"Die IT darf die Dinge nicht komplexer machen"

11.08.2009
Von 
Karin Quack arbeitet als freie Autorin und Editorial Consultant vor allem zu IT-strategischen und Innovations-Themen. Zuvor war sie viele Jahre lang in leitender redaktioneller Position bei der COMPUTERWOCHE tätig.
Daniel Hartert ist seit Anfang dieses Jahres CIO der Bayer AG und Geschäftsführer der Bayer Business Services. Aus seiner Sicht ist diese Doppelfunktion nicht gefährlich, sondern hilfreich.

CW: Viele CIOs drängen heute auf die Business-Seite. Sie waren CEO (verantwortlich für Imaging Systems bei Philips Healthcare). Wieso sind Sie nun in die CIO-Position zurückgekehrt?

HARTERT: Ich war nie ganz weg aus der IT. Auch bei Philips hatte ich ja mit Informationstechnologie zu tun, zunächst als CIO, dann als CEO für medizinische bildgebende Systeme. Mir war es immer wichtig, die Dinge auch aus der jeweils anderen Perspektive zu betrachten. Auf der Business-Seite kann man vieles bewegen und große Wirkung erzielen. Aber das heißt nicht, dass man das als CIO nicht auch könnte.

CW: Viele CIOs betrachten es als beruflichen Aufstieg, wenn sie – endlich – eine Position im Linien-Management angeboten bekommen.

HARTERT: Das spricht nur wieder für den Mangel an Selbstbewusstsein in unserem Berufsstand. Wir stecken meines Erachtens in einer Identifikationskrise. Keine andere Funktion beschäftigt sich so intensiv mit ihrer Rolle wie die Mitglieder der "CIO-Gemeinde". Einigen von uns geht das mittlerweile gehörig gegen den Strich.

CW: Sie haben Ihre Rolle offenbar gefunden.

HARTERT: Ja, ich weiß, was ich als CIO bewegen kann. Ich habe doch einen enormen Gestaltungsspielraum – allerdings nur, wenn ich ihn auch nutze und mich nicht in die Technikecke abdrängen lasse.

CW: Welche Rolle spielte bei Ihrer Entscheidung für Bayer die Doppelfunktion als Konzern-CIO und CEO der Bayer Business Services (BBS)?

HARTERT: Sie spielte eine große Rolle. Nicht deshalb, weil ich dadurch eine CEO-Position bekleide, sondern wegen der Gesamtverantwortung, die ich übernommen habe. Ich will nicht nur für die Konzeption geradestehen, sondern auch für die Umsetzung. Nur so kann ich die Wirtschaftlichkeit und den Wertbeitrag erzielen, den ich für den Konzern anpeile. Im Übrigen handelt es sich bei Bayer Business Services ja nicht um eine reine IT-Organisation. Vielmehr bietet das Unternehmen eine ganze Palette von Shared Services. Das übt auch einen großen Reiz auf mich aus. In der deutschen Konzernlandschaft ist dieses Modell meiner Kenntnis nach einzigartig.

CW: Der Aufbau eines Shared Service Centers muss häufig gegen starke Widerstände erzwungen werden. Wie hat der Bayer-Konzern das so früh geschafft?

HARTERT: Das ist auch eine Kulturfrage. Bayer handelt nicht aktionistisch. Bei aller Leidenschaft sind die geschäftlichen Entscheidungen doch rational geprägt. Außerdem gab und gibt es ein starkes Commitment des Vorstandes zum Prinzip der Shared Services.

CW: In der Kombination von CIO und Dienstleistungs-Chef steckt aber auch Konfliktpotenzial. Wie vermeiden Sie, dass die eigene Serviceorganisation bevorzugt wird, auch wenn es sich vielleicht mal nicht rechnet?

HARTERT: Ja, man könnte mir unterstellen, ich würde als CIO zunächst die Auslastung von BBS im Blick haben. Dies ergibt aber keinen Sinn – vor dem Hintergrund, dass wir nicht am externen Markt agieren. Jeder Mehrumsatz für BBS bedeutet höhere Kosten für den Konzern. Es ist unsere Aufgabe, das Verhältnis zwischen Preis und Performance zu verbessern, also im Zweifelsfall eher weniger Umsatz zu machen und dem Konzern unsere Services noch günstiger anzubieten.

CW: Auch wenn das eventuell den Abbau von IT-Mitarbeitern bedeutet?

HARTERT: Das ist derzeit bei uns kein Thema. Der Bayer-Konzern ist aufgrund seiner diversifizierten Struktur deutlich weniger konjunkturanfällig als andere. Dennoch achten selbstverständlich auch wir auf die Kosten. Im Rahmen unseres Global-Sourcing-Konzepts unterhalten wir unter anderem ein Entwicklungs-Center in Indien. Aber genau genommen hat das weniger mit Kosten als vielmehr mit Qualifikation zu tun. Sie finden in Indien einfach viel mehr Leute mit der passenden Ausbildung.

CW: Sie treten in große Fußstapfen. Ihr Vorgänger, Andreas Resch, hatte ein starkes Profil. Welchen Stempel wollen Sie dem Unternehmen aufdrücken?

HARTERT: Ich glaube, die an mich gestellten Anforderungen sind weniger durch meinen sehr geschätzten Vorgänger, sondern vielmehr durch die Bayer-Konzernleitung bestimmt. Seit Mitte der 90er Jahre war ich zwölf Jahre im Ausland tätig, bringe also sehr viel internationale Erfahrung in den global tätigen Konzern ein. Durch meine CEO-Tätigkeit geprägt, lege ich großen Wert auf einen nachhaltigen Wertbeitrag der IT sowie auf "Business Sense" und wirtschaftliches Denken. Die höhere Effektivität soll aber auch durch einen stärkeren Fokus auf Innovationen im Service- und Produktbereich getrieben werden.

