Integrationsprozesse für den Handel:

Die Kasse ist eingebettet in komplexer Umgebung

22.05.1987

Mit Hilfe moderner Technik findet der Handel zu seiner ursprünglichen Bedeutung zurück: über die Tauschwirtschaft der Frühzeit und den reisenden Kaufmann des Mittelalters erfuhr der Handel schließlich jene hohe Spezialisierung in Kundenstruktur und Warensortiment, im (Bar-) Geldverkehr, in Lieferanten- und Bankbeziehungen, wie wir sie heute kennen.

Mit hochentwickelten Dezentralisierungs- und Vernetzungskonzepten bietet die Computertechnologie nun einen neuen, branchenübergreifenden Service an: Banking-POS ist eine Bankschalter-Dienstleistung an der Kasse des Einzelhandels, an der elektronische Verfügungen über das Kundenkonto getroffen werden.

Dies ist aber nur ein Beispiel von vielen, das zeigt, wie Kassenplätze in eine vernetzte Umgebung hineinwachsen.

Ähnliche Integrationen gibt es sowohl innerhalb eines Unternehmens zu externen Betrieben wie zu Lieferanten, zur Geldwirtschaft und zu Marketinginstituten. Es bietet sich heute eine Fülle von Aspekten, die den Kassenplatz in eine sehr komplexe Umgebung einbettet. Hier stellt sich für den Handel die Frage, welches dieser Teilziele die besten Rationalisierungschancen bietet. In der Praxis ergibt sich hieraus eine große Breite von Lösungsansätzen.

DV-Leistung dezentral in den Filialen

Dreh- und Angelpunkt ist die Anwendung dezentralisierter Computerleistung in den Filialen - bis hinein in die Kasse. Eine moderne Datenkasse dient nicht mehr nur der Abrechnung des Verkaufsvorgangs, sondern ebenfalls der preisgenauen Erfassung über Scanner und Price-Look-up-Dateien (PLU) und der artikelgenauen Verbuchung. Scanning im Supermarkt bedingt einen umfangreichen organisatorischen und datentechnischen Aufwand.

So müssen Artikelstammdateien für das gesamte Warensortiment - meist in der Zentrale - angelegt und zeitgenau gepflegt werden. Solche Artikeldateien müssen beispielsweise berücksichtigen, daß ein und derselbe Artikel von verschiedenen Lieferanten mit unterschiedlicher EAN-Nummer angeliefert wird. Denn der auf der Verpackung befindliche EAN-Strichcode ist über den Scanner die Zugriffsadresse auf den Artikelstamm in der Kasse.

Alle Datensätze zweifach gespeichert

PLU-Dateien müssen bei Verkaufsaktionen verschiedene Preise für genau festgelegte Zeitspannen ausweisen (Preistermindatei). Über diese Dateien werden Regaletiketten mit Preis- und Artikelinformationen für die Kunden erstellt. Einer der wesentlichen Vorzüge von Scanning liegt für die Verkaufsstelle darin, daß die personal- und zeitintensive Artikel-Preisauszeichnung entfällt.

Filialbezogene Preisdateien versetzen ein Tochterunternehmen wieder in die Lage, standortspezifisches und damit sehr wirksames Marketing zu betreiben. Damit ein dauerhafter und ungestörter Betrieb gewährleistet ist, wird die Kassenkonfiguration im Markt so ausgelegt, daß alle PLU-Dateien und Datensätze zweifach gespeichert sind. So wurde in Verbrauchermärkten mit beispielsweise 30 Scannerkassen erreicht, daß auch bei Ausfall einzelner EDV-Komponenten der Markt über viele Jahre hinweg ohne Unterbrechung kassierfähig blieb und keine Daten verlorengingen (Fehlertoleranz).

Über einen mit der Kassenlösung verbundenen Bildschirm-Arbeitsplatz lassen sich Wareneingänge und Inventurdifferenzen erfassen, mobile Daten-Terminals verarbeiten Bestelldaten für Nachlieferungen, geben Inventurzahlen und übertragen ihr gesammeltes Wissen auf den Marktrechner. Neuerdings laufen ebenfalls die Personaldaten (Arbeitsanfang/Pause/Ende) in diese Sammeleinheit zur Verarbeitung vor Ort oder zur Übertragung in die Zentrale.

