"Die Konformität zu DME ist unser oberstes Ziel"

29.05.1992

Anläßlich der Ankündigung der Software Openview 3.0, die laut Hewlett-Packard (HP) die ersten Management-Produkte auf Basis der Distributed Management Environment (DME) der Open Software Foundation (OSF) enthält, sprach Rainer Janssen, unabhängiger Berater, im Auftrag der COMPUTERWOCHE mit Robert Hoog, General Manager der System Management Division bei der Hewlett-Packard Deutschland GmbH.

CW: HP hat bei den Neuankündigungen für das Netz- und System-Management sehr stark Bezug auf das Management offener Systeme genommen. Wie definiert HP offene Systeme?

Hoog: Offene Systeme zeichnen sich vor allem dadurch aus, daß sie miteinander kommunizieren können - was oft mit Interoperabilität bezeichnet wird. Darüber hinaus spielt bei offenen Systemen die Flexibilität im Bereich der Applikationen - die Portabilität - eine große Rolle. Damit Interoperabilität und Portabilität möglich werden, müssen diese Systeme auf den entsprechenden Standards aufsetzen, wobei zwischen De-facto-, Konsortial- und internationalen Standards unterschieden wird.

CW: Warum wächst der Bedarf an offenen Standards plötzlich?

Hoog: Die historische DV-Welt ist durch eine starke Trennung zwischen verschiedenen Systemumgebungen gekennzeichnet. Dadurch entstanden nicht nur technische Kompatibilitätsprobleme, sondern es wurde bei Anwendern das Verständnis nur für eine bestimmte Herstellerlandschaft entwickelt. Sogar innerhalb der Unternehmen entstanden Mitarbeiterlandschaften, die jeweils von einer spezifische Herstellerwelt geprägt sind. Es existierten also Grenzen selbst in den Köpfen der Mitarbeiter, die es unmöglich machten, Daten und Informationen auszutauschen. Offene Systeme versprechen, diese Problematik zu überwinden.

CW: Es ist leicht, eine Strategie zu definieren, aber wie will HP offene Systeme realisieren?

Hoog: Die Strategie von HP ist seit langer Zeit mehr als eine reine Hardwarestrategie. Es wird oft übersehen, daß wir drei Softwarebereiche vorantreiben. Das ist einmal die integrierte Vorgangsbearbeitung, darüber hinaus die Software-Entwicklung und last, but not least der Bereich des Netz- und System-Managements. Gerade der letzte Bereich erfährt beim Anwender mehr und mehr Aufmerksamkeit.

Zu sehen ist das zum Beispiel an der Diskussion über Outsourcing, die ja auch ein Ausdruck der Unzufriedenheit der Geschäftsleitung mit der bestehenden DV-Landschaft und der Art und Weise, wie diese verwaltet werden kann, ist. Outsourcing ist ein Versuch, Geschäftsziele besser zu erreichen.

Außerdem realisieren viele Anwender jetzt den Einstieg in die neuen Client-Server-Konzepte und in offene Systeme, um so heterogene Systemlandschaften miteinander zu verknüpfen und dann letztendlich als ein Ganzes überwachen zu können. Bei nahezu allen großen Projekten, in die wir involviert sind, ist dies ein sehr bedeutendes Element. Die Anwender haben nämlich festgestellt, daß die Lösungen, die sie aus der Vergangenheit kennen, Ansätze sind, die sich auf auf diese neue Welt nicht übertragen lassen. Deshalb sind neue Konzepte gefragt.

CW: Das hört sich alles sehr gut an. Man könnte fast den Schluß ziehen, daß offene Systeme so leicht beherrschbar sind, daß ihr Netz- und System-Management zum Kinderspiel wird.

Hoog: Die Anwender erwarten natürlich zu Recht von den Herstellern Lösungen für das Netz- und System-Management, die diesen Ansprüchen gerecht werden. Tatsache ist aber, daß die neue offene Client-Server-Systemlandschaft eine sehr große Komplexität mit sich bringt. Die Herausforderung für Hersteller ist, diese Komplexität so zu beherrschen, daß der Anwender nicht damit konfrontiert wird, sondern in der Lage ist, die Produktivität seiner Computernetze erheblich zu steigern. Produktivität bedeutet in diesem Zusammenhang zum einen, Kosten zu reduzieren, und zum anderen, den Servicegrad von Rechenzentren und Netzen zu erhöhen. Da dies in den neunziger Jahren zunehmend die Integration der unterschiedlichsten Plattformen beinhaltet, haben wir es hier mit einem erheblich höheren Komplexitätspotential zu tun, als es homogene Systemlandschaften bereithalten.

