Daten und Funktionen werden als Einheit verstanden

Die Flexibilisierung der DV bedingt Objektorientierung

22.10.1993

Der Schwerpunkt dieses Beitrags liegt auf dem Downsizing-Prozess und seinem Zusammenwirken mit objektorientierten Prinzipien. Bei der Dezentralisierung der IV geht es nicht allein um Kosteneinsparungen, die ohnehin nur schwer quantifizierbar sind. Vielmehr sollen existierende Geschaeftsprozesse und Ablaeufe durch flexiblere Informationsverarbeitung besser unterstuetzt werden.

Der Begriff "Downsizing" beschreibt einen unternehmensweiten Prozess, der zum Ziel hat, die Informationsverarbeitung (IV) unabhaengiger von zentralen Organisationen, Host-orientierter Datenhaltung und zentralen Ablaufstrukturen zu gestalten. Das Ergebnis sind Fachbereiche, die mehr informationstechnische Verantwortung uebernehmen und damit zu mehr Flexibilitaet und einer verbesserten informationstechnischen Unterstuetzung der Unterneh- mensfunktionen gelangen.

Unter dem Begriff Objektorientierung werden alle Methoden und Tools zusammengefasst, die den Anforderungen des objektorientierten Arbeitens und seinen grundsaetzlichen Eigenschaften gerecht werden.

Klassendatenbank fuehrt zur Kostenreduktion

Das Hauptmerkmal der Objektorientierung besteht darin, dass im Gegensatz zur klassischen, prozeduralen (funktionalen) oder datenorientierten Betrachtungsweise Daten und Funktionen als Einheit betrachtet werden. Man fasst subjektive Einheiten der realen Welt zu Objekten zusammen und stattet diese mit Eigenschaften und Verhaltensweisen aus. Ein zweites wichtiges Merkmal ist das Prinzip der Vererbung. Alle Objekte sind in einer Hierarchie angeordnet, wobei die tiefer liegenden alle Eigenschaften und Verhaltensweisen von den hoeher liegenden Objekten erben. Objekte erfuellen das Prinzip der Kapselung, da sie dem Benutzer nur Operationen zur Verfuegung stellen und alle Details verbergen. Eine Aufgabe, die auch weiterhin zentral im Unternehmen durchgefuehrt werden sollte, ist die Strukturierung der Unternehmensdaten und Unternehmensfunktionen auf einem sehr abstrakten Niveau. Die objektorientierte Analyse und im Anschluss daran das objektorientierte Design koennen einen entscheidenden Beitrag leisten, um dem Wildwuchs von Strukturen sowie von Organisations- und Kommunikationsverfahren im Rahmen von Downsizing-Projekten rechtzeitig entgegenzuwirken und durch einen Ordnungsrahmen zum Erfolg zu verhelfen.

Der Vorteil ist, dass durch die Integration von Daten und Funktionen und deren einfache und verstaendliche Ordnung in Klassengraphen und Beziehungsmodellen ein auf grosse Akzeptanz stossender statischer und dynamischer (Prozesse und Prozessketten) Unternehmensplan entsteht. Dieser dient als Masterplan auch fuer alle durchzufuehrenden Downsizing-Projekte. Dadurch begegenet man dem gaengigen Kommentar seitens des Fachbereichs in bezug auf unternehmensweite Datenmodelle, naemlich, dass sich nichts geaendert habe. Die zentralen IV-Abteilungen organisieren in Unternehmen, die Downsizing bereits erfolgreich mit Hilfe der Objektorientierung durchgefuehrt haben, die Klassendatenbank, die Teil eines unternehmensweiten, generalisierten Klassenmodells ist. Re-Engineering und Re-Use werden damit zu einer zentralen Aufgabe des Informations-Managements. Mit zunehmender Akzeptanz und weiterem Wachstum fuehrt diese Klassendatenbank bei neuen Anwendungen zu einer starken Kostendegression. Die Idee stark modularisierter Software-Einheiten als frei kombinierbare Bausteine (Software-Chips) rueckt damit in eine nicht mehr allzuferne Zukunft.

Wie koennen die Vorteile neuer Technologien - in unserem Falle von Client-Server-Architekturen und Objektorientierung - beurteilt werden? Anhand folgender beispielhafter Projektziele werden die Vorteile untersucht:

- Optimierung der Unternehmensprozesse und Wertschoepfungsketten,

- Verbesserung der Kommunikation mit nachgelagerten und vorgelagerten Wertschoepfungsketten und Geschaeftspartnern sowie

- Reduzierung der Kosten.

