Die "Kreativen" in neuen IT-Märkten

Die "Kreativen" in neuen IT-Märkten Multimedia-Agenturen und das lukrative E-Business

12.02.1999
Von Andrea Goder MÜNCHEN - Auf dem digitalen Marktplatz der Zukunft winken für kreative und schlagkräftige Multimedia-Agenturen lukrative Geschäfte - und ein harter Wettbewerb. Nur wenige der Spieler dürften aus der bevorstehenden Konsolidierung des Marktes als Sieger hervorgehen. Der Erfolg von New Media dürfte somit maßgeblich vom Durchbruch des Internet, an dem sich die Kreativen quasi festgezurrt haben, abhängen. Wie fest, könnte sich schon im Laufe dieses Jahres zeigen. Denn auch in der Multimedia-Szene scheint das Fusionsfieber um sich zu greifen. So übernahm vor kurzem der US-Konzern IXL die Hamburger Multimedia-Agentur Lava. Branchenführer Pixelpark verleibte sich Anfang dieses Jahres die Kölner Bitlab GmbH zu 75 Prozent ein, das Schwarzwälder Software- und Beratungshaus GFT beteiligte sich mit 51 Prozent an der Offenbacher Pixel-Factory GmbH. Viele Experten gehen davon aus, daß dies erst der Anfang einer nachhaltigen Konsolidierung des Marktes ist. Wer nicht von der Bildfläche verschwinden will, dem bleibt nichts anderes übrig, als rechtzeitig einen Nischenplatz zu besetzen oder einen aggressiven Expansionskurs zu steuern - finanziert über einen Börsengang. So haben neben Kabel New Media auch Pixelpark und Neurotec für dieses Jahr ihr Going Public angekündigt. Von Banken und vor allem den Venture-Capital-Gesellschaften umworben, werden einige der Multimedia-Macher zu diesem Schritt geradezu gedrängt, in der Hoffnung auf einen vermeintlichen Zukunftsmarkt. Über kurz oder lang dürfte sich aber auch hier, wie in der klassischen IT-Branche, bei den Neuemissionen die Spreu vom Weizen trennen. E-Commerce-Partner Wie findet eine E-Banking-Lösung ihren Weg ins Web und bekommt auch noch ein ansprechendes Design verpaßt? Die Stuttgarter Brokat Infosystems AG gestattet einen Blick hinter die Kulissen. Zu Beginn schreiben, so Brokat, die Banken in der Regel ein solches Projekt getrennt aus und entscheiden sich dann jeweils für eine E- Business-Plattform sowie entsprechende "Zuarbeiten" einer Agentur. Im weiteren legen die Partner eine gemeinsame Vorgehensweise fest, definieren die Inhalte und entwerfen das Design. Im Projekt selbst arbeiten beide Seiten getrennt. Screen-Designer der Agentur und Web-Master der Bank oder Agentur richten zunächst die Multimedia- Funktionen ein. Im Anschluß daran werden diese in die entsprechenden Applets der Online-Banking-Plattform ("Twister") von Brokat integriert. Das Angebot der einzelnen Agenturen ist dabei sehr unterschiedlich. Sogenannte Full-Service-Anbieter wie Pixelpark - bereits in mehreren Projekten Partner der Schwaben - können die gesamte Palette vom Web-Hosting bis zum Design abdecken. Andrea Gode ist freie Journalistin in München.

Am Anfang war die "Garage". Das mag für hiesige Software- wie Multimedia-Pioniere gleichermaßen gelten. Mit dem Unterschied allerdings, daß die Kreativen auch heute noch gerne in ausgedienten Pianofabriken oder hinter nostalgisch anmutendem Gemäuer residieren und von hier aus ihre "Entwürfe" ins Web stellen. Als vor rund zehn Jahren die New-Media-Szene in Deutschland ihren Anfang nahm, war hauptsächlich von interaktiven Anwendungen die Rede. Lernprogramme zum Beispiel mit mehreren (mehrfarbigen) Schrifttypen sowie vereinzelten "Sound"-Bausteinen verband man damals mit "Multimedia". Ein noch mühsames Geschäft, denn für die in der klassischen Werbe- und Marketing-Branche als Exoten geltenden Newcomer, die solche Lösungen entwickelten und auf den Markt brachten, ging es "ums nackte Überleben", erinnert sich Volker Tietgens, Chef der Wiesbadener Agentur Concept.

