Noch keine realistischen Rezepte gegen Massenarbeitslosigkeit

Die Info-Gesellschaft hilft nur der Knowledge-Elite

26.09.1997

Mit Zahlen und Beispielen versuchte der amerikanische Autor des Buches "The End of Work", den rund 200 Besuchern der Millenium-Tage klarzumachen, daß sich das Zeitalter der Industriearbeit unweigerlich dem Ende nähert. Innerhalb der nächsten zehn Jahre werden weniger als zwölf Prozent der amerikanischen Arbeiter in Fabriken beschäftigt sein, und gegen das Jahr 2020 nicht einmal zwei Prozent, so Rifkins Prognose. Er glaubt, daß "computergestützte Technologien an die Stelle des menschlichen Verstandes treten und Menschen durch denkende Maschinen ersetzen".

Rifkin macht auch den Politikern und Wirtschaftsexperten keine Hoffnung, die bisher der Meinung waren, daß die Millionen freigesetzten Industriearbeiter in der Dienstleistungsbranche unterkommen könnten. Auch in diesem Sektor beginne nämlich die Automatisierung, ein Prozeß, "durch den eine gewaltige Anzahl von Büroangestellten ihren Job verliert".

Auch bezüglich der Arbeitsmöglichkeiten auf dem Informa- tion-Highway teilt der Amerikaner nicht den Optimismus der Politiker. Seine Einschätzung läßt an Klarheit nichts zu wünschen übrig: "Der Informatiksektor ist ein Reservoir für die Elite, nicht für Massenarbeit." Er spricht von einer 80:20-Gesellschaft. 20 Prozent der Bevölkerung wird es als Knowledge-Worker immer besser gehen, den restlichen 80 Prozent aber schlechter, mit den zu erwartenden Konsequenzen. Eine davon sei in den USA bereits zu besichtigen: In keinem Land der Welt säßen so viele Leute im Gefängnis.

Um die Arbeitslosigkeit zu verringern, ließe sich die Arbeitszeit reduzieren. Bei Hewlett-Packard in Grenoble zum Beispiel arbeiten die Beschäftigten vier Tage im Schichtbetrieb und werden für fünf bezahlt. Die Maschinen laufen an sieben Tagen 24 Stunden. Für den Produktivitätszuwachs ist die Geschäftsleitung bereit, die Mitarbeiter besser zu entlohnen.

Rifkin weiß aber, daß damit die Massenarbeitslosigkeit nicht zu beseitigen ist. Deshalb machte er einen Vorschlag, der schon seit Erscheinen seines Buches vor über drei Jahren in den USA kontrovers diskutiert wird.

Bisher habe man ausschließlich vom Markt und vom Staat Lösungen für die Wirtschaftskrise erwartet. Nun könnte der sogenannte dritte Sektor mit seinen primär nichterwerbswirtschaftlichen Tätigkeiten die größte Möglichkeit darstellen, Arbeitslose wieder in Lohn und Brot zu führen. Zu diesem Sektor zählt Rifkin Interessengruppen aus den Bereichen Soziales, Gesundheit, Erziehung, Forschung, Kunst und Religion. Gegenwärtig soll es seinen Schätzungen nach allein in Deutschland über 300000 Organisationen ohne Erwerbscharakter geben.

Bezahlen ließe sich dieser Sektor aus einer Besteuerung der High-Tech-Unternehmen. Zudem würden Staat und Wirtschaft davon profitieren, daß viele Menschen wieder arbeiten.

Herbert Giersch, Ex-Präsident des Instituts für Weltwirtschaft in Kiel, zeigte sich von diesem Konzept nicht sonderlich überzeugt. Ihm sei nicht klar, wer diesen dritten Bereich finanzieren solle. Es gehe "offensichtlich darum, einen Schonsektor zu schaffen", der durch Steuererleichterungen begünstigt würde, vermutet Giersch. Die Motivation bleibe aber auf der Strecke, wenn Effizienz und Leistung nicht belohnt würden.

Weniger visionär und praxisbezogener als Rifkin charakterisierte Stefan Löchler, Geschäftsführer von Newplan, München, die aktuelle Situation und nannte sein Unternehmen als Beispiel dafür, wie sich Arbeitsstrukturen künftig entwickeln. Newplan habe sich auf die "Vermittlung von Wissen mit Hilfe von Human Resources spezialisiert". Löchler geht unter anderem von folgenden Prämissen aus:

- Unternehmen benötigen aktuelles Know-how mit schneller Verfügbarkeit,

- die Fluktuation in Unternehmen nimmt zu,

- der Informationsbedarf wächst erheblich,

- der Wettbewerb auf dem Personalmarkt und dem der Freiberufler verschärft sich und

- Existenzgründungen nehmen zu.

Feste Arbeitsverhältnisse würden schon bald nur noch zwei bis drei Jahre laufen, die Zukunft liege in "globalen Netzwerken". Sein Unternehmen habe die Zeichen der Zeit erkannt und beliefere die Wirtschaft mit Wissen im weitesten Sinne; sei es, daß es als Personalvermittler aktiv ist, als Makler von Freiberuflern oder daß es ganze Projekte fertigstellt. Zusätzlich betreibt Löchler auch den Handel mit Informationen, ein Angebot, das stark nachgefragt werde.

Diskussionsteilnehmer waren sich einig, daß die Menschen für die Welt von morgen ungenügend vorbereitet sind. Erste Schritte, wie sich das verbessern läßt, zeigte Norm Green, Direktor des Durham Board of Education, Ontario, am Beispiel zweier kanadischer Schulen.

Mitte der achtiger Jahre genossen die beiden von ihm in einem Kurzfilm vorgestellten Einrichtungen einen miserablen Ruf und schnitten in einer Umfrage schlecht ab. Green, der damals in einer der beiden Schulen tätig war, faßte einen radikalen Entschluß, nach dem Motto: Wenn du was ändern willst, beginne bei dir. Er lud unter anderem Vertreter der lokalen Wirtschaft ein und fragte sie, welche Anforderungen auf die junge Generation zukommen. Auf der Basis der praxisbezogenen Antworten, aber auch mit Hilfe wissenschaftlicher Prognosen krempelte er den Unterricht von Grund auf um.

Der Film zeigte eindrucksvoll, wie die Kinder in Projekten lernen, diese präsentieren, Wissensrecherchen starten, aber auch wie Schüler höherer Klassen älteren Lehrern den Umgang mit dem Computer beibringen. "Hier werden die Grundlagen für die lernende Organisation geschaffen", erzählt Green stolz. Heute empfängt er als Mitarbeiter des kanadischen Kultusministers Delegationen aus vielen Ländern, die sich für sein Modell interessieren.