Mobile ASPs und Content Provider wollen mitverdienen

"Die Einführung von UMTS hätte bis 2005 Zeit gehabt"

13.10.2000
MÜNCHEN - Zweistellige Milliardenbeträge haben die Netzbetreiber für eine der begehrten Lizenzen der dritten Mobilfunkgeneration Universal Mobile Telecommunications System (UMTS) bezahlt. Ungewiss ist jedoch noch, mit welchen Services und Inhalten sie ihre Investitionen amortisieren wollen. Mit Helmut an de Meulen, Geschäftsführer der Materna Information & Communications, sprachen die CW-Redakteure Peter Gruber und Jürgen Hill über die künftige Mobilfunklandschaft in Deutschland.

CW: Wie bewerten Sie als Content-Provider die hohen UMTS-Lizenzgebühren von insgesamt rund 100 Milliarden Mark?

an de MEULEN: Das ist eine enorme Kostenbelastung für die sechs Lizenznehmer. Wenn Sie überlegen, dass wir heute bereits über die vierte Mobilfunkgeneration mit einer Bandbreite von bis zu 28 Mbit/s nachdenken, die in ersten Laborversuchen läuft, dann hat UMTS vielleicht eine Lebensdauer von zehn bis 15 Jahren. Bei einer Bevölkerung von 83 Millionen in der Bundesrepublik und einem Nutzerpotenzial von 60 Prozent bedeutet das eine Belastung von 1600 Mark pro Kunde, die Verzinsung noch nicht eingerechnet. Alles in allem können Sie mit einer Kapitalbelastung von 20 bis 30 Mark pro Kunde im Monat rechnen. Auf der anderen Seite zwingen diese Investitionen die Netzbetreiber zum schnellen Netzaufbau und zur Innovation in Sachen Services.

CW: Was hätte man besser machen können?

an de MEULEN: Mit der UMTS-Auktion hätte man noch ein paar Jahre warten können. Jetzt haben wir die Situation, dass General Packet Radio Service (GPRS) und Wireless Application Protocol (WAP) noch gar nicht richtig am Markt sind und parallel dazu schon der Aufbau der UMTS-Netze ansteht. Das ist eigentlich Quatsch. Die Einführung von UMTS hätte bis 2005 Zeit gehabt, und in der Zwischenzeit hätten wir GPRS richtig voran gebracht.

CW: Nun haben wir sechs Lizenznehmer und wohl etliche virtuelle Netzbetreiber. Wie beurteilen Sie deren Chancen?

an de MEULEN: Das ist schwierig. Diejenigen, die bereits heute ein gutes Kundenpotenzial haben, wie etwa die beiden großen Betreiber T-Mobile und Mannesmann Vodafone, werden versuchen, ihre Kunden auf UMTS zu migrieren. Bei E-Plus und Viag Interkom sowie Mobilcom ist das schon schwerer. Die schwierigste Position hat natürlich das 3G-Konsortium mit Telefonica und Sonera, die sich wohl nach einem Partner umschauen müssen.

CW: Sie sprechen von der Migration der GSM-Kunden auf UMTS. Besteht hier nicht die Gefahr der Kannibalisierung unter den eigenen Kunden?

an de MEULEN: Nein, im Gegenteil. Ein Netzbetreiber, der sowohl ein GSM- als auch ein UMTS-Netz besitzt, hat enorme Vorteile. Er weist in der Regel einen großen Kundenstamm auf und kann, falls es die Endgeräte unterstützen, Anwendungen mit geringer Bandbreitenanforderung auch über das GSM- beziehungsweise GPRS-Netz fahren. Es ist ja Unsinn, ein Telefonat über UMTS laufen zu lassen. Insofern sehe ich eine Koexistenz zwischen UMTS und GSM, auch was die Flächendeckung angeht. Es ist ohnehin fraglich, ob UMTS jemals die Reichweite der GSM-Netze, die nahezu 100 Prozent Flächendeckung aufweisen, erreichen wird.

CW: Dann müssen GSM- und UMTS-Netze noch auf lange Sicht parallel betrieben werden?

an de MEULEN: Mit Sicherheit noch einige Jahre. GSM wird auch noch weiter wachsen. Derzeit haben wir in Deutschland eine Penetration von 50 Prozent, Ende des Jahres sollen es 60 Prozent sein. Eine Sättigung tritt bei 80 bis 90 Prozent ein. Der Ersatz- und Neubedarf halten sich fast schon die Waage. Weltweit geht GSM auf die 500 Millionen Nutzer zu.