Für einen ersten Schub sorgten dann ab 1993 die Marketing- Aktivitäten großer Konzerne, die letzten Endes zwar nicht den neuen Medien, aber zumindest einzelnen Firmen zum Druchbruch verhalfen. Zu den Pionieren gehörte unter anderem die 1988 gegründete Feldmann Media Group, damals eine von 200 Entwicklerfirmen auf dem Markt. Deren Gemeinschaftsproduktion mit der bekannten Werbeagentur Springer & Jacoby, eine auf Diskette erhältliche interaktive Produktpräsentation der neuen "C-Klasse" für Mercedes-Benz, sorgte seinerzeit für Aufsehen. Auch andere Anwendungen machten kurzzeitig Furore, etwa die Kundenterminal- Lösung "Music-Master", die die Bertelsmann-Tochter Pixelpark für Karstadt konzipierte.

Der Rest der Multimedia-Historie - besser gesagt, das, was von diesem Begriff übrigblieb - ist schnell erzählt. Mit der Möglichkeit, digitale Videos abzuspielen, trat ab 1994 die CD-ROM ihren befristeten Siegeszug an, bevor die Silberscheibe schon im Sommer 1995, dem Beginn der Online-Zeitrechnung, vom sich abzeichnenden Internet-Boom zunächst als Hoffnungsträger der Branche abgelöst wurde. "Multimedia" wurde zwar noch einmal zum Wort des Jahres gekürt; "Sind Sie schon im Internet?" war allerdings seinerzeit bereits die (inoffizielle) Frage des Jahres.

Spätestens seit 1997 scheint jedoch die einschlägige Branche den Kinderschuhen entwachsen zu sein. Aus dem Internet-"Hype" entwickelten sich ernstzunehmende Geschäftsideen; aus dem einstigen Experimentierfeld der Marketing-Abteilungen wurden konkrete und vor allem auch lukrative Projekte. Doch die Kommerzialisierung des Cyberspace hat ihren Preis, der zunehmend harte Kampf um die E-Business- oder E-Commerce-Etats der Anwenderunternehmen bleibt nicht ohne Folgen für die Agenturlandschaft. "Derzeit zeichnet sich eine Professionalisierung ab, wie sie seit einiger Zeit schon in den USA zu beobachten ist", faßt Paulus Neef, Geschäftsführer der Agentur Pixelpark und Präsident des Deutschen Multimedia-Verbandes (DMMV), die momentane Entwicklung zusammen.

Rund 1200 Multimedia-Macher tummeln sich nach Angaben des DMMV heute im Markt, darunter allerdings noch immer viele freakige Bastelbuden. Angeführt wird die Rangliste der Agenturen derzeit von Pixelpark mit einem zuletzt ausgewiesenen Umsatz von 23 Millionen Mark (Geschäftsjahr 1997/98). Damit konnten die Berliner, die neben vier weiteren deutschen Standorten bereits in New York und Paris vertreten sind, gegenüber dem vergleichbaren Vorjahreszeitraum um 37 Prozent zulegen. Platz zwei im New-Media- Ranking belegte 1998 mit zwölf Millionen Mark Umsatz die Esslinger I-D Gruppe, gefolgt von der Wiesbadener Concept GmbH (siehe Abbildung Seite 39). Gemessen an den großen und namhaften IT- Herstellern sind die zehn größten Multimedia-Agenturen in Deutschland trotz insgesamt über 116 Millionen Mark Umsatz jedoch nach wie vor Winzlinge.

