Die Dollarentwicklung begünstigt Engagements in amerikanischen DV-Werten:Chancen mit US-Aktien an deutschen Börsen

08.07.1988

MÜNCHEN - Die Sommerrallye an den Aktienmärkten ist in vollem Gang. Der FAZ-Index stieg in den vergangenen Wochen um mehr als zehn Prozent. Auch wenn es in den Hartwährungsländern zu ersten Leitzinserhöhungen zur Dämpfung des Dollaranstiegs gekommen ist, dürften sich weltweit die monetären Rahmenbedingungen für die Aktienmärkte vorerst nicht entscheidend verschlechtern.

Lebhafte Stimmung an den deutschen Börsen: Die Siemens-Aktie legte innerhalb weniger Wochen 20 Prozent zu. Wer nach der Kaufempfehlung im zurückliegenden CW-Börsenspot bei diesem lange vernachlässigten Standardwert eingestiegen ist, sollte seine Position jetzt vorsichtshalber halbieren, also einen Teil der Gewinne sicherstellen. Mit einem Kurs-Gewinn-Verhältnis von 10 bis 1 1 ist Siemens sowohl im nationalen als auch im internationalen Vergleich angemessen bewertet. Wer sich neu engagiert, sollte in PKI und Detewe investieren.

In den USA wird die Notenbank während der bevorstehenden heißen Wahlkampfphase keine Risiken eingehen. Bis November sollten also die monetären Rahmenbedingungen für Wall Street recht stabil bleiben. Aus markttechnischer Sicht bleibt genug Raum für eine Erholung bis etwa zu einem Dow-Jones-Index um die 2250. Das Erholungspotential ist mit 10 bis 20 Prozent groß genug, um Engagements zu rechtfertigen. Für eine kräftige Hausse sind die Rahmenbedingungen nicht gut genug.

Dollar zu niedrig bewertet

Wer kurzfristig Tradingchancen sucht, sollte sich deshalb auf spesengünstige, an den deutschen Börsen handelbare Titel konzentrieren. In Mark gerechnet, war zwar bis Mitte 1988 mit den meisten US-Computerwerten kein Geld zu verdienen. Jetzt sind aber wieder einige amerikanische DV-Werte interessant: Compaq (Handel in München und Stuttgart), Commodore International, Hewlett-Packard, NCR und Wang Labs "B" (jeweils Börsen Hamburg und München), außerdem Unisys (Stuttgart) und IBM (Berlin, Bremen, Düsseldorf, Frankfurt, Hamburg, Stuttgart).

Die Dollargefahr ist zwar nicht völlig gebannt, doch im Grunde ist die US-Währung eher zu niedrig als zu hoch bewertet. Denn seit Frühjahr 1987 betreibt Washington eine Politik des knappen Geldes. Bis Anfang 1987 hatte sich bei einem Wachstumsplus von unter fünf Prozent die US-Geldmenge um annualisiert 18 Prozent erhöht. Dies bewirkte eine nachhaltige Bonitätsverschlechterung des Dollar. Seit Mitte 1987 ist nun bei der US-Handelsbilanz ein Trend zu sinkendem Defizit zu erkennen. Auf einem anderen Blatt steht die Entwicklung der ebenfalls defizitären US-Leistungsbilanz, die wegen der hohen Auslandsverschuldung der USA nachhaltiger negativ tendiert als die Handelsbilanz. Angesichts der wegen der Dürre explodierenden Grundnahrungsmittelpreise dürfte es vor den Wahlen nicht zu einer Änderung der restriktiven amerikanischen Geldmengenpolitik kommen. Der Stützungseffekt für die US-Währung wird anhalten. Selbst wenn es noch einmal zu einer scharfen Kurskorrektur kommen sollte, darf der Langfristinvestor davon ausgehen, daß er den Dollar jetzt günstig kauft. Wer sich in US-DV-Aktien engagiert, hat heute weit weniger Dollarrisiko zu gewärtigen als noch vor anderthalb Jahren.

Das US-Analystenhaus Value Line erwartet für das laufende Jahr ein Auftragsplus von sieben Prozent im Hardwarebereich, eine weiterhin positive gesamtwirtschaftliche Entwicklung vorausgesetzt. Bei Anlageentscheidungen muß mittelfristig eine verschuldungsbedingte Rezessionsgefahr berücksichtigt werden. Anleger sollten sich bei Investments deshalb unbedingt auf Aktien von Unternehmen konzentrieren, die solide Bilanzstrukturen aufweisen, zum Beispiel auf IBM, Hewlett-Packard und NCR.