CW: Was verstehen Sie unter integriertem Management, und wo liegen die Gemeinsamkeiten beziehungsweise Abgrenzungen zwischen Netz- und System-Management?

Hoog: Man kann zunächst einmal generell festhalten, daß im heutigen Computergeschäft sehr viele Begriffe aus der Vergangenheit ihre ursprüngliche Bedeutung verloren haben und neuen Definitionen Platz machen müssen. Ich denke daran, daß viele Minicomputer sich zu Servern verändern und von der Leistungsklasse her zum Teil sogar als Mainframe fungieren. Man sieht, daß an vielen Stellen eine Begriffsneudefinition stattfindet. Diesen Umbruch finden wir auch in den Bereichen Netz- und System-Management.

Der Grund für das Zusammenwachsen dieser beiden Bereiche ist darin zu sehen, daß - einfach ausgedruckt - das Netzwerk der Computer geworden ist. Der Anwender arbeitet nicht mehr mit einem einzelnen Computersystem, sondern mit einem Verbund von Systemen - einem Netz. Lösungen, die entweder nur das Netz oder nur das System als Lösungsplattform anpeilen, übergehen daher die notwendige, zweite Hälfte in dieser Gleichung. Tragfähige Lösungen müssen heute das Netz und den Knoten im Netz - das Computersystem - beinhalten.

CW: Wie strukturiert HP sein Netz- und System-Management?

Hoog: Um es vielleicht auf die wichtigsten Dimensionen zu reduzieren, lassen sich drei wesentliche Achsen herausheben: einmal die Funktionalität von Management-Lösungen, zum Beispiel Fehlererkennung und -behandlung sowie Konfigurations- und Performance-Management. Die zweite Achse gibt den Automatisierungsgrad dieser Lösungen an. Hier lassen sich mehrere Level von Automatisierung definieren, die in ihrer äußersten Ausprägung bis hin zur Einbindung von Expertensystemen und ähnlichen Möglichkeiten im Sinne der künstlichen Intelligenz gehen. Die dritte Ebene beschreibt die Ausdehnung der Netz- und System-Management-Lösungen über einen homogenen Bereich hinaus in eine Multivendor-/Multiplattform-Umgebung.

Erst die Integration der unterschiedlichsten Plattformen versetzt ein Unternehmen in die Lage, nicht nur für einzelne Geschäftsbereiche, sondern für ein unternehmensweites Netz- und System-Management einheitliche Aufgaben, Prozesse und Strukturen zu definieren, im gesamten Unternehmen zu verbreiten und zu steuern.

CW: Nun gibt es ja genaugenommen nur wenige Anbieter, die den Anspruch erfüllen können, eine Integrationsfunktion für Netz- und System-Management im heterogenen Umfeld zu bieten. Wodurch zeichnet sich Ihrer Meinung nach der Openview-Ansatz von HP aus?

Hoog: Zielsetzung war und ist, dem Anwender umfassende Lösungen für das Management heterogener Umgebungen zur Verfügung zu stellen. Ein wesentlicher Schritt war für uns dabei die Beteiligung an der Ausschreibung der OSF zur DME.

CW: Wodurch unterscheidet sich Openview von anderen Ansätzen?

Hoog: Der erste Punkt ist, daß Openview wesentliche Komponenten in die OSF-Technologie eingebracht hat. Inzwischen gibt es Aussagen vieler namhafter DV-Hersteller, daß sie die OSF/DME-Technologie ebenfalls unterstützen werden. Wir sind davon überzeugt, daß damit Openview in Form von OSF/DME zu dem Industriestandard für Netzwerk- und System-Management-Plattformen wird. Insofern erlaubt Openview eine schnelle Entwicklung zu dieser Management-Plattform.

Zweitens stehen wir konsequent zu unserer Aussage, daß es sich um eine Multivendor-Umgebung handelt. Deshalb steht Openview nicht nur auf der HP-Plattform, sondern auch in anderen Systemumgebungen zur Verfügung. Openview gibt es heute bereits auf SUN- und IBM-Systemen, die Portierung auf weitere Umgebungen ist geplant. Außerdem bieten wir heute bereits auf Basis der Openview Plattform-Lösungen an, die es dem Anwender erlauben, heterogene Umgebungen zu verwalten.

CW: Sie haben bereits mehrfach den Begriff Plattform benutzt. Welche Philosophie steckt hinter diesem Konzept und was bedeutet das für den Anwender?

Hoog: Um den Grad an Integration zu liefern, den die Anwender sich wünschen, ist es notwendig, daß wir einige grundlegende Voraussetzungen schaffen. Mit Openview wird eine Management-Umgebung bereitgestellt, die wichtige Grundfunktionen, zum Beispiel eine Benutzerschnittstelle, standardisierte Kommunikationsverfahren, einheitliche Datenhaltung etc., bereits beinhaltet, die über einheitliche Programmierschnittstellen (APIs) genutzt werden können. Nur auf dieser Basis ist eine schnelle und effiziente Entwicklung von Management-Applikationen möglich. Mit dem neuesten Release erweitern wir die Möglichkeiten für den Entwickler.

