Europa profitiert von den Erfahrungen in den USA

Die Chancen virtueller Marktplätze

26.10.2000
Im Business-to-Business-Geschäft reichen Web-Kataloge allein nicht mehr aus. Um Anbieter und Käufer einer Branche effizient zu vernetzen, müssen komplexe Geschäftsprozesse im Internet abgebildet werden. Eine Lösung bieten Net Markets als virtuelle Marktplätze. Wer sie betreiben will, braucht nicht nur technisches und organisatorisches Know-how. Er muss auch die Prozesse und das Geschäftsgebaren der jeweiligen Branche kennen. Auch für Traditionsfirmen eröffnen sich deshalb hier ganz neue Chancen.

Vor zwei Jahren existierte der Begriff Net Market noch gar nicht. Schließlich konzentrierte sich das Interesse am E-Business damals ganz auf Business-to-Consumer-Szenarien. Heute ist klar, dass der Löwenanteil des Umsatzes im Internet über B-to-B kommen wird und dass Net Markets dabei eine wichtige Rolle zufällt. Nach einer aktuellen Prognose der Gartner Group werden im Jahr 2004 weltweit Waren im Wert von mehr als 7000 Milliarden US-Dollar zwischen Unternehmen gehandelt – und knapp 40 Prozent davon über Net Markets, also virtuelle Marktplätze.

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Quelle: Stone Image

Net Markets sind meist firmenneutrale Plattformen, auf denen Unternehmen einer bestimmten Branche oder eines bestimmten gewerblichen Interesses ihre Geschäfte erledigen. Die Betreiber haben dafür unterschiedliche Geschäftsmodelle entwickelt, solche Marktplätze zu unterhalten. Am häufigsten finanziert man sich durch Transaktionsgebühren für die Geschäftsabschlüsse. Für den erfolgreichen Aufbau und den Betrieb eines Marktplatzes bedarf es jedoch zwingend Branchen-Know-how und fundierter Kenntnisse über die betreffenden Kernprozesse. Market Maker: Mehrwert durch Transparenz Das Internet hat sich vom reinen Informationsnetz zum Dialogmedium gewandelt. Heute muss ein Anbieter keinen Papierkatalog mehr versenden.

 Der Kunde wählt die Website des Lieferanten an, klickt sich zu der gewünschten Produktinformation durch und gibt die Order direkt in das System ein. Dabei hat er die Möglichkeit, jederzeit den Status seiner Order nachzuprüfen – und das alles zu jeder Zeit. Solche Systeme werden als „Sell-Side“ (vertriebsorientierter Marktplatz) bezeichnet. Es hat sich inzwischen gezeigt, dass der Bedarf im B-to-B-Geschäft weit über den Ersatz eines papiergebundenen durch einen elektronischen Katalog hinausgeht. Die Waren, die online eingekauft wurden, beschränkten sich zunächst auf geringwertige Wirtschaftsgüter.

Der Einspareffekt war dabei geringer als gedacht. Inzwischen verlagern Großunternehmen die Beschaffungsprozesse für A- und B-Güter, also direkt produktionsrelevanten Waren, ins Internet. Der Net Market, auf die sich im Februar die klassischen Konkurrenten General Motors, Ford und Daimler-Chrysler einigten – das große Konsortium mit dem Namen <a href="http://www.covisint.com/">Covisint</a>– hat sich beispielsweise dies zur Aufgabe gestellt. Die Bündelung eines großen Nachfragepotenzials könnte für einen ganz neuen Wettbewerb zwischen den Automobilzulieferern sorgen. Ein derart Käufer-orientierter Marktplatz (Buy-Side) auf der einen und zahlreiche Anbieter auf der anderen Seite erfordert eine deutlich höhere Technikreife als Online-Kataloge, da hier geschäftskritische Prozesse betroffen sind.

Bei den hier skizzierten Ansätzen laufen die Transaktionen direkt zwischen Kunden und Lieferanten ab. Es ist kein Vermittler involviert, der die Vertriebsseite oder die Einkäufer betreut. Dabei kann ein neutraler Vermittler durchaus marktgerecht sein, wenn er Käufern und Verkäufern einen erkennbaren Nutzen bietet. So ermöglicht etwa der europäische Marktplatz <a href="http://www.buildonline.com/">Build Online</a> neben dem reinen Kaufprozess auch die Internet-basierte Projektverwaltung für Bauvorhaben.

Das beinahe schon klassisch zu nennende Beispiel und Vorbild eines neutralen Exchange oder Net Market stammt aber aus den USA. Es ist der weltweite <a href="http://www.e-steel.com/">Stahl-Marktplatz</a> . Im ersten Schritt trat dieser Handelsplatz im Internet als Informationsanbieter auf: Man fasste Industrie-relevante Informationen auf einer Internet-Seite zusammen, um damit den Ein- und Verkäufern in den Stahlwerken einen informellen Nutzen zu bieten. Im zweiten Schritt wurde die Kommunikation der einzelnen Partner untereinander mit dem zentralen E-Steel-System umgesetzt. Vertrauen als Erfolgsfaktor

Jetzt liefert E-Steel seinen Marktteilnehmern ein umfassenden Service: Neben den Brancheninformationen, besteht jetzt die Möglichkeit, Produkte direkt über die E-Steel-Website anzubieten oder nachzufragen. Dabei gibt es Optionen, die den normalen Geschäftsgewohnheiten der Teilnehmer entsprechen: Vertraulichkeit, Neutralität, Bonitätssicherung und die Möglichkeit, Angebote oder Anfragen auf einen bestimmten Kreis zu limitieren – etwa auf qualitätszertifizierte Lieferanten. Vertrauen ist also ein wesentlicher Erfolgsfaktor. Für die Entstehung von Net Markets gibt es verschiedene Szenarien.

