Wer den Traumjob will, muss Kontakte suchen

Die Bewerbungsmappe hat keine Aussagekraft

21.01.2000
Nur 28 Prozent aller Beschäftigten verbinden mit ihrer täglichen Arbeit Spaß, behauptet die ehemalige Personalreferentin und jetzige Karriereberaterin Madeleine Leitner. Im Gespräch mit Ingrid Weidner* erörtert sie alternative Wege der Berufs- und Karriereplanung.

CW: Was ist das besondere an Ihrer Beratungsmethode?

Leitner: Ich zäume das Pferd ganz einfach von vorne auf. Zuerst kommt es bei beruflichen Entscheidungen darauf an, die eigenen Fähigkeiten und Wünsche zu erkennen. Statt Bewerbungstipps zu geben, lautet die schlichte Botschaft: "Werde der Du bist". Diese Idee, die Authentizität eines Menschen und seine wirklichen Potenziale und Wünsche zu erkennen, hat mich so fasziniert, dass ich 1994 beim Management-Berater Dick Bolles in den USA eine Ausbildung absolvierte. Seitdem habe ich beständig daran gearbeitet, dass sein Ansatz in einer vernünftigen Version nach Deutschland kommt. Die Berufswahl lässt sich nicht darauf reduzieren, wie ich eine Bewerbung noch schöner schreiben und mich noch besser verkaufen kann.

CW: Meinen Sie damit, die Bewerber sollten nicht den üblichen Weg wählen und nach dem gängigen Muster auf Stellenanzeigen antworten?

Leitner: Jeder Bewerber, der in einem Stapel landet, hat eigentlich schon verloren. Nur 35 Prozent aller Stellen werden in Deutschland über Anzeigen besetzt. Es gibt allerdings Menschen, für die dieses Stellensuchsystem gut funktioniert, das sind dann in der Regel die Idealkandidaten.

Personalentscheider wählen Bewerber nach einem bestimmten Schema aus. Auch sie sind unsicher, also suchen sie sich Orientierungshilfen, wie beispielsweise: "Ist da ein roter Faden im Lebenslauf erkennbar und haben all die Schritte einen Sinn?" Aber es gibt zahlreiche Menschen, die in verschiedenen Lebensphasen auch unterschiedliche berufliche Interessen haben.

Die bei uns praktizierten Personalauswahlverfahren suchen nach Menschen, deren Biografien sehr geradlinig sind. Diese Bewerber haben aber auch Scheuklappen auf.

In ihrem Leben ist nie etwas schief gegangen, Lebens- und Sinnkrisen haben sie nicht kennen gelernt. Ich glaube, dass diese Menschen in Krisensituationen versagen, weil sie so etwas nie selbst erlebt haben.

Eines meiner Hauptziele ist es, Personalverantwortliche dazu anzuregen, über ihre eigenen Auswahlkriterien nachzudenken.

Ausgewählt wird bisher zunächst nach der Note. Bei vielen Juristen habe ich aber in den Auswahlverfahren erlebt, dass die Examensnote und die soziale Kompetenz in einem negativen Zusammenhang standen.

CW: Was würden Sie heute den Personalentscheidern empfehlen? Wie sollten sie ihre Bewerber aussuchen?

Leitner: Ich habe für die Telekom vier Jahre lang Assessment Center (AC) organisiert. Im AC wird mehr auf Persönlichkeitsmerkmale geachtet. In Deutschland wird diese Komponente oft unterschätzt, Fachwissen dagegen überschätzt. Wenn es sich nicht um einen reinen Expertenjob handelt, beispielsweise für einen Entwicklungsingenieur, sollten andere Kompetenzen im Vordergrund stehen. Und es sollten mehr Seiteneinsteiger eine Chance erhalten. Oft sind die faszinierenden Menschen nicht die, die sich immer nach oben gearbeitet haben, sondern die, die ihren Weg gegangen sind. Dieser ist nicht immer geradlinig. Oft spielen auch Zufälle eine Rolle. Unter der Hand gibt es viele Seiteneinsteiger, die sich aber oft nicht trauen, das offen zu sagen, weil sie auf Vorurteile stoßen wie "Der weiß ja nicht, was er will". Die interessanten Leute sind für mich die, die suchen. Menschen, die sich weiterentwickeln und Fragen stellen. Nicht die, die sich mit 20 oder 30 Jahren schon innerlich zur Ruhe setzen.

CW: Wie kommen Bewerber mit einem weniger geradlinigen Lebenslauf an den Job, den sie wollen?

