DV und Recht/EU versucht sich an einer einheitlichen Regelung

Die Electronic-Commerce-Richtlinie: Baustein oder Stolperstein?

04.06.1999
Von Christoph Holzbach* Milliardenumsätze erwartet sich die europäische Wirtschaft von der Wachstumslokomotive E-Commerce. Doch auch ein elektronischer Binnenmarkt braucht eine einheitliche Rechtsordnung. Die EU-Kommission hat mit der E-Commerce-Richtlinie einen Vorstoß gewagt, der aber erhebliche Fragen aufwirft.

Geschäftsabschlüsse über das Internet gewinnen mit der rasant wachsenden Online-Gemeinde stark an Bedeutung. Rund 105 Millionen Nutzer surfen im Netz, bis Ende dieses Jahres werden es voraussichtlich 150 Millionen sein. Damit gewinnt das Web als Werbe- und Vertriebsmedium für Waren und Dienstleistungen eine enorme Bedeutung. Schon heute werden über E-Commerce Milliarden umgesetzt, für das Jahr 2001 wird ein Umsatz von etwa 545 Milliarden Mark erwartet.

Gerade mittelständischen Unternehmen bietet das Internet eine interessante Plattform für Werbung, Verkauf und Vertrieb. Das Angebot läßt sich einem stark erweiterten Kundenkreis präsentieren, zu erschwinglichen Kosten können weltweit neue Kunden gewonnen werden. Andererseits erwächst selbst etablierten Unternehmen, die in der Vergangenheit eine feste Marktposition innehatten, innerhalb kurzer Zeit weltweite Konkurrenz.

Berührungsängste des Mittelstands

Von der Chance, mit dem Eintritt in das Internet zum Global Player aufzusteigen, machen derzeit in Deutschland nur fünf bis zehn Prozent der mittelständischen Unternehmen Gebrauch. Die vorhandenen Berührungsängste haben auch mit der unsicheren rechtlichen Situation zu tun, die durch das Anbieten und Vermarkten von Waren und Dienstleistungen im World Wide Web entsteht.

Da das online präsentierte Angebot von Internet-Nutzern weltweit abgerufen werden kann, ist den Unternehmen unklar, welche Rechtsvorschriften für sie gelten. Nach der zur Zeit geltenden Rechtslage in den Mitgliedstaaten der EU ist davon auszugehen, daß sich die Zulässigkeit einer Werbemaßnahme oder einer Verkaufsveranstaltung nach dem Recht des Landes richtet, in dem diese beanstandet wird.

Richtet sich ein deutsches Unternehmen also mit einer Werbung über das Internet gezielt auch an internationale Verbraucher, und greift etwa ein englischer Mitbewerber die Werbung vor einem englischen Gericht an, so würde sich die Zulässigkeit nach dem dortigen Recht rich- ten.

Schon dieses Beispiel zeigt eines der wesentlichen Probleme im Rahmen des E-Commerce: Rechtssicherheit kann ein Unternehmen nur dadurch erlangen, daß es seine Werbemaßnahme vorab nach den Rechtsordnungen all derjenigen Staaten überprüfen läßt, an deren Einwohner sich das Angebot richten soll. Dies ist jedoch faktisch gerade für kleinere und mittelständische Unternehmen - auch aufgrund der damit verbundenen Kosten - so gut wie unmöglich.

Diese Problematik war einer der Gründe, aus denen die EU-Kommission den Vorschlag für eine "Richtlinie des Europäischen Parlamentes und des Rates über bestimmte rechtliche Aspekte des elektronischen Geschäftsverkehrs im Binnenmarkt", die sogenannte E-Commerce-Richtlinie, vorlegte. Die EU-Kommission sieht in der Weiterentwicklung der Informationsgesellschaft im Binnenmarkt ein wichtiges Mittel, um die Schranken zwischen den europäischen Völkern zu beseitigen.

Gerade den kleinen und mittleren Unternehmen soll der elek- tronische Geschäftsverkehr neue Möglichkeiten bieten. Nach Meinung der Kommission führen die unterschiedlichen Rechtsordnungen der Mitgliedstaaten zu Rechtsunsicherheit beim grenzüberschreitenden E-Commerce. Abhilfe könne durch die Koordinierung einzelner innerstaatlicher Rechtsvorschriften geschaffen werden.

