Mediengestützte Aus- und Weiterbildung eröffnet neue Chancen

Die Aussicht auf Karriere ist die beste Motivation

27.06.1997

CW: In unserer komplexen und sich rasch wandelnden technischen Arbeitswelt besteht die Gefahr des raschen Know-how-Verlusts. Gleichzeitig muß das Wissen über Innovationen aber ständig aktualisiert und akiv verfügbar gemacht werden. Kann ein solcher Wissensumschlag überhaupt sinnvoll gehandhabt werden?

Weber: Wir brauchen eigentlich eine Art Dauerfortbildung - was verständlicherweise aber kaum realistisch ist. Eine Möglichkeit wäre, den Mitarbeitern einen gewissen Freiraum einzuräumen, um sich mit den ständig neuen Entwicklungen und Produkten auseinander zu setzen. Wir alle wissen doch, daß die technische Entwicklung in der schnellebigen Computerwelt derart rasant voranschreitet, daß die Computerprofis kaum noch mithalten können.

CW: Überholtes oder veraltetes Wissen hat nicht selten negative Folgen. Arbeitswissenschaftler sind häufig geschockt, wieviel Produktivität beim Umgang mit PCs und deren Software brachliegt. Was kann hier getan werden?

Weber: Diese Problematik muß differenziert betrachtet werden. Zu Zeiten der Mainframes herrschte bei den Nutzern großer Ärger über die undurchschaubaren Handhabungsregeln und über die begrenzten Möglichkeiten. Wenig später kam die "schöne neue Welt" mit ihren offenen und flexiblen Systemen. Doch Offenheit birgt eine viel größere Gefahr von Fehlbedienung oder gar Sabotage. Es handelt sich also um ein zweischneidiges Schwert.

CW: Kann das dazu führen, daß das Pendel wieder zurückschlagen wird?

Weber: Das tut es gerade. Vordenker suchen ihr Heil wieder in geschlosseneren Systemen. Ganz aktuell wird heute über den (Inter)-Netz-Computer (NC) diskutiert, der neben Kostenvorteilen auch eine höhere Verfügbarkeit garantieren soll. Doch egal, ob wir es mit offenen oder halboffenen Systemen zu tun haben, die Voraussetzung für den Erfolg sind hochqualifizierte, selbstverantwortlich handelnde und motivierte Mitarbeiter.

CW: Um selbständig handelnde Mitarbeiter im Unternehmen zu haben, muß aber doch die Verantwortung an den Arbeitsplatz des einzelnen delegiert werden.

Weber: Das stimmt. Dazu muß sich allerdings im Hierarchiegefüge der Unternehmen etwas ändern. Vor allem müssen die Prozesse transparenter werden. Hier kommt der Begriff "Lean" ins Spiel, der immer noch für Verwirrung sorgt.

"Lean" bedeutet ja nicht nur schlankere Organisation, sondern auch Verlagerung von Verantwortung. Nicht umsonst propagiert das Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation seit Jahren den ganzheitlichen Arbeitsansatz. Auch wenn ich mich wiederhole - Voraussetzung hierfür ist eine solide Aus- und Weiterbildung. Allerdings müssen dann die alten, traditionellen Pfade auch einmal verlassen werden.

CW: Wie sieht es denn mit den Lernmethoden aus? Reicht das "Learning-by-doing"-Prinzip im Umgang mit DV-Einsatz nicht aus?

Weber: Dieser Weg ist mit vielen Frustrationen gepflastert. In der heutigen Fortbildung ist es erforderlich, Hintergründe und Strukturen von Systemen zu lehren. Wenn man nun bedenkt, daß lebenslanges Lernen erforderlich ist, kann dieser Gesamtbedarf nicht mehr allein von Trainern abgedeckt werden. In Zukunft müssen den Lernenden multimediale Lernsysteme zur Verfügung gestellt werden.

CW: Welche Möglichkeiten gibt es hier?

Weber: Einen ersten gewaltigen Schritt haben die großen Software-Anbietern getan, indem sie Standard-Büroanwendungen mit Tutorials und Online-Hilfen ausgestattet haben.

CW: Hat sich die betriebliche und außerbetriebliche Schulung in den vergangenen Jahren den veränderten Anforderungen angepaßt?

Weber: Die Ausbildung hat sich tatsächlich verändert. Heute steht nicht mehr Handhabung und Bedienung, sondern das System- oder Strukturverständnis im Vordergrund. Zu den Hauptaufgaben der Qualifikation gehört deshalb, das entsprechende Verständnis für technische und organisatorische Weiterentwicklungen zu wecken.

