IBM versus Leasinggesellschaften: Wer kontrolliert den Markt?

Die Konkurrenz könnte zur Pattsituation führen

07.02.1986

MÜNCHEN - Der milliardenschwere Gebrauchtmaschinenmarkt befindet sich weltweit in den Händen von international operierenden Leasinggesellschaften. Weit über 90 Prozent der 308X-Systeme wurden von IBM verkauft und dann größtenteils von sogenannten unabhängigen Leasingfirmen refinanziert. IBM selbst verfügt hier nur über ein sehr kleines Portfolio: eine wichtige Basis für die diesjährige Entwicklung.

IBM hat kürzlich die Leasingfirmen endgültig zu ihren neuen Wettbewerbern erklärt. In der Tat - IBM und Leasinggesellschaften scheinen sich auf Kollisionskurs zu befinden. Der Marktführer hat sehr klar erkannt, daß er mehr und mehr an Einfluß verliert, je stärker das Portofolio der Leasinggesellschaften wächst. Er spürte die schleichende Entwertung seiner Marktposition und beschloß deshalb, selbst ins Leasinggeschäft einzusteigen, nach dem Motto: If you can't beat them - join them! Doch das ist der Kollisionskurs von morgen.

Eine modellartige Betrachtungsweise macht vielleicht deutlicher, wie die Interessen derzeit verteilt sind: Der Produzent IBM und die Leasinggesellschaften verfolgen prinzipiell völlig unterschiedliche Gewinnstrategien. Der Marktführer setzt auf Neugeschäft und Aufrüstung, während die Leasinggesellschaften eine vornehmlich auf Hardwareaustausch ausgelegte Ertragspolitik betreiben. IBM bedient sich ihrer Produktion, die Leasinggesellschaften ihres Portfolios.

Das muß dazu führen, daß immer dann, wenn ein Technologiewechsel stattfindet, die Gewinninteressen dieser beiden Lager im Markt kollidieren. Die Frage ist nur: Wer ist stärker? Die Antwort ist verblüffend. Es sieht so aus, als ob sich zwischen IBM und den Leasinggesellschaften eine Pattsituation entwickelt, unter der beide ebenso leiden wie sie davon profitieren. Mehr noch: Obwohl sie harte Konkurrenten sind, arbeiten sie einander zu. Angebot und Nachfrage entscheidend mitbestimmen

Noch vor wenigen Jahren, als IBM sich vom Mietgeschäft verabschiedete, galt folgende These: Je erfolgreicher die Leasinggesellschaften sind, desto besser geht es IBM. Fast jeder Verkauf einer neuen Maschine führte zu einem Leasingabschluß. Diese Symbiose hielt jedoch nur in der Investitionsphase. Sie wurde in dem Augenblick aufgelöst, als die Leasinggesellschaften ihre großen Portfolios aufgebaut hatten. Sie sind nun potentiell in der Lage, Angebot und Nachfrage entscheidend mitzubestimmen, denn sie besitzen ja die Verfügungsgewalt über die Maschinen und versuchen nun, diese für sich auszunutzen.

Das derzeitige Wiedervermarktungsangebot im 308X-Markt wird rekrutiert bei den 3090-Anwendern, deren 3081er oder 3084er zu möglichst hohen Preisen abgestoßen werden sollen. Die potentiellen Nachfrager sind die 3083-Anwender. Soweit ist alles klar. Doch teure Austauschhardware reizt diese Kunden nicht. Da können sie auch gleich auf die Ankündigung der 3090-100 warten. Zudem haben sie ein starkes Handicap. Wo sind die Abnehmer für gebrauchte 3083er, die - noch jung im Markt - zumeist mit hohen Restwerten ausgestattet sind? Antwort: Es sind die 4341-User, die allerdings von IBM energisch und mit attraktiven Leasingangeboten in Richtung 4381 gelenkt wurden. Hier hat IBM streng aufgepaßt, daß Leasingfirmen keine Kontrolle über diesen Markt gewinnen.

Was passiert also? Der Hochpreismarkt funktioniert nicht. Die Preise drohen zu kippen. Das wäre fatal. Denn dann würde der Markt implodieren, in sich zusammenbrechen.

Folgende Kettenreaktion ist dabei denkbar: Je mehr Kunden zur 3090 migrieren, desto größer wird das Angebot an 3081/84-Maschinen. Doch die Kunden können die Offerten nicht annehmen, weil ihre Leasinggesellschaft sie nicht aus dem bestehenden Vertrag entlassen kann. Die Aufrüstung zur 3081 ist zu teuer und steigert letztlich nur das Restwertrisiko. Denn diese Maschine wird über kurz oder lang ebenfalls auf dem "kaputten" 3081 /84er Markt erscheinen.

3083-Anwender wird ausgehungert

Der 3083-Anwender wird regelrecht ausgehungert. Er kann und darf seine Kapazität nicht ausweiten. IBM selbst kann diese Kettenreaktion auch nicht durchbrechen, de die erwartete 3090-100 überhaupt nicht konkurrenzfähig ist. Droht der Preis zu kippen, müssen und werden die Leasinggesellschaften sofort gegensteuern und das Angebot verknappen. Sie animieren dabei den Größtanwender, seine 3081 oder 3084 als attraktive Back-up-Lösung zu behalten. Das wird IBM freuen, denn nun kassiert sie doppelte Softwarelizenzen und Wartungsgebühren. Preiswerte Features - wie IBM sie möglicherweise ankündigt - sorgen dafür, daß eine enge und schnelle Verkoppelung von 3090 und 308X erstellt werden kann.

IBM ist darüber hinaus nicht daran interessiert, daß preiswerte 308X-Systeme das Neugeschäft mit 3090- 100 torpedieren. Der Hersteller will zudem 1986 keine Aufrüstsätze mehr verkaufen, da diese um so unprofitabler werden, je stärker die 3090-Produktion mit den neuen TCMs und Chips hochgefahren wird. Und da es ihr verboten ist, gebrauchte 308X-Systeme zu kaufen, um sie für die Erstellung von Aufrüstsätzen auszuplündern, bleibt den 3083-Anwendern nur eine Alternative: 3090 oder Austausch. Vielleicht kann er noch als dritte Möglichkeit gebrauchte Aufrüstsätze von den Leasinggesellschaften kaufen. Aber das ist nicht unproblematisch, da die Installationsverantwortung geklärt werden muß.

Auf jeden Fall werden sich die Gebrauchtmaschinenpreise 1986 auf einem Niveau stabilisieren, die dem Anwender jede Entscheidung sehr schwer macht. Aber er muß sich entscheiden - zwischen zwei gleichwertigen Lösungen, und hier stehen dann IBM und Leasinggesellschaft in einer harten Konkurrenzsituation

Entscheidet sich der Kunde für Austauschhardware aus dem Gebrauchtmaschinenmarkt, dann hat IBM vorübergehend verloren. Die Frage ist: Wieviel hat die Leasinggesellschaft gewonnen? Entscheidet sich der Kunde für eine funkelnagelneue 3090, dann hat IBM auf jeden Fall den Fall für sich entschieden - aber noch nicht ganz, wenn der Anwender leasen will. Leasing, das ist der eigentliche Kampfplatz zwischen den beiden Kontrahenten in diesem Jahr. Der 308X-Markt ist nur noch ein Nebenschauplatz - für IBM, die hier nur ganz sachte intervenieren wird. Ihr geht es primär um den Aufbau eines Portfolio für die nächste Wiedervermarktungsphase, an der IBM dann selbst mit aller Macht und mit hohen Preisen partizipieren will.