Die Intention der EU-Kom- mission, in Europa einen elek- tronischen Binnenmarkt zu schaffen, ist grundsätzlich zu begrüßen. Ob die vorgeschlagene Richtlinie jedoch dem hohen Anspruch genügt, E-Commerce in kleinen und mittleren Unternehmen voranzutreiben, ist keineswegs sicher.

Artikel 3 des Richtlinienvorschlags sieht die Einführung des sogenannten Herkunftslandprinzips vor. Danach ist allein die Rechtsordnung des Mitgliedstaates, in dem der Anbieter seinen Sitz hat und von wo aus er sich an die potentiellen Abnehmer richtet, für die Beurteilung der Zulässigkeit einer Werbemaßnahme relevant.

Zweifellos kommt die Einführung des Herkunftslandprinzips den Unternehmen bei der recht- lichen Prüfung ihres Internet- Angebots und ihrer elektronischen Geschäfte entgegen. Wer etwas im Internet anbietet, muß sich nur noch nach den rechtlichen Vorgaben des Staates richten, in dem sein Unternehmen ansässig ist.

Aufgrund der erheblichen Unterschiede der rechtlichen Rahmenbedingungen in den einzelnen Mitgliedstaaten - was in einem Staat erlaubt ist, verstößt in einem anderen gegen geltendes Recht und kann geahndet werden - besteht jedoch die Gefahr eines sogenannten "race to the bottom". Wer es sich leisten kann, verlegt seinen Firmensitz in einen EU-Mitgliedstaat mit weniger strengen Auflagen. Von dort aus wendet man sich an die Verbraucher in anderen Mitgliedstaaten, während die im eigenen Land verbleibenden Unternehmen einen erheblichen Wettbewerbsnachteil haben.

Die deutschen Wettbewerbsvorschriften sind streng - sie könnten auf diesem Weg umgangen werden. Zum Beispiel die Vorgaben der Zugabeverordnung wie auch des Rabattgesetzes, um nur zwei Beispiele zu nennen, müßten von Mitbewerbern mit Sitz in anderen Mitgliedstaaten nicht beachtet werden. Den daraus resultierenden Wettbewerbsvorteil könnte das in Deutschland verbliebene Unternehmen nur ausgleichen, indem es ebenfalls seinen Sitz in einen Mitgliedstaat mit geringem Schutzniveau verlegt.

Es wäre riskant, darauf zu warten, daß der deutsche Gesetzge- ber auf die bestehende Diskrepanz reagiert und sein nationales Wettbewerbsrecht an ein geringeres Schutzniveau anpaßt. Außerdem ist höchst fraglich, ob ein solches Zurückgehen auf ein niedrigeres Niveau für kleinere Unternehmen überhaupt wünschenswert wäre.

Gegen eine Liberalisierung des deutschen Wettbewerbsrechts ist grundsätzlich nichts einzuwenden, doch es darf nicht verkannt werden, daß Regelungen wie die Zugabeverordnung oder das Rabattgesetz gerade für kleine Unternehmen auch positive Auswirkungen haben. Diese müssen am Markt durch Qualität, Flexibilität, Service und Preis überzeugen, da sie im Gegensatz zu ihren großen Mitbewerbern nicht über die finanziellen Ressourcen verfügen, Kunden erhebliche Preisnachlässe zu gewähren oder ihre Leistungen über attraktive Zugaben an den Kunden zu bringen.

Ferner ist davon auszugehen, daß auch nach Einführung des Herkunftslandprinzips der deutsche Gesetzgeber sein seit Jahrzehnten bestehendes und erprobtes Wettbewerbsrecht nicht von heute auf morgen ändern wird. Hier spielen - zum Teil gegensätzliche - Interessen der Wirtschaft, des Mittelstands und der Verbraucherschutzverbände eine Rolle: Sie alle würden im Rahmen eines solchen "Erneuerungsprozesses" versuchen, auf den Gesetzgeber Einfluß zu nehmen. Das Herkunftslandprinzip könnte sich also gerade für kleinere Unternehmen als Bumerang erweisen.