Neben den Zielen ist auch festzustellen, inwieweit Downsizing- Projekte und Objektorientierung die kritischen Erfolgsfaktoren Qualitaetssteigerung, Kundennutzen Geschwindigkeit und Flexibilitaet bei der Verbesserung von Geschaeftsprozessen und ihres Zusammenspiels effizient und nachvollziehbar unterstuetzen.

Optimal auf Bereiche zugeschnittene Loesungen unterstuetzen die Geschaeftsprozesse besser. Die Entwicklungsverantwortung kann dabei groesstenteils den dezentralen Funktionen und ihren IV-Abteilungen uebertragen werden, da Anwender und Entwickler kuerzere Kommunikationswege haben und die dortigen Entwickler bereits besser mit den fachlichen Problemstellungen vertraut sind.

Will man die Kommunikation zwischen einzelnen Unternehmensfunktionen beziehungsweise ihren Prozessen verbessern, kann Downsizing ebenfalls Hilfestellung leisten. Flexible, dezentrale IS-Strukturen werden mit Hilfe zentral koordinierter Standards und offener Architekturen schrittweise integriert. Man sollte sich hierbei iterativ der Problemstellung naehern und nicht in einem einzigen Schritt versuchen, ein ganzes Buendel von Unternehmensfunktionen durch umfangreiche Projekte zu integrieren. Die Reduzierung der IV-Kosten stand zu Beginn der Downsizing- Bestrebungen im Vordergrund. Die Konzentration lag dabei zunaechst auf der Minderung der Hardwarekosten fuer Anschaffung und laufenden Betrieb. Kostenreduktion stellt auch weiterhin eine Triebfeder dar. Wie sich in verschiedenen Untersuchungen herausgestellt hat, sind es jedoch nicht unbedingt die niedrigeren Kosten, sondern eher der erhoehte Nutzen, der beispielsweise zu Client-Server- Loesungen motiviert.

Downsizing-Projekte fuehren zum Einsatz von Client-Server- Architekturen. Datenbanken sind in diese Architektur oft voll integriert. Funktionen, die fuer alle Clients relevant sind, koennen meist zusaetzlich zu den Datenstrukturen auf dem Server abgespeichert werden. Auch die Konsistenz der Datenbestaende und der Zugang zu externen Daten wird meistens vom Server geregelt, damit sich die Clients auf die eigentliche Aufgabenstellung konzentrieren koennen.

Schrittweiser Uebergang zur Objektorientierung

Mit der Dezentralisierung von unternehmenskritischen Anwendungen werden kritische Erfolgsfaktoren besser unterstuetzt, da lokale Systeme anwendungsnaehere Datenstrukturen besitzen. Eine feingliedrige Abstimmung der IV-Projekte mit allen involvierten Unternehmensprozessen und Organisationseinheiten ist moeglich, da dezentrale IV-Bereiche eine engere und effizientere Zusammenarbeit mit den Fachbereichen gewaehrleisten. Die Akzeptanz beim Anwender und der Wirkungsgrad steigen. So kann der Kundennutzen von Fachbereichen erhoeht werden. Es lassen sich individualisiertere Informationen erstellen, da die Qualitaet und Flexibilitaet der Datenstrukturen sehr hoch ist und die Systementwicklung problemnah erfolgt, wobei sich auch die Reaktionsgeschwindigkeit erhoeht.

Bei der Weiterentwicklung der Architektur bietet es sich an, den Uebergang zur Objektorientierung zu waehlen. In diesem Zusammenhang empfiehlt es sich bei der Architekturplanung, die durch die Objektorientierung bedingten Aenderungen des Softwarelebenszyklus zu beruecksichtigen. Sind die objektorientierten Methoden durchgedrungen, wird es eine Aufgabe der Architekturplanung sein, unternehmensweite Standards dafuer zu entwickeln und groessere Projekte anzugehen.

Die Komplexitaetsbarriere verschiebt sich mit der Objektorientierung entscheidend. Es lassen sich auch sehr komplexe Projekte mit kalkulierbarem Risiko realisieren. Ferner ist die Kostendegression von Projekten zu beruecksichtigen, die ueber Klassendatenbanken bereits auf andere objektorientierte Vorhaben im gleichen Bereich zurueckgreifen koennen. Nicht zuletzt bringen objektorientierte Projekte auch eine neue Qualitaet der Zusammenarbeit zwischen Entwicklern und Anwendern, unter anderem durch eine durchgaengige Methodik in Analyse, Design und Realisierung. Dadurch erreichen Projekte, die ein komplexes und verteiltes Anwenderwissen benoetigen, eine hohe Qualitaet und eine hohe Anwenderakzeptanz.