Für Hewlett-Packard erhöhte Value Line vor einigen Wochen die Gewinnschätzungen auf 3,35 US-Dollar, nachdem im ersten Quartal ein Umsatzplus von 26 Prozent erwirtschaftet worden war. Insbesondere die Nachfrage nach preiswerten Laserdruckern zog an. Allerdings wurde schon damals befürchtet, daß die Gewinnqualität wegen der niedrigen Margen bei den Druckern nachlassen könnte. So wurden die Gewinnschätzungen für Hewlett-Packard von einigen Analystenhäusern im Juni nach unten revidiert, was zu einem Kurseinbruch führte.

Auf dem aktuellen Niveau von etwa 55 Dollar ist die Aktie mit dem 17fachen des Jahresgewinns bewertet - eine im Branchen - und Gesamtmarktvergleich recht hohe Bewertung, die jedoch von den überdurchschnittlichen Wachstumsaussichten und der grundsoliden Bilanzstruktur gerechtfertigt wird. Nach dem jüngsten Kursrückgang sollte der Titel bis zum Jahresende ein vernünftiges Chance-Risiko-Verhältnis bieten.

Der Blue-Chip unter den Computerwerten, IBM, wird zur Zeit an Wall Street mit gut dem Zwölffachen des Jahresgewinns bewertet. Analysten schätzen einen Gewinn von etwa zehn Dollar je Aktie. Auch wenn IBM bei der Produktentwicklung und -umsetzung einigen Konkurrenten hinterherläuft, sollte sich der Gewinn im Trend der kommenden Jahre weiter aufwärts entwickeln. Ein Teil dieser Erwartung dürfte jedoch schon in den heutigen Kursen enthalten sein. IBM-Engagements sollte man sicherheitshalber nur bei Kursrückschlägen unter 120 Dollar eingehen.

Der fünftgrößte US-Computerhersteller, NRC, wird in Wall Street mit dem 12- bis 13fachen des Gewinns bezahlt. Wie IBM und Hewlett-Packard warten das Unternehmen mit ausgezeichneten Bilanzrelationen auf. Langfristigen Verbindlichkeiten von 110 Millionen Dollar steht ein viermal so hoher Gewinn gegenüber. Die Rendite liegt bei netto sieben Prozent. NCR zahlt 1,18 Dollar Dividende im Jahr, was einer Rendite von zwei Prozent entspricht. Zum Vergleich: IBM rentiert mit gut 3,5 Prozent, Hewlett-Packard mit lediglich 0,4 Prozent. Einige Computerhersteller, etwa DEC, verzichten völlig auf eine Ausschüttung; sie reinvestieren den gesamten Gewinn. Ihre Aktien sind anfälliger für zyklische Rückschläge.

Das zweistellige Umsatzwachstum bei NRC scheint sich 1988 fortzusetzen. Dies sollte den Gewinn je Aktie auf über 5,50 Dollar ansteigen lassen. Das Unternehmen verringerte zudem nach dem Oktobercrash im Rahmen eines Rücklaufplans die Zahl der ausstehenden Aktien auf 80 Millionen. Da diese Fakten bekannt und im Kurs eskomptiert sind, dürfte sich NCR kurzfristig nicht besser als der Gesamtmarkt entwickeln.

Mittelfristig gehört der Titel zu den US-Computerwerten mit überdurchschnittlicher Chance-Risiko-Relation. NCR zählt in der Branche zu den Unternehmen mit dem kontinuierlichsten Gewinnanstieg. Wer kaufen will, sollte Rückschläge in die Nähe von 50 Dollar abpassen.

Die Nummer drei unter den US-Computerherstellern, Unisys, wird in Stuttgart gehandelt und gehörte in den vergangenen Monaten zu den Titeln mit der besten D-Mark-Performance in dieser Gruppe. Unisys ist mit dem gut zehnfachen des Gewinns bewertet; die Dividendenrendite beträgt knapp drei Prozent. Der Titel scheint damit preiswerter als IBM, Hewlett-Packard und NCR. Allerdings betragen die langfristigen Verbindlichkeiten knapp zwei Milliarden Dollar - das ist ein Fünftel vom Umsatz oder mehr als das Doppelte des Nettogewinns. Bei IBM hingegen belaufen sie sich auf nur sechs Prozent des Umsatzes oder gut die Hälfte des Profits. Unisys sollte deshalb unter kurzfristigen Tradinggesichtspunkten, nicht jedoch als Daueranlage gesellen werden.

Deutlich bessere Bilanzrelationen weist Compaq aus. Aufgrund der hohen Anpassungsfähigkeit des Unternehmens an die schnell wechselnden Produktzyklen wird Compaq voraussichtlich weiter zu den überdurchschnittlich abschneidenden DV-Aktien gehören. Die Entwicklung rechtfertigt ein langfristig orientiertes Engagement. Nach dem jüngsten Kursanstieg sollte jedoch eine Konsolidierung von etwa zehn Prozent abgewartet werden.