre Pauschalangebote ein und waren finanziell ausgeblutet oder standen kurz vor dem Konkurs.

Eine Pleitewelle, die Branchenkenner nicht überraschte. Weil oben genannte Provider über keine eigene Infrastruktur verfügten, mussten sie entsprechende Zugangskapazitäten von der Deutschen Telekom einkaufen. Dabei hatten die Provider, die ihren Kunden einen Pauschaltarif unterbreiteten, der Telekom eine zeitabhängige Verbindungsgebühr zu bezahlen. Diese Interconnection-Gebühr beträgt nach Angaben der Telekom im Durchschnitt 1,5 Pfennig. Hinzu kamen für die Provider Unkosten für die Kundenakquisition, die eigene Verwaltung, Internet-Gebühren etc. Legt man nur die Interconnection-Gebühren zugrunde, zeigt ein einfaches Rechenexempel, dass ein Flatrate-Angebot bei einem Pauschaltarif von 79 Mark kaum wirtschaftlich sein kann: Surfen die Benutzer mehr als drei Stunden täglich, schreibt der Provider rote Zahlen. Und die Kunden nutzen die Flatrate intensiv. So sind nach einer Leserumfrage von "Tecchannel" 40 Prozent dieser Anwender mehr als fünf Stunden täglich online.

Ein Problem, mit dem Flatrate-Anbieter wie Mannesmann Arcor oder Mobilcom nicht zu kämpfen haben: Ihre Offerten kann der Kunde erst nutzen, wenn er auch seinen Telefonanschluss auf die Gesellschaft umstellt. Damit entfällt für den Carrier die kostentreibende Interconnection-Gebühr.

Die Schuldigen an dem Flatrate-Fiasko schienen schnell gefunden: So beschuldigten etliche Provider ihre eigenen Kunden exzessiv zu surfen. Darüber hinaus stellten sie unisono die Telekom an den Pranger. Im Zentrum der Kritik stand der zeittaktabhängige Interconnection-Tarif. In das gleiche Horn stößt Philipp Sudholt, Gründer und Sprecher der Initiative Internet ohne Taktung: "Die derzeitige Situation für die Flatrate-Anbieter ist paradox. Die User bezahlen eine monatliche Grundgebühr und die Flatrate-Provider bleiben auf den Telefonrechnungen in beliebiger Höhe sitzen." Im Einklang mit anderen Providern und Vertretern aus der Politik fordert die Initiative von der Telekom eine "Flatrate auf Großhandelsebene". Diese Einführung eines ungetakteten Großhandelstarifes sei die einzige Möglichkeit, einen pauschalen Endkundentarif in Deutschland zu etablieren.

Ferner häuften sich im Zusammenhang mit dem Sterben der Flatrate-Anbieter Beschwerden darüber, dass die Telekom der eigenen Tochter T-Online günstigere Tarife gewähre als den Wettbewerbern. So will die Gerüchteküche wissen, dass der Bonner Carrier seinen Online-Dienst mit Pauschaltarifen bevorzugt. Punkte, die man in der Bonner Telekom-Zentrale als Unterstellungen weit von sich weist. Im Gegensatz zu kleineren Providern könne T-Online, so die Argumentation, vor dem Hintergrund von 5,5 Millionen Mitgliedern in Deutschland die heute rund 200000 Flatrate-Nutzer wirtschaftlich verkraften.

Mit Dialup-Flatrate ist kein Geld zu verdienenDass T-Online den im Sommer eingeführten Pauschaltarif wohl aus anderen Einnahmequellen quersubventionieren müssen würde, war dem Online-Dienst bereits bei seinem Börsengang im Frühjahr bewusst. Auf Seite 13 des Informationsprospekts zum Börsengang befindet sich eine Passage, nach deren Lektüre eigentlich bei anderen Flatrate-Anbietern die Alarmglocken schrillen hätten müssen: "Einführung des neuen Flatrate-Zugangsproduktes im ersten Halbjahr 2000, das T-Online dem Risiko aussetzt, dass variable Kosten die festen Umsatzerlöse aus diesem Zugangsprodukt übersteigen könnten." Oder, um es anders auszudrücken: Bereits im Frühjahr war abzusehen, dass sich mit einer Dialup-Flatrate kein Geld verdienen lässt. Als Konsequenz daraus setzt T-Online mittlerweile verstärkt auf T-DSL.