CW: Was beinhalten die von Ihnen erwähnten Neuankündigungen im Detail?

Hoog: HP bietet mit Openview, Release 3.0, erstmals Netz- und System-Management-Lösungen mit den Technologien, die von der OSF als Kern der DME ausgewählt wurden. Für diese Kerntechnologien haben übrigens bereits IBM und Bull Lizenzen erworben. Openview Windows GUI bietet eine einheitliche Benutzerschnittstelle an. Darüber hinaus wurde eine wichtige Applikation zum Management von TCP/IP-Netzen, der HP Openview Node Manager, um neue Funktionen erweitert. Die Beschleunigung der Anwendungsentwicklung ist das Ziel der beiden Entwicklungssätze HP Openview SNMP Developer Kit und HP Openview Distributed Management Developer Kit.

Weitere Lösungen werden folgen, denn letztendlich sind es genau diese Lösungen, die den Wert von Openview für den Anwender darstellen. Im Rahmen unseres langjährigen Openview-Programms haben wir erreicht, daß heute mehr als 100 Partner an Lösungen für Openview-integrierte Produkte arbeiten.

Die Management-Applikationen, die auf einer Plattform angeboten werden, sind für den Anwender ein wichtiges Kriterium zur Beurteilung dieser Plättform, denn der User will in der Regel keinen Werkzeugkasten, sondern fertige Lösungen.

CW: Welche Management-Applikationen haben bei Ihnen höchste Priorität?

Hoog: Wie bereits erwähnt, arbeiten wir selbst und viele Partner an der Realisierung von Applikationen. Ein Beispiel ist der vorher genannte Node Manager für das Management von TCP/IP-Netzen. Darüber hinaus bieten wir zum Beispiel Applikationen für netzweite Datensicherung und Spooling im Netz an. Ganz aktuell ist ein weiteres Produkt aus einer ganzen Reihe von Beispielen HP Perfview zu nennen. Dieses Tool erlaubt, die Systemauslastung am Monitor darzustellen, um dort, wo Engpässe auftreten, entsprechende Tuning-Maßnahmen initiieren zu können.

CW: Was verbirgt sich hinter DME und welche Bedeutung wird es für Anwender haben?

Hoog: Das DME beinhaltet zunächst einmal ein einheitliches Regelwerk als Basis für integriertes Netz- und System-Management über Herstellergrenzen hinweg. Es ist zweitens aber mehr als nur ein Regelwerk, denn OSF wird unter der Bezeichnung DME eine konkrete Technologie ausliefern, die Ausdruck dieses Regelwerkes ist. Drittens schließlich schafft die Portierung auf unterschiedliche Herstellerumgebungen den Standard für Netz- und System-Management-Plattformen, auf den Hersteller und Softwarehäuser aufsetzen, um Management-Lösungen für offene Systeme anbieten zu können.

CW: Die OSF wählt Technologien mehrerer Anbieter zu einem bestimmten Zeitpunkt aus und benötigt dann einige Zeit für die Integration. Anschließend wird das integrierte Paket Herstellern und Softwarehäusern zur Verfügung gestellt. Wie werden die Aktivitäten der OSF mit der Weiterentwicklung durch die Lieferanten einzelner Komponenten, zum Beispiel HP, koordiniert?

Hoog: Wir haben uns intensiv mit dieser Frage beschäftigt und uns selbst gefragt, wie wir dieser Problematik Rechnung tragen können. Die grundsätzliche Position von HP ist, daß wir Openview konsequent in Richtung DME weiterentwickeln, das heißt, es gibt heute bereits große Teile von Openview, die durch die OSF ausgewählt wurden und insofern bereits dem zukünftigen Standard entsprechen. Es existieren aber auch andere Bereiche, wo DME-Komponenten eingesetzt werden, die nicht von HP stammen. Unsere Strategie ist es, diese Komponenten zum frühest möglichen Zeitpunkt innerhalb von Openview zur Verfügung zu stellen.

CW: Heißt das auch, daß die Entwicklungsressourcen bei HP auf diesem Gebiet in den nächsten Jahren darauf beschränkt werden, Openview DME-konform zu gestalten?

