"Die meisten fertigen CBTs sind unbrauchbar"

04.09.1992

Mit Heinz Arzberger, Referent der Zentralabteilung Personal der Siemens AG, sprach CW-Redakteurin Hiltrud Puf.

Seit 1984 gibt es im Hause Siemens einen unternehmensweiten Arbeitskreis, der sich mit dem Thema Lernen mit neuen Medien beschäftigt. Bei dem Münchner Unternehmen sind inzwischen 100 CBT-Programme und 120 interaktive Video im Einsatz, wobei jeder Siemens-Mitarbeiter die Möglichkeit hat, das Lernzentrum zu benützen. Der Geschäftsbereich Private Kommunikationsnetze schult inzwischen überwiegend mit CBT. Die Weiterbildung von 3500 Servicetechnikern in Europa, deren Produktpalette alle zwei Jahre erneuert wird, wäre mit konventioneller Schulung nicht mehr zu realisieren.

CW: Sie beschäftigen sich schon seit einiger Zeit mit CBT. Wie ist der aktuelle Stand der Diskussionen?

Arzberger: Das Thema CBT wurde anfänglich von der Technikdiskussion beherrscht. Man hat sich über Autorensysteme gestritten, über Lernplätze, und hat versucht zu standardisieren. Als dies erreicht war, mußten wir erkennen, daß wir der Technik hinterherhinkten. Allmählich setzte sich dann die Erkenntnis durch, daß die Bildungsverantwortlichen immer nur Trittbrettfahrer der Technik waren. Als Konsequenz daraus koppelten wir uns von der Technik ab.

CW: Wie sieht diese Vorgehensweise konkret aus?

Arzberger: Die Bildungsexperten stellen Konzepte auf, kümmern sich um Didaktik, Pädagogik, Einsatzbedingungen und Infrastrukturen. Nach unseren Anforderungen entwickeln die Techniker die Lernprogramme. Vorher mußten wir uns nach den Tools richten, die die Informatiker uns bereitgestellt hatten.

CW: Mit welchen neuen Medien beschäftigen Sie sich?

Arzberger: Wir haben verschiedene Schwerpunkte. Dazu gehören beispielsweise Fernlernen, Lernen im Medienverbund, Videokonferenz, E-Mail oder Telekonferenz.

CW: Neue Medien sind im Bildungsbereich schon lange im Gespräch, werden aber bislang kaum flächendeckend eingesetzt. Woran liegt das?

Arzberger: Der ganze Bereich der neuen Medien ist erst im Entstehen. So gibt es nur ganz wenige Autoren, die es beherrschen, sie sinnvoll einzusetzen. Dabei sind weniger technisch aufwendige Spiele mit Spezialeffekten gefragt, sondern sinnvolle Seminare.

CW: Auf der CeBIT sind auch DVI-Anwendungen gezeigt worden. Was halten Sie davon?

Arzberger: DVI hat den Nachteil, daß die Qualität besonders bei Bewegtbildern noch relativ schlecht ist. Auch der finanzielle Aspekt schreckt ab. Zudem bin ich der Meinung, daß beim kognitiven Lernen bewegtes Realbild nicht notwendig ist.

CW: Lassen sich denn Techniken, die mit Bewegtbildern arbeiten, im Verhaltenstraining einsetzen?

Arzberger: Ich glaube nicht, weil hier der Teilnehmer ein Feedback des Trainers braucht. Mit den Filmen lassen sich zwar typische Verhaltensweisen aufzeigen - beispielsweise wie sich ein Amerikaner in Geschäftsverhandlungen verhält -, aber darüber hinaus sehe ich wenig Chancen. Verhalten hat sehr viel mit Individuen, mit Psychologie und Gespür zu tun. Das kann durch die Medien kaum übermittelt werden. CW: Wo ist es sinnvoll, CBT einzusetzen?

Arzberger: Hier muß ich erst einmal betonen, daß bei Siemens das konventionelle Training an erster Stelle rangiert. Danach folgen Lerntexte. CBT steht also an dritter Stelle. Es eignet sich für die reine Wissensvermittlung. Für affektive oder manuelle Lernziele halte ich das Medium für relativ ungeeignet. Das Haus Siemens setzt es vor allem für das Training der Servicetechniker ein, die darüber Informationen über die neuen Produkte beziehen.

Der Geschäftsbereich Private Kommunikationsnetze schult einige Produkte ausschließlich über CBT. Bei 3500 Servicetechnikern in Europa und einem Innovationszyklus von zwei Jahren ist das mit konventioneller Schulung nicht mehr zu schaffen.