CW: Wer soll das tun?

Weber: Die Grundlagen dazu können nur Trainer legen. Die Ausbilder müssen eine Initialzündung auslösen. Durch sie werden die Lernenden erst in die Lage versetzt, mediale Lernangebote eigenverantwortlich, sinnvoll und gewinnbringend nutzen zu können. Auch die Primär- und Sekundärausbildung kann sich nicht mehr aus dieser Verantwortung stehlen und sich hinter Utopien des ausschließlich trainergestützten Lehrens und Lernens verstecken. Lebenslanges selbstgesteuertes Lernen erfordert neue Schlüsselqualifikationen mitsamt einer Grundsteinlegung in der Primärausbildung.

CW: Gibt es in der Bildungslandschaft bereits Beispiele, die den von Ihnen entwickelten Gedanken entsprechen oder nahekommen?

Weber: Einen Aufbruch in diese Richtung gibt es durchaus. Aktuell erleben wir die Initiative "Schulen ans Netz", die neue Informationstechnologie in Verbindung mit neuen Lernmöglichkeiten in die Schulen bringt. Allerdings scheint diese löbliche Aktion noch allzusehr unter technischen Gesichtspunkten gesehen zu werden. Dabei bietet das neue Potential durchaus den Ansatz, die Grundlagen für das selbstgesteuerte und multimedial gestützte lebenslange Lernen zu legen.

CW: Wo wird denn überhaupt schon computerunterstützt gelernt?

Weber: Wir brauchen uns nur die Hochschullandschaft anzuschauen. Die Fernuniversität Hagen demonstriert eine virtuelle Universität via Internet und setzt multimediale Lernsysteme in einem Projekt für die Lehre ein. Die Universität Kaiserslautern untersucht in einem Modellprojekt Integrationskonzepte zum computerunterstützten Lernen bei einem Existenzgründer-Training und entwickelt Ideen zu einer mediengestützten Lehre. Die Technische Universität Cottbus forscht in einem Projekt über die Gestaltungsmöglichkeiten eines "Virtual College". Ebenfalls mit den Perspektiven des multimedialen Teleteachings befaßt sich die Universität Erlangen-Nürnberg. Auch die Universität Freiburg entwickelt Wege zur Integration von Live-Vorlesungen, Teleteaching und Lernsoftware-Einsatz. Mit produktionsorientierten Video-Lernsystemen im Montagebereich wiederum setzt sich die Universität Hildesheim auseinander, und an der Universität Trier wird die Entwicklung intelligenter Lehrbücher im WWW untersucht. Über die Entwicklungspotentiale computergestützter wissenschaftlicher Weiterbildung unter Kostengesichtspunkten macht sich die Fachhochschule Brandenburg Gedanken.

CW: Zurück von der Hochschullandschaft zu den Unternehmen. Besteht nicht die Gefahr, daß die Betriebe das Problem der Weiterbildung künftig auf die Mitarbeiter abwälzen wollen? Ist Weiterbildung künftig Privatsache des Arbeitnehmers?

Weber: Natürlich sollte jeder Arbeitnehmer großes Interesse an seiner Weiterbildung haben. Die Arbeitgeber können aber die betrieblich erforderlichen Aus- und Weiterbildungsaktivitäten nicht einfach auf den privaten Bereich verlagern. Ideal wäre eine Mischung aus Eigenverantwortung und betrieblicher Förderung. Die beste Motivationsspritze für eine intensive selbstgesteuerte Weiterbildung ist immer noch die Aussicht auf eine entsprechende Karriere. Daß viele Menschen bereit sind, ihren Teil dazu beizutragen, zeigt das Beispiel unserer Hochschule. Bei uns wird das Angebot eines Kontaktstudiums zur betrieblichen Informationsorganisation gerne angenommen, obwohl die Teilnehmer die Kosten und den Zeitaufwand selbst tragen müssen. Auch hier geht es um eine Initialzündung, um sich im Betrieb mit der Materie weiter selbständig auseinandersetzen zu können.

Andreas Weber ...

...ist an der Pädagogischen Hochschule Schwäbisch Gmünd im Bereich Informatik/computerunterstütztes Lernen tätig. Er arbeitete mehrere Jahre am Fraunhofer-Institut für Arbeitswirtschaft und Organisation in Stuttgart. Seine Forschungsschwerpunkte liegen auf dem Gebiet des multimedial gestützten Lernens in Schule, Hochschule und Betrieb.

*Ina Hönicke ist freie Journalistin in München.