Hoog: Das Openview-Programm bündelt sehr umfangreiche Kräfte und Ressourcen bei HP, weil wir dem Thema Netz- und System-Management strategische Bedeutung beimessen. Daraus ergibt sich, daß unser Ehrgeiz über die reine DME-Konformität hinausgeht: Wir glauben, daß DME eine wichtige Standardisierungsebene darstellt, es aber auf einer höheren Ebene noch sehr viele Freiräume zur Differenzierung und für zusätzliche Wertschöpfung gibt. Unser Ziel ist, diese Freiräume auszuschöpfen, um eine Unterscheidung vom Mitbewerb zu erreichen, ohne dadurch die Konformität zu DME zu verletzen, die unser oberstes Ziel ist.

CW: Sie stellen sich einen Kunden vor, der verschiedene Betriebssysteme nutzt, ein umfangreiches SNA-Netz hat, Decnet, Unix-Systeme und LANs einsetzt. Was spricht in einer solchen Umgebung für Openview?

Hoog: Der Status quo für Anwender in einer solchen Landschaft ist, daß Management-Lösungen heute jeweils nur Teillösungen für bestimmte Umgebungen darstellen. Auch in Zukunft ist es sicherlich nur schwer vorstellbar, daß ein einziges Management-System alle Anforderungen, die sich in der von Ihnen skizzierten Landschaft stellen, erfüllt. Daraus ergibt sich ein starker Bedarf an Integration zwischen verschiedenen Managementsystemen. In bezug auf Openview heißt das, daß, zum einen einige der oben erwähnten Management-Applikationen, zum Beispiel der Node Manager, in diesem Umfeld eingesetzt werden können und zum anderen Openview einen ersten integrierenden Schritt in Richtung OSF/DME darstellt.

CW: Als Beobachter der DV-Szene drängt sich der Eindruck au als bewegten wir uns in einer heilen Welt. Wie heil ist diese Welt wirklich?

Hoog: Zunächst einmal handelt es sich in diesen Tagen aus der Sicht eines Herstellers um alles andere als eine heile Welt. Im Gegenteil, wir bewegen uns in einer sehr schweren Zeit. Die Parameter in der DV-Welt werden neu definiert, insofern werden auch Kriterien für Gewinner und Verlierer in diesen Tagen neu festgelegt. In der Vergangenheit war es so, daß DV-Hersteller in der Lage waren, sich unliebsam Konkurrenten mittels proprietärer Architekturen vom Leib zu halten. Dieses ist in der Welt der offenen Systeme in immer geringerem Maß der Fall. Unternehmen, seien es Hardware- oder Softwarehersteller, die weiterhin versuchen, sich über proprietäre Architekturen zu differenzieren, werden mit Sicherheit zu den Verlierern gehören.

Allerdings vergrößert sich durch standardisierte Architekturen auch das Feld, es gibt eine größere Anzahl von Mitbewerbern, die Konkurrenzsituation wird sich für alle verschärfen und gleichzeitig einen Bereich verschieben, der mehr anwenderorientiert ist. In Zukunft werden Kunden mehr nach der Lösung fragen und weniger nach der Technologie. Gewinnen wird, wer die neuen Standardarchitekturen relativ schnell realisiert, und damit die Voraussetzungen schafft, Anwendungslösungen dafür zu entwickeln.

CW: Wodurch werden sich Management-Systeme der neunziger Jahre auszeichnen?

Hoog: Die Management-Lösungen in den neunziger Jahre dürften sich dadurch auszeichnen, daß sie Abläufe und Prozesse beim Steuern und Verwalten von Systemen und Netzen besser unterstützen. Eine zweite wichtige Eigenschaft wird die wesentlich verbesserte Integration der unterschiedlichen Komponenten sein.

Als dritter Punkt ist eine zunehmende Zentralisierung von Management-Funktionen zu nennen. Obwohl sich Netze und Systeme in den 90er Jahren immer mehr ausbreiten, wird sich das Management dieser verteilten Systeme funktional immer stärker an wenigen Zentralstellen bündeln. Diesem Trend müssen die Produktlösungen der Anbieter Rechnung tragen.

CW: Muß ein Anwender, der Verbesserungen im Netz- und System-Management erzielen möchte, einige Millionen im Budget reservieren?

Hoog: Es ist nicht nur der Kostenaspekt, der hinter dieser Frage steht, denn die Einführung eines neuen Management-Systems bedeutet immer einen Eingriff in laufende Prozesse, bedingt organisatorische Anpassungen und beinhaltet auch einen erheblichen Lernaufwand auf seiten der Mitarbeiter. Es ist also auch wichtig, daß solche Systeme schrittweise eingeführt werden können. Wir tragen in HP Openview diesen Anforderungen dahingehend Rechnung, daß die einzelnen Produkte auch für sich allein einen Nutzen für den Anwender darstellen und daß über einen längeren Zeitraum schrittweise die Plattform ausgebaut wird.