Mit dieser Entwicklung aendern sich Teilziele von IS-Projekten. Eine moeglichst gute Einzelloesung zur optimalen Unterstuetzung eines bestimmten Geschaeftsprozesses ist nicht mehr das alleinige Ziel. Es wird auch angestrebt, erarbeitete Klassen und deren Zusammenhaenge allen Betroffenen eines Bereichs zur Verfuegung zu stellen und somit auch zur partiellen Unterstuetzung aehnlicher Geschaeftsprozesse beizutragen.

Ebenso gilt es bei Projekten zu erreichen, dass moeglichst viele Klassen verwendet werden, die bereits in Klassendatenbanken existieren. Hierzu sind jedoch spezielle administrative Aufgaben erforderlich, die bei der Planung von IS-Projektportfolios zu beruecksichtigen sind, etwa die Pflege und Erweiterung von Klassenbibliotheken und das Bereitstellen von Servicefunktionen.

Die Aufgabe der objektorientierten Anwendungsentwicklung ist es, ein Objektnetz ueber eine Wissensdomaene zu legen. Die statischen Eigenschaften und dynamischen Ablaeufe dieses Realitaetsausschnittes sind, abgestimmt mit den Inhalten der vorhandenen Unternehmensfunktionen und der Unternehmensprozesse, nachvollziehbar zu modellieren. Es wird ein ablauffaehiges Programm geschaffen, das Personen bei der Erreichung ihrer Ziele moeglichst effizient unterstuetzt. Die Komplexitaet von Problemstellungen, die durch strategische Informationssysteme bewaeltigt werden sollen, steigt. Der objektorientierte Softwarelebenszyklus versucht hier auf zwei Ebenen, Hilfestellung zu leisten. Zum einen ist seine Methodik leicht verstaendlich, einheitlich und durchgaengig. Es handelt sich um einen sehr kommunikativen Ansatz, weil die Umsetzung von Realitaetsausschnitten mit weniger ausgepraegten Transformationsprozessen stattfindet. Der Anwender kann die Modellierung dabei begleiten und mit den IS-Experten kommunizieren.

Hierdurch wird auch dem Problem begegnet, dass normalerweise Abbildungs- und Modellierungsfehler sehr frueh waehrend der Entwicklung gemacht werden, ihre Behebung allerdings erst sehr spaet vorgenommen wird, was sich in hohen Kosten niederschlaegt. Zum anderen unterstuetzt der objektorientierte Softwarelebenszyklus ein inkrementelles Entwickeln. In jeder Phase wird ein Produkt oder ein Teilmodul verfeinert und somit die Gesamtloesung vorangetrieben. Ein Vergleich mit dem Downsizing-Prozess zeigt, dass sich das Thema Objektorientierung hauptsaechlich auf die Entwicklung und Wartung von Anwendungssystemen und deren Integration bezieht, waehrend der Begriff Downsizing das Thema Infrastruktur und Architekturplanung adressiert.

Bezueglich der kritischen Erfolgsfaktoren leistet die Objektorientierung wichtige Beitraege. Beim Faktor Qualitaet ist es fuer den Anwender wichtig, dass das System benutzbar ist und die erforderliche und erwartete Funktionalitaet und Integritaet besitzt. Der objektorientierte Software-Entwurf stellt dies durch seine Iterativitaet und die weitgehende Einbindung des Anwenders sicher. Fuer die Qualitaet ist es aus der Sicht der IV-Abteilung wichtig, dass das Produkt transparent, nachvollziehbar, wartbar, aenderbar, testbar und leicht zu erweitern ist sowie ueber ein hohes Mass an Portabilitaet und Interoperabilitaet verfuegt. Speziell die Wartbarkeit und Aenderbarkeit wird von objektorientierten Produkten erfuellt. Ausserdem sind sie durch die Einfuehrung neuer Klassen, die jeweils Erweiterungen bestehender Klassen darstellen, modifizierbar ohne das Kernsystem in seiner Funktionsweise zu beeintraechtigen.