CW: Sie haben kürzlich erwähnt, Sie wollten einige Prozesse straffen. Welche sind das?

HARTERT: Sie betreffen das Zusammenspiel von BBS und den Teilkonzernen. Wir haben einen regen internen Markt mit einer komplexen Vertragsstruktur. Das liegt wohl daran, dass BBS von Anfang an viel Wert darauf gelegt hat, seine Markttauglichkeit nachzuweisen. Die Folge sind aufwändige Abstimmungen mit unseren internen Kunden. Das führt bisweilen zu Zielkonflikten, beispielsweise dann, wenn Compliance und Security ins Spiel kommen. Der Kunde erwartet Schnelligkeit in der Umsetzung, aber der Security-Officer sagt erst mal "halt". Ein einfaches Beispiel: Die leitenden Mitarbeiter wollen ihre wichtigsten E-Mails auf ihren Blackberries empfangen, aber die Security liefert diese Nachrichten nur verschlüsselt aus. Hier mussten wir Abhilfe schaffen. Deshalb haben wir IT-Security und Compliance in einen Risk-Management-Ansatz übertragen, der in vielen Dingen zu anderen Entscheidungen führt als die tradionelle Herangehensweise an diese Themen. Die E-Mails sind heute auf dem Blackberry lesbar.

CW: Ein anderes Feld, auf dem Sie Handlungsbedarf angemeldet haben, ist die Kundenorientierung. Was wollen Sie hier besser machen?

HARTERT: Die IT hat oft das Problem, dass sie sich als reaktiver Dienstleister verhält, also "nur" tut, was der Kunde will. Nehmen wir mal an, der Kunde hat ein neues Vorhaben spezifiziert, dessen IT-Umsetzung eine Million Euro kostet. Die IT würde sich üblicherweise über den Auftrag freuen und sich darauf konzentrieren, das Projekt innerhalb von Budget, Zeit und Qualität abzuschließen. Ich erwarte jedoch, dass zuerst darüber nachgedacht wird, wie dasselbe Ziel über einen anderen, vielleicht um 30 Prozent günstigeren Weg erreicht werden kann. Und das nicht erst nach Aufforderung, sondern proaktiv und aus der Sicht des Kunden. Dies ist aber ein Paradigmenwechsel, denn die IT macht häufig Dinge eher komplexer als einfacher.

CW: Wie wirkt sich das in der täglichen Praxis aus?

HARTERT: Zum Beispiel in Form von Transparenz. Wir haben global konsistente Preislisten und sind gerade dabei, unsere regionalen Produktkataloge auf eine weltweite Basis zu stellen. Wir lassen uns gern an den marktgängigen Benchmarks messen. Und wir definieren Kosten stets in der Terminologie des Geschäfts.

CW: Welche konkreten Projekte planen Sie oder haben Sie bereits initiiert?

HARTERT: In den vergangenen Jahren hat sich Bayer stark auf die ERP-Standardisierung konzentriert. Wichtige Themen sind jetzt Customer-Relationship-Management und Business Intelligence beziehungsweise Informations-Management. Die SAP-Systeme liefern Daten, die teilweise noch gar nicht genutzt werden. Wo und wie können wir unser Working Capital reduzieren? Wie können wir unsere Supply Chain in allen Regionen der Welt verbessern? Das sind relevante Fragen, zu deren Beantwortung die IT einen großen Beitrag leisten kann. Darüber hinaus haben wir ein Projekt namens "Personalized Workplace". Es zielt auf eine moderne Arbeits- und Kommunikationsumgebung und trägt auch dem Trend der "Konsumerisierung" Rechnung. Unsere Mitarbeiter erwarten im Unternehmen eine ähnlich einfach zu benutzende Umgebung wie in ihrer privaten Welt, die zunehmend durch Themen wie Web 2.0 geprägt ist. Besonders junge Menschen gehen bei einem Erfinderunternehmen wie Bayer davon aus, dass wir in dieser Hinsicht ein "early adopter" sind.

Daniel Hartert

  • Seit dem 1. Januar 2009 ist Daniel Hartert (50) Vorsitzender der Geschäftsführung der Bayer Business Services GmbH und CIO der Bayer AG.

  • Zuvor leitete er zwei Jahre lang als Chief Executive Officer (CEO) und Executive Vice President den Bereich Imaging Systems von Philips Healthcare in Boston.

  • Von 2002 bis 2007 war Hartert als Executive Vice President und CIO bei Philips Electronics in Eindhoven tätig. Im August 2003 wurde er zum Mitglied des Group Management Committee von Philips berufen. Zu den Schwerpunkten seiner Tätigkeit gehörte die Modernisierung der gesamten IT-Landschaft von Philips.

  • Bevor er zu Philips wechselte, arbeitete Hartert drei Jahre lang als CIO der Bertelsmann AG in Gütersloh sowie als Geschäftsführer der Bertelsmann MediaSystems GmbH und Mitglied des Vorstands von Bertelsmann Multimedia.

  • Zu dem Medienunternehmen war er 1992 gekommen. Zunächst verantwortete er dort die europäische IT-Strategie der Bertelsmann Music Group International in München, ab 1995 – von New York aus – die weltweite IT des Unternehmens.

  • Seinen beruflichen Werdegang begann Hartert 1986 als Systems Manager der Robert Bosch GmbH in Reutlingen. Von 1988 bis 1992 war er für das Halbleiterunternehmen VLSI Technology GmbH in München tätig, wo er 1990 die Verantwortung für die europäische IT-Organisation übernahm.