Leitner: Sie sollten sich nur sichtbar machen. Hierfür kann man einiges tun: Etwa die Menschen aufsuchen, die von freien Stellen wissen. Wenn ich Seminare mit arbeitslosen Führungskräften um die 50 mache, dann kommen wir beim Brainstorming auf ganz einfache Dinge wie beispielsweise einen Leserbrief schreiben, einen Vortrag halten, auf Messen gehen, zu Verbänden Kontakt aufnehmen, sich an Arbeitskreisen beteiligen. Wichtig ist, sich auf keinen Fall zu Hause zu verkrümeln. Dann erfährt niemand, dass Sie einen Job suchen. Man kann an den unglaublichsten Orten Menschen kennen lernen, die von einem Job wissen oder selbst einen zu vergeben haben.

CW: Sie behaupten, nur 28 Prozent aller Beschäftigten verbinden mit ihrer Arbeit Spaß. Woran liegt das?

Leitner: Ich denke, das hat viel mit der deutschen Mentalität und Tradition zu tun. Hier wird wenig gefragt, was die Menschen wollen. Kinder lernen, sich anzupassen, und "Träume sind Schäume". Man sagt den Deutschen auch im internationalen Vergleich viele Ängste nach. Traditionell werden ausgefallene berufliche Wünsche wenig unterstützt. Da heißt es dann: Dafür gibt es keinen Markt, dann kannst Du gleich Taxi fahren. In den Zeitungen wird wenig über Menschen geschrieben, die es anders machen. Die Medien berichten häufiger über das Elend der Arbeitslosigkeit. Erfolgreiche Seiteneinsteiger oder neu geschaffene Jobs werden selten thematisiert. In der Meinungsbildung überwiegen Nachrichten, die entmutigen, die dazu führen, dass Leute auf Nummer Sicher gehen. Sie studieren Betriebswirtschaft, ohne zu wissen, was sie damit machen wollen. Viele haben einfach Angst.

CW: Was verstehen Sie unter Karriere?

Leitner: Für mich hat der Begriff damit zu tun, dass Menschen mit Begeisterung und Spaß ihrem Job nachgehen, ganz egal ob als Autoverkäufer oder Manager. Das ist nicht der klassische Karrierebegriff. Karriere heißt in der Regel, in der Hierarchie nach oben kommen, mehr Geld zu verdienen, sich ein größeres Auto leisten zu können.

CW: Haben die Personalchefs starre Vorstellungen darüber, welche Qualifikationen jemand mitbringen muss?

Leitner: Es gibt einige amerikanische Firmen, die da flexibler sind, auch Studenten der Sinologie oder Theologie bei der Auswahl berücksichtigen. In den USA spielt das Fach eine viel geringere Rolle, weil die übertragbaren Fähigkeiten wie logisches Denken wichtig sind. Das können Geistes- und Sozialwissenschaftler oft sogar besser als andere.

CW: Wie erkennen Sie, ob jemand für einen Job geeignet ist? Sagt ein Lebenslauf etwas über Begeisterungsfähigkeit aus?

Leitner: An den Anschreiben und Lebensläufen erkennt man heute überhaupt nichts mehr, denn die sind alle geschönt. Als ich mit der Personalauswahl begann, war das noch einfacher; da ließen sich die Mappen mit Fettflecken oder orthografischen Fehlern aussortieren. Heute sehen die meisten Schreiben gleich gut aus. Das nimmt einem das Problem nicht ab. Die Bewerber sind nicht besser, nur weil sie sich besser verkaufen. Die Gaußsche Normalverteilung gibt es nach wie vor. Ich traue keinem Anschreiben. Begeisterung muss man direkt erleben.

CW: Dann müssen Sie alle Bewerber zum Gespräch einladen.

Leitner: Es gibt wissenschaftliche Untersuchungen, dass eine Auswahl rein nach dem Zufallsprinzip nicht schlechter ist als Auswahlgespräche. Der einzige Unterschied ist: Die subjektive Überzeugung der Interviewer ist höher.

Personaler denken, sie suchen den richtigen Bewerber aus, weil sie intelligente Fragen stellen. Aber gerade die IT-Branche ist bei der Personalauswahl offener, weil sie ja sehr unter Druck steht, wirklich gute Mitarbeiter zu finden.

Nichts für KarrieristenZur Karriereberaterin Madeleine Leitner kommen keine "typischen Karrieristen." Sie wendet sich eher an Exoten, die keine glatten Karrierewege vorweisen können. Dazu gehören Spätberufene, Seiteneinsteiger und auch Menschen, die durch irgendwelche Krisen im Job psychische Probleme bekommen haben. Alles Leute, die nicht zu den klassischen Karriereberatern gehen.

Leitner arbeitet am liebsten mit Menschen, "die offen dafür sind, sich mit sich selbst zu beschäftigen". Dabei orientiert sie sich am Konzept von Richard Bolles (siehe Kasten "Der etwas andere Karriereratgeber"), und lässt dabei ihre eigene Berufserfahrung als Psychotherapeutin und Personalberaterin einfließen.

*Ingrid Weidner ist freie Journalistin in München.