CeBIT-Besucher aus der DDR: Auf Einladung oder eigene Faust

Die DDR könnte die Phase der zentralen DV überspringen

13.04.1990

HANNOVER (dow) - Rund 25 000 Besucher aus der DDR - das hat eine Umfrage der Deutschen Messe AG ergeben - kamen zur CEBIT. Herstellerunternehmen und Verbände hatten die Kosten für die Eintrittskarten übernommen, um ostdeutschen DV-Fachleuten den Messebesuch zu ermöglichen. Allerdings kamen auch viele von ihnen auf eigene Faust nach Hannover.

So zum Beispiel Siegfried Tusche aus Neustrelitz. Derzeit noch Angestellter in einem volkseigenen Betrieb, informierte sich der Mathematiker und Softwarespezialist über Möglichkeiten und Chancen, mit einer Existenzgründung als selbständiger DV-Berater erfolgreich zu sein. Auch Olaf Melziffer, noch Fachdirektor für Organisation und Datenverarbeitung in einer Schuhfabrik in Ostberlin, sieht berufliche Perspektiven im Beratungsgeschäft. Für die Gründung eines Unternehmens "Systemtechnik und Software" hat er bereits 10 000 Mark aus ERP-Mitteln der Kreditanstalt für Wiederaufbau (KfW) beantragt.

Mit Besuchern gerade aus dem Handwerks- und Kleinstbetriebe-Bereich, die sich womöglich zu allzu schnellen Investitionsentscheidungen verleiten lassen könnten, hatte der Anwenderverband Deutscher Informationsverarbeiter e.V. (ADI) in der DDR gerechnet. Bevor die Handwerker dem Drängen einzelner Hersteller nachgeben, sollten sie sich an kompetenter Stelle sachkundigen Rat holen, empfiehlt Uwe Fischer vom ADI. Der gelernte Mathematiker befürchtet, daß in kürzester Zeit die DV-Landschaft in der DDR eine ähnliche, fast nicht mehr zu überschauende Systemvielfalt aufweisen könnte wie im Westen - mit den gleichen, dann aber importierten Problemen.

Hilfe bei der Wahl ihrer Systeme und Konfigurationen erwarteten unter anderem die nach Hannover angereisten rund 40 Bürgermeister aus der DDR von ihren Kollegen aus der Bundesrepublik. Sie waren der Einladung der CDU-nahen Konrad-Adenauer-Stiftung und des Deutschen Städte- und Gemeindebundes gefolgt. Bei einem Round-Table-Gespräch, das die niedersächsische Finanzministerin Birgit Breuel moderierte, machten die Kommunalvertreter aus der DDR eine Bestandsaufnahme. Der Zustand der Technik in den Kommunalverwaltungen sei denkbar schlecht, sofern überhaupt Rechner eingesetzt würden. Die Mehrzahl der rund 7500 Gemeinden verwaltet ihre Daten auf herkömmliche Weise, das heißt, manuell mit Hilfe von Karteikästen.

Datenverarbeitung in den Rechenzentren der Bezirke diente unter anderem dazu, den Mangel in Verkaufsstellen zu verwalten, erläuterte einer der Beteiligten der Gesprächsrunde den bisherigen Einsatz von DV. Eine vernichtende Einschätzung der Technik gab Manfred Kruse, Bürgermeister der Kleinstadt Plau. "Alles Schrott", lautete der Kommentar des gelernten Mathematikers und Besitzers eines 386-PCs.

Den DDR-Anwendern fehlt noch die Marktübersicht

Frau Breuel warnte die Gäste jedoch davor, "alles zu übernehmen, was wir hier haben". Viele der im Zuge der Gebietsreform entstandenen Verwaltungseinheiten hätten für die betroffenen Bürger erhebliche Nachteile gebracht. Franz-Reinhard Habbel vom Deutschen Städte- und Gemeindebund bestätigte, die Aufgaben der in dieser Zeit entstandenen Rechenzentren müßten gründlich überdacht werden. Die Kommunen in der DDR hätten dagegen aufgrund der weiterentwickelten Technologien die Chance, die Phase der zentral organisierten DV zu überspringen und technisch autonome Einheiten zu gründen.

"Viele Dinge kommen jetzt noch zu früh", gab Harmut Luther, Bürgermeister der Stadt Jüterbog, seine Eindrücke vom Gang über das Messegelände wieder. Noch fehle die Übersicht über die künftigen Aufgaben der Kommunen. Zielsetzungen für den Einsatz einer DV müßten erst noch genau formuliert werden, erläuterte Luther. Hinzu komme, daß den künftigen Anwendern in der DDR die Marktübersicht bei DV-Lösungen fehle. Hilfestellung erwartet das Mitglied des Initiativkomitees zur Bildung des Städte- und Gemeindetages in der DDR dabei vor allem von den Partnerschaften mit westdeutschen Gemeinden.

Die größte Einladungsaktion von DDR-Besuchern organisierte der Deutsche Sparkassen- und Giroverband. Insgesamt 450 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter von DDR-Sparkassen kamen zur Messe-Halbzeit am Sonnabend, um sich über elektronische Hilfsmittel im Bankenbereich zu informieren.

Rainer Voigt, Präsident des neugegründeten Verbandes der DDR-Sparkassen, ließ in Hannover durchblicken, daß er auf der Suche nach finanzkräftigen Partnern sei, denn "aus eigener Kraft kann die Modernisierung der Sparkassen nicht finanziert werden". Langfristig ist ein Anschluß der 196 DDR-Sparkassen an das westdeutsche Sparkassennetz geplant.