"Die Cloud wird uns noch lange beschäftigen"

29.09.2011
Im CW-Interview spricht Accentures Deutschland-Chef Frank Riemensperger über die Strategie des IT-Dienstleistungs- und Beratungskonzerns, das Thema Business Analytics und den langen Weg zur Cloud in Anwenderunternehmen.

CW: Accenture konzentriert sich auf große IT-getriebene Transformationsprojekte und auf den IT-Betrieb von Großkonzernen. Welche Rolle spielt in dieser Strategie Ihr Zukauf diverser Softwarehäuser in den letzten Jahren?

Riemensperger: Wollen wir den Kunden mit optimalen Managed Services bedienen, brauchen wir bestimmte Assets. Dahinter können Prozesse stecken oder auch ein Stück Software, das uns in die Lage versetzt, hochvolumige Transaktionen abzuarbeiten. Wir sehen diese Transactional Services als ganz wichtigen Trend für unsere Geschäftsentwicklung. Wir haben die CAS gekauft hier in Deutschland (gemeint ist die CAS Computer Anwendungs- und Systemberatung AG in Kaiserslautern, Anm. d. Red.). Deren Softwarelizenzgeschäft wollen wir natürlich weiterbetreiben. Aber die Phantasie geht weiter: Wir wollen mit der Software, die der Kunde bisher selbst gekauft hat, auch einen Transactional Service aufbauen und so den gesamten Service in einem Stack anbieten.

CW: Kommen Sie da Ihren Großkunden, die ihre Prozesse längst definiert und mit marktführender Business-Software abgebildet haben, nicht eher in die Quere?

Riemensperger: Nein. CAS war für uns deshalb interessant, weil sie Weltmarktführer im Bereich CRM-Software für Konsumgüterhersteller sind. Ein Weltmarktführer aus Kaiserslautern. Wir haben ihn nicht nur für den deutschen Markt gekauft. CAS hat wirklich querbeet die Elite der Konsumgüterhersteller weltweit bedient. Das passt wunderbar in unsere Branchenstruktur und auch zur Größe unserer Kunden, weil wir eben auch überwiegend die Marktführer bearbeiten.

CW: Ihr Rivale IBM treibt zurzeit das Thema Business Analytics voran. Bei Accenture sehen wir da nichts.

Riemensperger: Analytics ist auch für Accenture ein Riesenthema, da sind wir uns einig mit IBM. Der Treiber sind die rasant zunehmenden Daten, die über unterschiedliche Kanäle kommen und verknüpft werden wollen. Gehen wir aber mit der singulären Nachricht an den Markt: Wir können Analytics? Eher weniger. Das ist ein horizontaler Ansatz, per se nicht differenzierend. Wir gehen lieber rein und argumentieren: Wir können in der Pharmabranche den Entwicklungsprozess neuer Medikamente durch den Einsatz von Analytics verbessern. Das führt zu konkreter Wertschöpfung beim Kunden.

CW: Wenn Sie Managed Transaction Services verkaufen, wer ist dann Ihr Ansprechpartner beim Kunden?

Riemensperger: Das ist bei jedem Unternehmen unterschiedlich. Ganz wichtig ist der CIO, der meiner Meinung nach noch zu selten auf der Geschäftsführungs- oder Vorstandsebene zu finden ist. Wenn man bedenkt, wie wettbewerbsentscheidend schlanke Prozesse, eine konsolidierte Anwendungslandschaft und eine schnelle Adaption von Technologien entlang der Geschäftsstrategie sind, dann verstehe ich nicht, warum der CIO als Querschnittsfunktion im Unternehmen, die das organisiert, manchmal auf der zweiten oder sogar nur der dritten Führungsebene angesiedelt ist. CIOs sollten am Vorstandstisch sitzen und eine Stimme haben.

CW: Accenture leistet sich eine für IT-Dienstleister recht große Forschungs- und Entwicklungsabteilung. Warum?