Schutz für Verbraucher und kleinere Unternehmen

Um einen elektronischen Binnenmarkt zu schaffen, hätte es sich angeboten, diesen auch mit einer einheitlichen Rechtsordnung zu versehen. Sie müßte für alle Mitgliedstaaten gleichermaßen gelten und sowohl den Schutz und die Bedürfnisse kleinerer Unternehmen als auch der Verbraucher berücksichtigen.

Eine Harmonisierung der einzelnen Rechtsordnungen, die zugegebenermaßen mit einem erheblichen Mehraufwand an Arbeit verbunden ist, hat die Kommission mit der Fernabsatzrichtlinie, die einheitliche Verbraucherschutznormen für alle Mitgliedstaaten enthält, geleistet. Diese Richtlinie gewährleistet beispielsweise, daß der Verbraucher vor Abschluß eines Vertrages Informationen über die Identität seines Vertragspartners, über wesentliche Eigenschaften der Waren und Dienstleistungen erhält, und räumt ihm in Art. 6 das Recht ein, den Vertrag innerhalb von mindestens sieben Tagen ohne Angabe von Gründen und ohne Strafzahlung zu widerrufen. Es wäre zu wünschen gewesen, wenn der EU-Kommission diesem Weg der Harmonisierung auch bei der E-Commerce-Richtlinie gefolgt wäre, anstatt auf das Herkunftslandprinzip zu setzen.

Das Herkunftslandprinzip ist nicht die einzige problematische Regelung in dem Vorschlag der EU-Kommission. Ziel der E-Commerce-Richtlinie soll es sein, den internationalen Handel zu fördern und den Abschluß grenzüberschreitender Geschäfte zu erleichtern. Demgegenüber sieht der Vorschlag der Kommission allerdings eine Regelung über den elektronischen Vertragsabschluß vor, die nicht nur umständlich, sondern nach traditionellem Rechtsverständnis auch unbefriedigend ist.

Umständliche und praxisferne Regelung

Danach soll ein Vertrag auf elektronischem Weg nur zustande kommen, wenn

-das Unternehmen ein Angebot macht

-das Angebot dem Kunden zugeht

-der Kunde dies annimmt

-die Annahme dem Unternehmen zugeht

-das Unternehmen eine Bestätigung des Empfangs der Annahme erstellt

-dem Kunden diese Bestätigung zugeht

-der Kunde den Erhalt der Empfangsbestätigung bestätigt.

Diese komplizierte Regelung zeigt schon die praktischen Probleme, ganz zu schweigen davon, daß ein Unternehmen mit der werbemäßigen Darstellung seiner Waren und Dienstleistungen auf der Web-Site wohl in den seltensten Fällen ein sich rechtlich bindendes Angebot abgeben will. Dies hätte gegebenenfalls zur Folge, daß eine Lieferpflicht gegenüber jedem, der das Angebot annimmt, besteht, unabhängig von dessen Person oder Lieferschwierigkeiten.

Der Vorschlag der E-Com- merce-Richtlinie wirft erhebliche Fragen auf, deren Beantwortung im Rahmen des zur Zeit laufenden Gesetzgebungsverfahrens zu diskutieren ist. Es bleibt zu hoffen, daß nicht nur die nationalen Gesetzgeber, sondern auch die Interessenverbände kleiner und mit- telständischer Unternehmen den vorliegenden Richtlinienvorschlag ernst nehmen und ihn daraufhin überprüfen, ob er für die Praxis des E-Commerce förderlich ist.

Gegebenenfalls müssen Änderungsvorschläge erarbeitet und über die nationalen Regierungen in die Diskussion mit eingebracht werden. Nur so ist gewährleistet, daß rechtliche Vorgaben unter Abwägung der verschiedenen Interessen praktikable und sichere Rahmenbedingungen sind, die die wirtschaftliche Entfaltung begleiten, ihr aber keine unnötigen Steine in den Weg legen.

*Christoph Holzbach arbeitet als Rechtsanwalt für die Frankfurter Kanzlei Graf von Westphalen, Fritze & Modest.