Bei E-Steel hat ein einzelner Unternehmer, Michael S. Levin, der 20 Jahre Stahlindustrie-Erfahrung gesammelt hatte und im Senior Management großer amerikanischer Stahlwerke tätig gewesen war, erkannt, dass im Internet ein enormes Potenzial für ein ganz neues Geschäftsmodell liegt. Der Erfinder von E-Steel wusste genau, wo die Unternehmen weltweit der Schuh drückt: ineffiziente Geschäftsprozesse, Intransparenz der Transaktionen und relativ verkrustete, monopolartige Strukturen. Der Marktplatz stellt nun Transparenz her, bricht alte Verkrustungen auf und ermöglicht gleichzeitig die Digitalisierung von Geschäftsprozessen. Nicht zuletzt können nun auch neue Marktteilnehmer aus Schwellenländern an einem vorher für sie unzugänglichen Geschehen teilnehmen. Ein anderes Szenario für E-Markt-Gründungen stellen Gruppen da, die als dominante Branchen-Player einen Internet-Marktplatz initiieren.

So gibt es zu E-Steel die Konkurrenz <a href="http://www.metalsite.com/">Metalsite</a>, ein Marktplatz, den die großen Stahlanbieter Amerikas betreiben. Ihr Interesse besteht darin, auf diesem Weg eigene Überkapazitäten loszuwerden, etwa durch Auktionen. Das Beispiel E-Steel und Metalsite zeigt, dass in den einzelnen Branchen mehr als nur ein Marktplatz entstehen kann. Forrester Research schätzt, dass allein in Europa die Zahl der B-to-B-Marktplätze im nächsten Jahr auf bis zu 1000 hochschnellen wird. Konkurrierende Net Markets kann es aber nicht beliebig viele geben, denn jeder einzelne braucht eine kritische Masse von Teilnehmern, um wirtschaftlich zu arbeiten.

Deshalb rechnet Forrester auch mit einer Konsolidierungswelle vom kommenden Jahr an. In fünf Jahren soll demnach nur noch jeder zwanzigste Marktplatz übrig bleiben. Die großen Anbieter wachen endlich auf In den USA ist dieser Bereinigungsprozess schon im vollen Gange. Dort war es in den letzten beiden Jahren vielen Unternehmern gelungen, für eine Idee viel Geld von Investoren zu erhalten. Dies hat sich jedoch geändert und nicht erst seit den Turbulenzen der Nasdaq. Was die Unternehmen bei den aktiven Strategien gewinnen können, ist eine Stärkung ihrer Kernkompetenzen im E-Commerce und eine Steigerung des Shareholder Value. Einigen Konzernen ist es bereits gelungen, durch die Gründung von Internet-Töchtern – Forrester nennt sie Dot Corps im Gegensatz zu den Dotcoms – ihren Aktienkurs in die Höhe zu treiben.

Eine ähnliche Strategie kann bei der Etablierung von Net Markets zum Erfolg führen, schließlich kann man auf Branchen-Wissen verweisen. In Europa werden die zurzeit entstehenden Net Markets von Anfang an mit den für einen Erfolg nötigen Ingredienzien ausgestattet sein: Industrie-Know-how und Bündnisse mit dominierenden Marktteilnehmern. Hier spielen die traditionellen Companies schon von Beginn an eine wichtigere Rolle, als es in den USA der Fall war. Beispiele gibt es bereits: <a href="http://www.paperx.com/">Paper X</a>, ein europäischer Marktplatz für die Papierindustrie, geht zwar auf eine Startup-Initiative zurück, hat aber starken Rückhalt in der schwedischen Papierbranche. Bei <a href="http://www.worldofffruit.com/">World of Fruit</a> handelt es sich um ein irisches Projekt, dessen Gründer zu den größten Importeuren und Distributoren von Obst und Gemüse in Europa zählt. Wichtig ist, dass all diese Marktplätze die

Intention haben, dem Markt zu dienen und nicht den Interessen einzelner Player.

Einige Marktplätze in Deutschland

Allocation Network, München, <a href="http://www.allocation.net">www.allocation.net</a>, Industrieprodukte

Allago, Bad Vilbel, <a href="http://www.allago.net">www.allago.net</a>, Büroartikel, Bürotechnik

Atrada Training, Erlangen, <a href="http://www.atradapro.de">www.atradapro.de</a>, Industrieprodukte

BauNETZ Online, Berlin, <a href="http://www.baunetz.de">www.baunetz.de</a>, Baumaschinen, Produkte für die Baubranche

Gesellschaft für Industriemarketing, Stuttgart, <a href="http://www.beschaffung.de">www.beschaffung.de</a>, Antriebstechnik, DV-Zubehör

Bau-Online, Braunschweig, <a href="http://www.b-o-s.de">www.b-o-s.de</a>, Baustoffe

Goindustry, München, <a href="http://www.goindustry.com">www.goindustry.com</a>, gebrauchte Industriegüter, Überschussware

Emaro, Frankfurt, <a href="http://www.emaro.com´>www.emaro.com</a>, Büroartikel, Büroausstattung, DCI, Starnberg, <a href=">www.handelsdatenbank.de</a>, IT- und Telekommunikationstechnik

Internationale Holzbörse, Landshut, <a href="http://www.holzboerse.de">www.holzboerse.de</a>, Forstprodukte

InterXion, Frankfurt, <a href="http://www.interxion.de">www.interxion.de</a>, Minutenbörse Übertragungsbandbreite

One2Trade, Karlsruhe, <a href="http://www.On2Aper.com">www.On2Aper.com</a>, Papierindustrie

TradeNetOne, Eschborn, <a href="http://www.tradenetone.com">www.tradenetone.com</a>, Logistikservices