Hier fallen die Managemententscheidungen, deren Grundlage die

Auswertung der Warenwirtschaftsdaten aller Filialen bildet: Artikellistung, Bestellung, Verkaufs- und Aktionspreise, Filialsortiment und Filialpreisdifferenzierung, Regalplatzbelegung, Bestandskontrolle und Ertragsoptimierung sind die wichtigsten Funktionen eines mehrstufigen Warenwirtschaftssystems. Die ebenfalls hier einlaufenden Personaldaten dienen der Einsatzplanung der Mitarbeiter an der Verkaufsfront in Abhängigkeit von exakt ermittelten Kundenfrequenzen, von möglichen Werbeaktionen und Saisonschwankungen .

Für das Handling solcher Operationen stehen filialisierten Handelsunternehmen heute leistungsstarke Netzwerk-Management-Systeme zur Verfügung, die den Datentransport rechnergesteuert und automatisch, sicher und schnell regeln (Netzwerksteuerung). Mit Hilfe eines solchen Netzwerk-Managements überträgt die Zentrale neue Software-Release an die einzelnen Verkaufsstellen - zeitgestuft wirksam geschaltet (Software-Verwaltung). Darüber hinaus lassen sich Unternehmen durch ein kleines qualifiziertes Unterstützungsteam in der Zentrale EDV-technisch betreuen, so daß in den Filialen keinerlei EDV-Kenntnisse erforderlich sind (Remote Operating).

Darüber hinaus wird Fernbetreuung für die technische Überwachung der Kassenkonfiguration durch Kundendienstcenter (Remote Diagnostic) eingesetzt und gegebenenfalls durch präventiven Service unterstützt. Vernetzungstendenzen von Handelsunternehmen setzen sich darüber hinaus bis in die Bereich der Lieferanten, der Banken und der Marktforschung fort. So tauschen große Betriebe mit ihren Lieferanten über eigens geschaffene Datennetze täglich mehrere tausend Bestellpositionen aus, sie erhalten und geben Nachricht über Lieferungen und übertragene Rechnungen. Hierdurch lassen sich im Finanzkreislauf Zeitgewinne von bis zu drei Tagen erzielen.

Neue Technik bietet wirksames Instrument

Unabhängige Marktforschungsinstitute nutzen Scannerdaten ausgesuchter Märkte, um Veränderungen des Verkaufsverhaltens und Warenkörbe zu analysieren. Hier bietet die neue Technik ein schlagkräftiges Marketinginstrument für sehr wirksame Werbeerfolgskontrolle im Zusammenhang mit kurzfristigen Werbeschaltungen in Rundfunk und Fernsehen.

Mit der Geldwirtschaft wickeln rechnerunterstützte Handelszentralen ihre Finanzströme von und zu Lieferanten sowie Löhne und Gehälter ab. Um den Geldeingang der Filialen zur Gesamtdisposition der Zentrale zur Verfügung zu haben (Filialabrechnung), kommen komplexe Systeme in Form eines gezielten Electronic Cash Managements (Liquiditätssteuerung) zum Einsatz.

Banking-POS ist insofern nur ein Teil des elektronisch gesteuerten Geldkreislaufes. Es verbindet den Kassenplatz mit dem Kundenkonto und sorgt für eine rasche Gutschrift auf dem Filialkonto. So existiert eine schier endlose Zahl von Vernetzungstendenzen, ob nun intern - von der Datenkasse in der Filiale bis zum zentralen Host-System - oder extern - vom handeltreibenden Unternehmen zu den Kunden und Geschäftspartnern.

Der Handel steht in der nächsten Zeit vor großen Herausforderungen und Chancen. Hier die richtigen Prioritäten zu setzen, ist eine Entscheidung von hohem unternehmensstrategischen Wert.

*KIaus Böhme, Branchenmarketing Handel, Nixdorf Computer AG