Diese Zahl könnte allerdings schon bald nach oben korrigiert werden, denn "Business-New-Media" birgt nach Ansicht von Branchenbeobachtern ein enormes Zukunftspotential. Dies verrät schon ein näherer Blick auf die Produkt- und Servicepalette der Newcomer, die strenggenommen keine mehr sind. Fast schon zu den Klassikern gehören beispielsweise Internet-Auftritte, Kiosksysteme und - immer noch - CD-ROMs. Wer übrigens glaubt, daß durch die starke Konzentration auf das Internet die CD-ROM aus dem Rennen ist, liegt daneben. Bei vielen Produzenten ist die Silberscheibe auch heute noch fest im Angebotsportfolio verankert. "Fast 40 Prozent unseres Umsatzes macht die CD-ROM-Produktion für gewerbliche Anwender aus", gibt Martin Feldmann, Chef der Nürnberger Agentur Feldmann Media Group, zu Protokoll.

Doch damit nicht genug. Im E-Business reicht das Angebot der Agenturen heute von elektronischen On- und Offline-Katalogen über interaktive Verkaufsterminals mit direkter Anbindung an Vertriebssysteme bis hin zu Konzeption, Design und Aufbau ganzer digitaler Warenhäuser oder Shopping-Malls. Eines der bekanntesten Beispiele dürfte bis heute das virtuelle Kaufhaus "Myworld" von Karstadt sein, 1996 von der Friedrichshafener Agentur Neurotec ins Netz gestellt. Zum Tagesgeschäft der Agenturen gehören aber auch sensible und unternehmenskritsiche Anwendungen wie E-Cash, Systemintegration, Call-Center-Anbindung oder E-Mail-Management.

Immer mehr Agenturen entwickeln Software

Daneben sind die New-Media-Macher auch Produktentwickler. "Toolbox" heißt etwa eine von Pixelpark entwickelte Software für Internet-Auftritte, die ID-Gruppe konzipierte den Online-Dienst "Cycosmos". "Vor allem Intra- und Extranet-Lösungen werden in Zukunft für volle Auftragsbücher sorgen", gibt sich Concept-Chef Tietgens optimistisch. Immer häufiger gehören zudem auch Beratungs- und Serviceleistungen zu den Einnahmequellen der Agenturen. Mit anderen Worten: Man fischt zunehmend in Gewässern von IT-Herstellern und Softwarefirmen, die sich natürlich längst auch den E-Commerce auf ihre Fahnen geschrieben haben.

New-Media-Lösungen erfordern eine "hohe Schnittstellen-Kompetenz", etwa bei der Integration von E-Commerce-Lösungen oder Datenbanken, heißt es hierzu offiziell bei vielen Agenturen. Und sie verdingen sich, wie es scheint, durch geschickte Kooperationen bei vielen E- Business-Projekten zumindest als Sub-Auftragsnehmer der einschlägigen Spezialisten. Bei der Intershop Communications AG etwa wird die Implementierung eines digitalen Vertriebssystems unter anderem auch durch Multimedia-Agenturen realisiert, die gleichzeitig Partner der Jenaer Pioniere sind. So hat die in Bad Homburg ansässige Intouch GmbH vor kurzem für den Degussa-Konzern ein auf einer Intershop-Lösung basierendes Bestellsystem für Dentalprodukte ins Web gebracht - abrufbar unter www.ankylos.com. Auch die Stuttgarter Brokat AG, Anbieter von Lösungen für den elektronischen Zahlungsverkehr, arbeitet zum Teil sehr eng mit Multimedia-Agenturen wie Pixelpark, Media Link oder Media Aktiv zusammen (siehe Kasten "E-Commerce-Partner").

Daß der Auftritt im Cyberspace bei den jeweiligen Unternehmen längst zu einer festen Größe avanciert ist und systematisch angegangen wird, gilt mittlerweile als unbestritten. Durchschnittlich 515000 Mark investierten deutsche Firmen im vergangenen Jahr in ihre Web-Präsenz, fand das Dortmunder Prof-Net Institut für Internet-Marketing heraus. "Einen ordentlichen Internet-Auftritt kann man allerdings schon für 20000 bis 50000 Mark pro Jahr realisieren", rechnet Prof-Net-Leiter Uwe Kamenz vor. An der Web-Ignoranz in deutschen Landen läßt der Dortmunder Professor allerdings kein gutes Haar: "Selbst Topentscheider in Unternehmen haben keine Ahnung vom Internet und gehen das Thema oft nur halbherzig an." Von 520 Großunternehmen sind nach einer Prof-Net-Studie erst knapp 350 mit einer eigenen Site vertreten - von den Web-abstinenten Mittelständlern ganz zu schweigen. Bislang haben in Deutschland über 90 Prozent der Unternehmen das Online- Zeitalter verschlafen, lautet die ernüchternde Bilanz der Dortmunder.