Auch beim Online-Provider AOL gibt man offen zu, dass ein Flatrate-Angebot in Verbindung mit den Interconnection-Tarifen der Telekom nur auf Basis einer Mischkalkulation tragbar ist, nennt aber keine konkreten Zahlen. Entsprechend unzufrieden ist AOL mit der Flatrate-Situation in Deutschland und fordert laut Sprecher Jens Nordlohne ebenfalls eine Großhandels-Flatrate. Zudem, so argumentiert Nordlohne, verstehe er nicht, warum die Telekom in einer Phase, in der Deutschland bei der Internet-Nutzung international noch hinterherhinkt, an einem zeitabhängigen Interconnection-Tarif festhält.

Angesichts der Klagen im Zusammenhang mit der Flatrate und dem anstehenden Missbrauchsverfahren durch die Regulierungsbehörde für Post und Telekommunikation hält sich die Bonner Telekom-Zentrale in Sachen Flatrate-Sterben eher bedeckt und verweist auf das hauseigene T-DSL als Zugangsalternative. Damit, so die offizielle Lesart, biete der Carrier quasi eine Standleitung für Privatkunden an, auf die jeder Provider sein eigenes Angebot draufsatteln könne. So betont Stephan Broszio von der Telekom-Pressestelle, dass jeder Provider T-DSL nutzen könne und im Gegensatz zu den Dialup-Zugängen über die Vermittlungstellen keine Interconnection-Gebühren zahlen müsse. Somit würden, wie Broszio weiter ausführt, für den Provider keine Gebühren anfallen, da der Anwender ja bereits die T-DSL-Gebühren mit seiner Telefonrechnung bezahle. Letztlich hänge damit die Kalkulation eines ADSL-Pauschalangebots für den Provider nur noch von dessen Kosten für die IP-Plattform, Mitarbeiter etc. ab.

Eine Argumentationskette, die bei einem Provider, der nicht genannt werden will, nur schallendes Gelächter hervorrief. Angesichts von nur 100000 T-DSL-Kunden und den technischen und organisatorischen Problemen der Telekom mit T-DSL sieht er darin zum heutigen Zeitpunkt keine Alternative zum Dialup-Zugang. Ob es nun eine Großhandels-Flatrate gibt, die Telekom die Interconnetion-Gebühren senkt oder gar ihren eigenen Online-Dienst bevorzugt, lässt sich noch nicht feststellen.

Unabhängig vom Ausgang des Verfahrens der Reg TP, am Flatrate-Debakel in Deutschland sind auch die Anwender nicht unschuldig. So haben zahlreiche User das Angebot des Surfens zum Pauschaltarif wohl missverstanden und die Wählleitungsangebote mit einer Standleitung verwechselt. Statt einfach das Surfen ohne Zeittakt zu geniesen, blieb die Klientel gleich rund um die Uhr online, um auf ihre Kosten zu kommen. Dabei kannte der Einfallsreichtum manches "Powerusers" keine Grenzen: Einige hängten an die Dialup-Verbindung eigene Web-Server, andere nutzten die Pauschaltarife, um etwa via Webcam ihre in einer entfernten Garage geparkten Autos zu überwachen - so etwa in Großbritannien geschehen. Versuche der Provider, dieser Unsitte mit einer automatischen Trennung vom Netz einen Riegel vorzuschieben, unterliefen "findige" Köpfe mit automatischen Re- und Disconnect-Utilities.

Ein User-Verhalten, das fatale Folgen hatte und hat: So klagen viele Anwender darüber, dass ihnen eine Einwahl ins Internet oft erst nach Stunden möglich ist, so dass sie selbst, einmal eingewählt, stundenlang online blieben aus Angst, ein neuer Einwahlversuch könnte scheitern. Die Ursache für dieses Problem ist in der Branche ein offenes Geheimnis: In der Regel werden nämlich die Einwahl-Ports im Verhältnis zehn zu eins überbucht. Das heißt, auf zehn Kunden kommt ein Port. Eine Mischkalkulation, die ohne Dauersurfer durchaus aufginge.