Flexibilitaet aus Sicht des Unternehmens bedeutet, dass sich das System mit geringen Kosten ueber lange Zeitraeume hinweg den sich veraendernden Unternehmensstrukturen anpassen laesst, ohne dass die Qualitaet und die Einsatzfaehigkeit darunter leidet. Diese Zielsetzung wird durch objektorientierte gegenueber herkoemmlichen Systemen verbessert. Bei alledem erhoeht sich der Kundennutzen. Dies kann bei Beziehungen, die ohne Informationsverarbeitung nicht denkbar sind, genutzt werden, um die Kundenbeziehungen zu intensivieren. Dadurch steigt der Verflechtungsgrad und verbessert die Qualitaet der Information. So ermoeglichen objektorientierte im Gegensatz zu traditionellen Datenbanksysteme, beliebige Informationseinheiten zu verwalten, zu verknuepfen (Bilder, Tabellen, Listen, Text etc.) und dem Kunden zur Verfuegung zu stellen. Die Geschwindigkeit kann durch Informationssysteme aber nur dann erhoeht werden, wenn neue Ablaufstrukturen aufgebaut, die bestehenden besser unterstuetzt oder ihre Integration (Geschaeftsfunktionen) verbessert wird.

Das Informations-Management ist der Rahmen, innerhalb dessen die Ressourcen und die Management-Kapazitaeten fuer Downsizing und Objektorientierung zur Verfuegung gestellt werden. Fuer den erfolgreichen und nutzenschaffenden Einsatz von Objektorientierung und Downsizing zur Unterstuetzung der Dezentralisieung und damit Flexibilisierung der Unternehmung, wird es in Zukunft auch notwendig sein, das Informationsmanagement selbst auf eine neue Stufe der Problemformulierung, der Aufgabenformulierung und seines Selbstverstaendnisses zu stellen. Es ist erkennbar, dass gegenwaertig noch eine starke Betonung des Daten-Managements vorherrscht. Diese Trennung von allen anderen Ressourcen erfordert zusaetzliche organisatorische Modelle, um die Zusammenarbeit der gesamten Ressourcen zu gewaehrleisten.

Daher ist es notwendig, auch im Informations-Management zu einer integrierten ganzheitlichen Sicht zu gelangen und einen neuen, innovative Technologien foerdernden Rahmen zu bilden, in dem die Information als Unternehmenswert erkannt und mit der entsprechenden Prioritaet gemanagt wird. Erst wenn es gelingt, das Informationsmanagement sowie die Informationssysteme und ihre Infrastrukturen auf die ganzheitliche und verbindende Denkweise umzustellen, ist eine neue Qualitaet des Wirtschaftgutes Information erreichbar.

Die Objektorientierung ist bezueglich dieser neuen integrierten Denkweise ein Vorreiter, denn sie fasst Daten und Funktionen zu operativen, aussagekraeftigen Einheiten zusammen. Objektorientierung besitzt damit einen ganzheitlichen, integrativen Ansatz und ermoeglicht es, zu einer realitaetsnaeheren Darstellung von Unternehmenszusammenhaengen und Ablaeufen zu gelangen.

Alle Objekte fordern und bieten bestimmte Dienste. Dieses Client- Server-Prinzip verbindet die Objektorientierung mit dem Downsizing. Auch hier werden Server zur Verfuegung gestellt und von den Anwendern ueber Clients genutzt. Ebenso ist es das vorrangige Ziel, die Geschaeftsfunktionen und -prozesse direkter und effizienter zu unterstuetzen. Objektorientierung und Downsizing ergaenzen sich nicht nur auf der Ebene des Kommunikationsmodells, sondern auch bezueglich der Verteilung und Bevorratung von Informationen. Beide Technologien wollen Informationen naeher zu den Anwendern bringen. Redundanz wird dabei bewusst in Kauf genommen, wobei man ihren Gefahren mit wirkungsvollen Konzepten wie der Versionierung von Datenstrukturen begegnet.

Objektorientierung und Downsizing sind die ersten Vorboten einer integrierten und ganzheitlichen Sichtweise auf den Unternehmenswert Information. Das Informationsmanagement wird sich dem in den naechsten Jahren anschliessen und Objektorientierung dadurch zum Durchbruch verhelfen. Dies wird parallel mit einer Entwicklung zu dezentralen, offenen Client-Server-Strukturen geschieht. Diese drei Tendenzen werden sich gegenseitig bedingen und foerdern und damit die grundsaetzlichen Voraussetzungen schaffen, um auch von Seiten der IV-Strategie und der IV- Landschaft die Dezentralisierung und Flexibilisierung von Unternehmen zu unterstuetzen. Damit wird nach und nach die Grundlage fuer ein evolutionaeres, adaptives Unternehmen geschaffen.