CW: Aber so ganz ohne Trainer geht das doch nicht.

Arzberger: CBT ist nur dann sinnvoll, wenn es in das Gesamtkonzept der Weiterbildung eingepaßt und die Zielgruppe groß genug ist. Zuerst erfolgt die Ausbildung der Multiplikatoren, der Fachberater und Lernberater in den einzelnen Regionen. Dann kommt der CBT-Einsatz, wobei die Lernberater für Fragen zur Verfügung stehen.

CW: Setzen Sie CBT auch an anderer Stelle ein?

Arzberger: Wir haben auch allgemeine Themen im Angebot. Hier ist allerdings ein hoher Qualitätsstandard einzuhalten. Wenn ich beispielsweise BWL für Ingenieure anbiete, muß das CBT um einiges besser sein als ein Buch oder Frontalunterricht. Wenn die Programme zu textorientiert sind, haben sie kaum eine Chance, das Interesse der Anwender zu wecken.

CW: Diese Lösungen sind sicher nicht ganz billig.

Arzberger: Sobald man einen gewissen Qualitätsstandard anstrebt, wird es teuer. Ich wage mich aber nicht mehr, Zahlen anzugeben. Früher rechnete man mit 35 000 bis 50 000 Mark pro CBT-Stunde, aber inzwischen ist die Spannbreite recht groß.

CW: Aber die Anbieter behaupten, daß man mit CBT Geld sparen kann.

Arzberger: Das kann man auch. Es stimmt zwar nicht, daß man Lerninhalte mit CBT schneller vermitteln kann, aber wir sparen in den Bereichen Reisekosten, Hotel, Spesen, Referentenhonorare, die sicher 15 bis 20 Prozent der Gesamtausbildungskosten ausmachen. Von Vorteil sind außerdem die größere Flexibilität und Autonomie für die Mitarbeiter.

CW: Viele klagen über die schlechte Qualität der CBT-Programme, die es schon fertig zu kaufen gibt.

Arzberger: Die meisten CBT-Produkte auf dem Markt sind unbrauchbar, da immer noch Bücher auf CBT übertragen werden.

CW: Woran liegt das?

Arzberger: Zum einen haben die Autoren zu wenig Hintergrundwissen über Bereiche wie Wissenspsychologie etc. Sie sollten zudem in der Lage sein, den Kunden zu überzeugen, daß gute Qualität auch ihren Preis hat. Außerdem sind die Deutschen sehr konservativ, was neue Medien betrifft. Auch der Perfektionismus wirkt sich aus. So setzen die meisten kein Video ein, weil sie es immer mit dem Fernsehbild vergleichen. Dieser technische Qualitätsaspekt wird gerade vom Management überbewertet.

CW: Welchen Ausweg aus dem Dilemma sehen Sie?

Arzberger: Für neutrale Themen besteht die Möglichkeit, sich mit anderen Großunternehmen zusammenzutun, denen das Thema auch unter den Nägeln brennt. Es ist sinnvoller sich die Investitionen zu teilen.

CW: Sie betreiben seit längerer Zeit ein Siemens-Lernzentrum. Wie funktioniert das?

Arzberger: Bis jetzt tadellos. Die Mitarbeiter informieren sich via Katalog über die angebotenen Programme und melden sich an. Alles Arbeitsplatz-Spezifische wird innerhalb der Arbeitszeit gelernt, alles andere während der Freizeit. Wichtigste Themen sind Anwenderprogramme, Projekt-Management, Microcomputertechnik oder Programmiersprachen.

CW: Eigentlich widerspricht , ein zentrales Lernzentrum dem dezentralen Gedanken von CBT.

Arzberger: Sicher, deshalb beginnen wir jetzt, Abteilungsbibliotheken mit Lernprogrammen zu installieren.

CW: Warum wird nicht mehr CBT in den neuen Bundesländern eingesetzt, wo es einen so hohen Nachholbedarf an Weiterbildung gibt?

Arzberger: Zum einen spielt sicher der Zeitfaktor eine Rolle. Die Entwicklung eines CBT dauert rund ein halbes Jahr. Außerdem ist es nicht im Interesse der mehr oder weniger seriösen Weiterbildungsinstitute, die alle verdienen wollen. Zudem kommt, daß die Entscheider CBT noch nicht als ernst zu nehmende Alternative sehen.