Zahlen wie diese überraschen Kenner die hiesigen IT-Szene nicht. Aber sie schärfen den Blick für ein vermutlich riesiges Potential, das die Agenturen, die im laufenden Jahr mit Umsatzsteigerungen von teilweise bis zu 100 Prozent rechnen, längst ins Visier genommen haben. Nicht zuletzt soll sich aber das Wachstum auch bei den Renditen bemerkbar machen. Bislang brachten nämlich die New- Media-Aktivitäten vielen Agenturen allenfalls magere Gewinne. Ergebnis: Mit der - bezogen auf die Unternehmensgröße - "kritischen Masse" kämpfend, halten sich viele der Kreativen derzeit gerade so über Wasser.

"Man wird sicherlich nicht steinreich", gibt sich Agenturchef Feldmann entsprechend bescheiden. Marktführer Pixelpark arbeitet indes eigenen Aussagen zufolge schon seit Jahren profitabel. Einen genaueren Blick in die Bilanzen gestatten die Berliner allerdings nicht. Dafür, daß Kreativität noch lange keine Garantie für nennenswerte schwarze Zahlen ist, ist auch Kabel New Media ein Beispiel. Für die Hamburger Agentur, die vom Branchenblatt "Horizont" im Frühjahr 1998 zur besten Kreativschmiede gekürt wurde und Kunden wie BMW, Otelo und SAT 1 auf der Referenzliste führt, sind Gewinne noch Zukunftsmusik. 20 Prozent Rendite vor Steuern sollen es jedoch in fünf Jahren schon sein, kündigten die Norddeutschen im Vorfeld ihres für dieses Jahr geplanten Börsengangs an.

Als ernstzunehmende Wachstums- und Ertragsbremse könnte sich allerdings der eklatante Fachkräftemangel entpuppen, von dem die Multimedia-Branche derzeitg gebeutelt wird. Ein weiterer Berührungspunkt mit der IT-Industrie sozusagen - und ein zusätzliches Wettbewerbsfeld. Einige tausend freie Stellen sind jedenfalls nach Angaben des DMMV sofort zu besetzen. Gefragt sind vor allem Projekt-Manager und Web-Programmierer, die natürlich auch anderswo händerringend gesucht werden. Zu schaffen macht den Personalchefs bei der Rekrutierung des Nachwuchses das der Branche noch immer anhaftende "Budenimage". Dieses sei jedoch, so DMMV- Präsident Neef, heute nicht mehr gerechtfertigt. "Effizientes Projekt-Management, Marketing-orientierte Konzeption und strategische Beratung sind heute ebenso wichtig wie kreatives Design und technisches Know-how", hebt er die vermeintliche Professionalität der Agenturen hervor, die heute mit Schlagworten wie Internet-Consulting, Digital Media oder Screen-Design operieren.

Aus den genannten Gründen dürfte die hiesige Agenturlandschaft jedenfalls vor größeren Umwälzungen stehen. Vor allem auch, weil die rasante Entwicklung des Internet auch dieser jungen Branche eine ungeheure Dynamik verleiht. "Das rasche Innovationstempo sorgt dafür, daß alle zwei Jahre völlig neue Produkte auf dem Markt kommen", riskiert Neef einen Blick in die Zukunft. Personalisierung sei momentan nur einer der Trends. Händler und Kunden sollen dabei mit Hilfe individualisierter Web-Angebote adressiert werden. Nach dem Jahr 2000 könnten dann breitbandige Anwendungen das Angebotsportfolio "nochmals auf den Kopf stellen", läßt sich der Pixelpark-Chef und Verbandssprecher in die Karten blicken.

Wer "kreativ" ist, steuert einen Expansionskurs