CW: Zurück zu den virtuellen Netzbetreibern. Wie passen diese ins Bild?

an de MEULEN: Das Thema der virtuellen Netzbetreiber wird von den sechs Lizenznehmern nicht nur akzeptiert, sondern wie ich glaube, sogar begrüßt werden, weil sie darin eine Chance sehen, die Kapazitäten auszulasten. Die heutigen Netzbetreiber stehen vor Riesenherausforderungen. Das Thema WAP ist noch nicht richtig gestemmt, GPRS geht gerade erst los, und wir haben wieder eine Situation, in der die Endgeräte nur in sehr limitierter Anzahl verfügbar sind. Gleichzeitig müssen neue Billing-Plattformen entwickelt und die UMTS-Infrastruktur aufgebaut werden. Was ich sagen will, die Mobilfunkbetreiber sind in den nächsten zwei bis drei Jahren bei knappen Ressourcen völlig damit ausgelastet, die Infrastruktur zu stemmen und sich um Endgeräte zu kümmern, so dass wenig Ressourcen bleiben, um über Applikationen nachzudenken. Genau in diese Lücke stoßen die virtuellen Netzbetreiber oder Unternehmen wie wir, die sich als Mobile Application Service Provider (ASP) aufstellen wollen.

CW: Also haben wir eine Wertschöpfungskette, an der drei Beteiligte verdienen wollen: Der Netzbetreiber, der virtuelle Netzbetreiber und der Content-Provider. Warum sollten die sechs Lizenznehmer nicht versuchen, die beiden Zwischenglieder auszubooten?

an de MEULEN: Diese Value Chain existiert schon heute, wenn sie etwa einen SMS-Dienst zu Big Brother machen. Dann zahlt der Abonnent etwa 39 Pfennig pro SMS-Nachricht. An dieser Gebühr ist der Netzbetreiber beteiligt. Dann gibt es jemand der diesen Value-added-Service betreibt, wie wir. Und wir haben wiederum einen Vertrag mit Endemol, der Produktionsfirma von Big Brother, geschlossen, die uns den Inhalt zur Verfügung stellt. Natürlich wollen die Netzbetreiber von diesem Kuchen an Leistungen etwas mehr abhaben, denn hier liegt bei UMTS die Phantasie. Sie werden aber in meinen Augen nicht in der Lage sein, diese vielen Applikationen, die das Netz erst interessant machen, selbst anzubieten, da ihnen die Ressourcen und die Kreativität fehlen.

CW: Schön, und wo ist der Unterschied zur heutigen Wertschöpfungskette?

an de MEULEN: Prinzipiell gibt es keinen. Was bei UMTS besser geht, ist, dass mehr Commerce und multimedialer Inhalt produziert werden. Unter UMTS bekommen wir den Multimedia Messaging Service (MMS) als Weiterentwicklung von SMS. MMS bietet dem Anwender vier Elemente, mit denen er arbeiten kann: Text, Bilder, Videos und Audio-Dateien. Letztlich ist das eine konsequente Weiterentwicklung des SMS-Gedankens, adaptiert an die multimedialen Möglichkeiten eines UMTS-Endgeräts.

CW: Sie predigen das hohe Lied der multimedialen Anwendungen. Reicht die UMTS-Bandbreite hierzu überhaupt aus?

an de MEULEN: Ja, denn ich spreche nicht vom Streaming, das im Broadcast übertragen wird. Einen komprimierten Urlaubsfilm überträgt UMTS wie eine Mail, also nicht in Echtzeit. Dabei ist es den IP-Paketen egal, ob die Übertragung eine Minute mehr oder weniger dauert. UMTS ist letztlich kein Medium für Video-Broadcasting, denn dazu reicht die Bandbreite nicht aus. Im großen Stil ist dies erst mit der vierten Mobilfunkgeneration zu realisieren, wenn wir über Transferraten von bis zu 28 Mbit/s reden. Wenn Sie aber unter UMTS etwa das Champions-League-Spiel vom FC Bayern sehen wollen, müssen sie Quality of Services (QoS) definieren. Denn es geht nicht, dass Sie sich die UMTS-Bandbreite in ihrer Zelle mit vielen anderen teilen. Über die QoS wird dann eine garantierte Bandbreite reserviert, die der Anwender bezahlen muss. UMTS kennt also nicht nur höhere Bandbreiten, sondern auch QoS.

CW: Und wer bezahlt die reservierte Bandbreite? Der Kunde wohl kaum.

an de MEULEN: Wir erleben das Gleiche wie beim Fernsehen: Programme für die der Anwender bezahlt und Angebote, die sich über Werbung finanzieren oder über Pay per View. Aber das sind Dinge, die sich entwickeln müssen. Nehmen Sie nur die Diskussion um die GPRS-Tarifierung mit zeit- und volumenorientierten Modellen. Hier herrscht im Markt eine hohe Verunsicherung in Sachen Billing. Relativ klar ist jedoch, dass die Netzbetreiber bei Geschäften über das Medium GPRS oder UMTS profitieren, wenn sie die Clearinghouse-Funktionalität übernehmen. So verdient etwa NTT Docomo an jedem Flugticket, das via Handy verkauft wird, vier bis fünf Prozent. Das ist aber nicht das Thema Content-Abrechnung, sondern Mobile Commerce.

CW: Aber reicht dazu nicht auch GPRS anstelle von UMTS?

an de MEULEN: Wenn wir von der heute üblichen Person-zu-Person-Kommunikation via SMS sprechen - ja. Aber unter UMTS konsumiert der Anwender künftig stärker Content, etwa indem er auf Mallorca seinen lokalen Radiosender von zu Hause via Handy empfängt. Ich bin davon überzeugt, dass der Konsum von Content immer stärker kommen wird, während der M-Commerce noch etwas hinterherhinkt. Zudem dürften zu Beginn die Consumer-Applikationen den Markt dominieren.