Riemensperger: Wir nehmen immer den Blickwinkel der Wertschöpfung für unsere Kunden ein. Es ist wirklich spannend, was da passiert. Nehmen Sie die intelligente Energieversorgung: Da sind wir ganz früh mit einem Pilotprojekt hineingegangen und haben Boulder City im US-amerikanischen Colorado komplett mit Smart-Grid-Systemen ausgestattet, um Erfahrungen zu sammeln, wie das funktioniert. Wir haben andere innovative Projekte im Bereich Connected Health und denken über Ähnliches im Bereich Connected Car nach.

CW: Müssen Ihre Kunden, in deren wettbewerbskritische Prozesse Sie ja bisweilen tief eingreifen, dabei nicht fürchten, dass wertvolles Wissen an die ebenfalls von Ihnen bedienten Wettbewerber abfließt?

Riemensperger: Es gibt natürlich Spielregeln der Vertraulichkeit. Mitarbeiter, die beim einen Kunden sind, können in dieser Zeit nicht beim Konkurrenten arbeiten. Auf der anderen Seite sind sich aber alle einig, dass umfassende Branchenkenntnisse bis zu einem gewissen Grad vorteilhaft sind.Wenn man einmal das Vertrauen bricht, ist der langjährige Kunde weg. Es gibt aber auch Themen, die nicht differenzierend sind, wo es nur um Skalierung und Effizienz geht. Da bieten die Kunden oftmals sogar an, firmenübergreifend darüber zu sprechen. Uns kommt dann die Rolle des Matchmakers zu. Da geht es um den Austausch der Konzerne untereinander, auch über Erdteile hinweg, wo wir sagen: Guckt doch mal da, die haben ein ähnliches Problem, wollt ihr euch nicht austauschen?

CW: Die IT-Märkte befinden sich in einem Transformationsprozess. Cloud Computing wird zu einem großen Thema - auch wenn die Einschätzungen in den Unternehmen unterschiedlich sind. Wie sieht Accenture die Cloud?

Riemensperger: Dahinter steckt sicher ein Technologiesprung, der aber momentan overhyped wird. Eine leere Hülle ist es aber nicht. Was passiert hier? IT-Infrastrukturen werden virtualisiert. Gleichzeitig gibt es den Trend der E-Kanäle, des Verbreitens von Inhalten und Informationen übers Internet. Und drittens ist da der Mobility-Trend: Die Endgeräte und Netze werden immer schneller und leistungsfähiger. Das alles zusammen führt zu einer veränderten Infrastruktur. Man kann die IT heute in weiten Teilen zentralisieren und in die Private, vielleicht sogar teilweise in die Public Cloud legen. Die Realität ist aber auch: 20 Jahre Legacy-Systeme, 20 Jahre proprietäre Datenhaltung, Milliarden Euro an Investments - so schnell löst das keiner ab! Nicht das technisch Machbare, sondern die Kosten der Transformation definieren die Geschwindigkeit. Wir werden mit dem Thema Cloud noch viele Jahre beschäftigt sein. Die Technologie zeigt die Möglichkeiten auf, aber die Umsetzungsrealität im Unternehmen ist deutlich langsamer. Einfach weil so viel investiert ist. Aber interessant ist es, und es wird auch wieder neue Geschäftsmodelle ermöglichen.

CW: Können die Legacy-Infrastrukturen, in die Millionen- oder Milliardenbeträge geflossen sind, zu einer Fußfessel für Unternehmen werden?

Riemensperger: Das Risiko besteht. Denken Sie an eine SAP-Installation. Die hat oft das More-Country-Problem. Der Rollout in den ersten 20 Ländern ist in Ordnung, aber wenn Sie in Länder kommen mit einer kleinen Dependance von fünf Mitarbeitern, ist das überhaupt nicht zu vertreten. Hier zeigt sich: Bei den Ankeranwendungen, wo es etwa um Datenintegration, Ablösung oder Umstellung geht, ist es noch ein weiter Weg in die Cloud. Aber die Cloud kann auch hier neue Lösungswege aufzeigen.

von Heinrich Vaske