Fehlende IP-Adressen sind ein ProblemDas Besetztzeichen, das der Benutzer bei der Einwahl erhält, deutet jedoch nicht immer auf eine ungenügende Anzahl an Einwahlports hin. Eventuell ist für den betroffenen Kunden auch keine IP-Adresse mehr frei. Um Kosten zu sparen, vergeben die Provider nämlich den Flatrate-Nutzern in der Regel keine festen IP-Adressen, sondern weisen diese dynamisch aus einem begrenzten Pool zu. Ein Problem, das Modem-, ISDN- und DSL-Kunden gleichermaßen betrifft. Aus diesen Gründen rief etwa T-Online erst kürzlich in seiner eigenen Newsgroup dazu auf, "die Verbindung zu T-Online zu trennen, wenn sie nicht benötigt wird". Ferner appellierte der Provider an die Vernunft der Anwender, "es wäre schon sehr hilfreich, wenn "Sie" die Verbindung nicht künstlich aufrecht erhalten".

In das Reich der Märchen gehört dagegen die oft aufgestellte Behauptung, in Sachen Flatrate gebe es nur in Deutschland aufgrund der Interconnection-Tarife Probleme und ein Provider-Sterben. So ging etwa in Großbritannien der ISP Ezesurf Pleite, und im viel gelobten Mutterland der Flatrate, den USA, jammern die Anbieter ebenfalls über den Missbrauch der Pauschaltarife. So kursieren Zahlen von US-Providern wie World Online oder Freedom 24, wonach die Dauersurfer bei einem Pauschaltarif von rund neun Dollar Kosten in Höhe von mehr als 1000 Dollar verursache. Letztlich sind in den USA, wie es Rob Lancaster, Analyst bei der Yankee Group in Boston, formuliert, "die Zeiten vorbei, in denen die Consumer den Dialup-ISPs zu Füssen lagen und mit Pauschalangeboten viel Geld zu verdienen war".

City-Carrier sitzen in den StartlöchernDeshalb lautet in den USA für die ISPs derzeit das Gebot der Stunde: Breitband und nochmals Breitband, um Geld zu verdienen. Allerdings warnen bereits heute Analysten, dass mit breitbandigen Zugängen alleine nur über einen begrenzten Zeitraum von etwa zwei Jahren Geld zu verdienen sei. Dann, so die Prognose, würden die Margen aufgrund des Konkurrenzdrucks ebenfalls einbrechen. Einen Ausweg aus diesem Teufelskreis sehen die Marktbeobachter entweder in einer Verbreiterung der Geschäftsbasis durch Services wie Application Hosting oder in einer Partnerschaft mit Banken, Einkaufsketten etc.

Ungeachtet dieser eher düsteren Prognosen für die Flatrate-Anbieter, dürfen die Poweruser hierzulande wieder hoffen. Nach der ersten Pleitewelle stehen erneut zahlreiche Anbieter in den Startlöchern, um ein Internet-Angebot zum Pauschaltarif auf den Markt zu bringen. Allerdings ist für diese neuen Anbieter die Ausgangspostion günstiger: Als Stadtnetzbetreiber verfügen sie in der Regel über eine eigene Infrastruktur und müssen deshalb an die Telekom keine Interconnection-Gebühr entrichten. Oder sie mieten von dem Bonner Carrier, wie Rainer Frank, Produkt-Manager Flatrate beim Münchner City-Carrier Mnet, erklärt, das Telefonkabel als entbündelten Teilnehmeranschluss an, um eigene Telefonanschlüsse und Internet-Zugänge zum Pauschaltarif zu vermarkten. So wollen die Münchner etwa zur Systems Pauschaltarife ab 29,90 Mark pro Monat vorstellen.

Abb.1: Surf-Zeiten der Flatrate-User

Im Gegensatz zu den Annahmen der Provider sind die Flatrate-Kunden häufig länger als drei Stunden pro Tag online. Quelle: Tecchannel

Abb.2: Aktive Nutzungszeit

Exzessive Online-Sitzungen, ohne das Netz wirklich zu nutzen: Viele Anwender verwechseln die Flatrate mit einer Standleitung. Quelle: Tecchannel