CW: Warum?

an de MEULEN: Der Consumer entscheidet sich spontan an einem Samstag dazu, ein neues Handy zu erwerben, wenn etwa sein Vertrag ausläuft. Ein Unternehmen erwirbt dagegen nicht nur ein Endgerät, sondern rüstet seine gesamten mobilen Mitarbeiter damit aus. Darüber hinaus muss es sich Gedanken über die Applikationen machen - also sein Intranet oder Extranet mobilisieren. Das sind Prozesse, die ein bis anderthalb Jahre dauern. Deshalb wird eine Technologie wie UMTS, wenn die Preise anders als bei der GSM-Einführung akzeptabel sind, in der Regel zuerst von den Consumern genutzt.

CW: Welche Killerapplikationen sehen Sie im Business-Bereich?

an de MEULEN: Das ist eine schwierige Frage. Ich glaube, dass es Messaging im weitesten Sinn ist, da unter UMTS die heutige SMS-Beschränkung von 160 Zeichen entfällt. Damit kann ich endlich meine Mails auf dem Handy lesen, garniert mit multimedialen Inhalten. Ferner dürften Collaboration-Dienste im Business-Umfeld eine Zukunft haben, wenn etwa mein Kalender, meine Aufgabenliste oder mein Projektplan im Netz liegen. Andere Beispiele sind der Abruf des Corporate Directory, Vertriebsinformationen oder Daten aus dem Controlling oder der Finanzbuchhaltung. Das funktioniert zwar schon mit GPRS und WAP, doch mit UMTS ist es schöner. Nehmen Sie nur den Handwerker, der mit dem Bauherrn auf der Baustelle über die passenden Heizkörper berät. Mit UMTS kann er diese gleich im Bild präsentieren und dann bestellen. Das sind für mich die Business-Szenarien.

CW: Und wie sieht es im Consumer-Segment aus?

an de MEULEN: Zum einen haben wir hier den bereits diskutierten Content-Konsum, zum anderen den Bereich M-Commerce. Dieser profitiert ebenfalls von den Multimedia-Fähigkeiten. Denken Sie etwa an einen virtuellen Hotelrundgang bei der Zimmerreservierung oder an die Möglichkeiten der optischen und akustischen Animationen, wenn Sie ein Konzertprogramm per Handy durchblättern, um Karten zu bestellen. Hier bietet UMTS mit seinen visuellen Komponenten einen deutlichen Mehrwert gegenüber dem klassischen Call-Center. Dagegen sehe ich die so genannten Location Based Services (LBS) nicht als Killerapplikation für UMTS. Denn Dienste wie etwa das Regionalwetter Oberbayern rechnen sich vom Volumen her nicht. Hier dürfte eher das klassische Beispiel des Restaurant-Finders eine Chance haben.

CW: Sie argumentieren, UMTS wird im Gegensatz zu GSM durch den Consumer getrieben. Wer sagt, dass UMTS-Dienste und Endgeräte nicht genauso teuer sind wie anfangs bei GSM?

an de MEULEN: Denken Sie an die eingangs genannten Zahlen. Die Carrier benötigen schnellstens Kunden, um auf ihre Kosten zu kommen. Zumal wir anfangs wie bei GSM keine Flächendeckung haben. Die UMTS-Abdeckung dürfte sich auf die Ballungsräume und die Autobahnen beschränken. Das führt zu zwei Konsequenzen: Zum einen benötigen wir Applikationen, die sowohl im breitbandigen UMTS als auch im schmalbandigen GPRS funktionieren, zum anderen brauchen wir Endgeräte, die GSM und UMTS beherrschen, also Dual-Mode-Geräte.

CW: Wann kommen diese Geräte? Bei WAP und GPRS waren Handys bisher ja Mangelware.

an de MEULEN: Marktkenner rechnen damit, dass im zweiten Halbjahr 2001 Endgeräte verfügbar sind, die ausschließlich UMTS können. Ein reines UMTS-Handy hat aber wenig Sinn. Wirklich interessant werden erst die Dual-Mode-Geräte sein, die UMTS, GPRS und GSM abdecken. Damit ist nicht vor Mitte 2002 zu rechnen. Wir schimpfen immer auf die Hersteller, aber die Entwicklung dieser Produkte ist schon eine enorme Herausforderung. Zu den Übertragungsstandards kommen schließlich noch Interfaces wie zum Beispiel für Bluetooth, aber auch Plugins, um MP3-Player anzuschließen, hinzu. Mit Bluetooth könnten Sie dann an der Parkhausschranke per Handy bezahlen.

CW: Wird es bei der Fülle der in Europa zu errichtenden UMTS-Netze zu Engpässen bei den Equipment-Lieferanten kommen?

an de MEULEN: Da bin ich mir ganz sicher. Unter den Netzbetreibern dürfte deshalb ein knallharter Wettlauf um das Equipment entbrennen.