Die Anwender haben die MAP-Zukunft in der Hand

09.12.1988

Auch die Präsentation von MAP 3.0 und den Manufacturing Message Specifications (MMS) kann nicht ganz darüber hinwegtäuschen, daß weiterhin Zweifel hinsichtlich dieses Standards, seiner Akzeptanz und entsprechenden Produkten bestehen. Erhard Schwall, Hauptabteilungsleiter Fertigungsleittechnik bei Asea Brown Boveri, sieht die Felle bei dieser Norm unterdessen sogar wegschwimmen: "Insgesamt ist MAP während der Definitionsphase hin zu 3.0 in Vergessenheit geraten. In diesem Akzeptanzloch haben Ethernet-LANs dramatisch an Verbreitung gewonnen." Für den konstatierten Mangel an MAP-Komponenten macht Thomas Simon, Entwicklungsleiter von ComConsult insbesondere eine gewisse Lethargie des Benutzers mitverantwortlich: "Nur die konkrete Planung von Pilotprojekten und die damit verbundene Forderung nach Produkten wird den Markt in Bewegung bringen." Auch Oskar Henn, Leiter Projektvertrieb bei Telemation geht davon aus, "daß jetzt der Anwender am Zug ist". Produkte werden seiner optimistischen Auffassung nach im übrigen aber schon in den nächsten achtzehn Monaten von allen Herstellern angeboten.

Erhard Schwall

Hauptabteilungsleiter

Fertigungsleittechnik bei

Asea Brown Boveri,

Mannheim

Insgesamt ist MAP während er Definitionsphase hin zu 3.0 in Vergessenheit geraten. In diesem Akzeptanzloch haben Ethernet-LANs dramatisch an Verbreitung gewonnen. Stellte sich vor zwei Jahren noch die Frage, welches LAN sich durchsetzt, so fragt man heute (außer in Fanclubs) ob MAP jemals den Ethernet-Vorsprung einholen kann, zumal dort auch Standards vorhanden sind beziehungsweise sich abzeichnen.

Zugleich sei daran erinnert, daß keineswegs eine allgemeine LAN-Euphorie besteht. Was für den einen State-of-the-Art ist, gilt für den anderen als High-Tech und für den dritten als wirtschaftlich und technisch undurchsichtige "Zukunftsmusik". Das lange Fehlen von MAP auf der "LAN-Bühne" hat hier sicher nicht für Veränderung gesorgt.

Die Festschreibungszeit der neuen MAP-Version nun entspricht jedoch realistisch angesetzten Anlagenlebenszeiten. Sie ist wesentlich länger als Hardware- und Software-Versionen leben. Es erscheint dennoch schwer vorstellbar, daß ein solcher neuer Standard derart "richtig" und stabil ist, daß er nicht doch schon bald von den Anforderungen "ausgehebelt" wird. Ähnlich undenkbar ist es, daß MAP und insbesondere MMS über diesen Zeitraum hinweg alle Hardware- und Basissoftware-Fortschritte bei den diversen Lieferanten übersteht, in ausreichender Qualität und auf Dauer gepflegt.

Das "Schicksal" von MMS ist natürlich direkt an jenes von MAP gekoppelt. Im Rahmen des Manufacturing Automation Protocols ist MMS die Schlüsselnorm für alle Aufgaben der Intertaskkommunikation. Es läßt sich hier aus fertigungsleittechnischer Sicht folgende Gliederung vornehmen:

- Kommunikation "nach oben", das heißt zu den dispositiven Rechnersystemen. Hier ist die Verkehrsart Filetransfer ausreichend und dienlich.

- "horizontale" Kommunikation zu den Leit- und Zellenrechnern. Hier benötigt man neben Filetransfer auch Intertask-Kommunikation.

- Kommunikation "nach unten" zur Steuerungstechnik. Hier benötigt man ebenfalls Intertask-Kommunikation.

Wie ist nun in diesem Zusammenhang MMS zu beurteilen? MMS scheint zunächst für die Anbindung von Maschinen und Einrichtungen "nach unten" im Fertigungsbereich konzipiert zu sein. Hier erscheinen die verfügbaren Grundfunktionen sehr atomar, schwierig zu verstehen und nur von Experten einsetzbar (analog zu ADA?). Möglicherweise entsteht auf der Basis von MMS eine höhere Standard-Schnittstelle zur Steuerungstechnik. Für die horizontale Kommunikation fehlen im MMS allerdings einfache Broadcast-Möglichkeiten.

Thomas Simon

Entwicklungsleiter bei der

ComConsult

Kommunikationstechnik,

Aachen

Für eine Beurteilung der MAP-Situation aus Sicht des Anwenders sind heute drei Punkte wesentlich: die Funktionalität der neuen MAP-3.0-Spezifikation, die Stabilität der Spezifikation und die Verfügbarkeit von entsprechenden Produkten.

Die MAP-Spezifikation 3.0 befindet sich kurz vor der Fertigstellung und wird Ende 1988 in der endgültigen Fassung veröffentlicht. Sie wird für die folgenden sechs Jahre eingefroren, um einen stabilen Zustand zu gewährleisten.

Der wesentliche Unterschied für den Anwender zwischen den Spezifikationen 2.2 und 3.0 liegt in der Funktionalität an der Schnittstelle zur Anwendung und in der nunmehr erreichten Stabilität. Die 3.0-Spezifikation definiert MMS als Dienst der Anwendungsschicht. Damit ist eine Einbindung von speicherprogrammierbaren Steuerungen, CNC/DNC-Maschinen, Betriebsdatenerfassungsgeräten und Robotern in die MAP-Kommunikationsinfrastruktur realisierbar. MMS realisiert diese Integration durch die Bereitstellung einer genormten Kommandosprache.

Das Argument "Die MAP-Spezifikation ist immer noch nicht stabil" ist nicht mehr zugkräftig. Für den Anwender stellt sich die Frage, ob MAP mit der aktuellen Spezifikation

ausreichende Funktionalität für eine geplante Anwendung anbietet und in welcher Weise die Schnittstelle zur Anwendung bei Updates stabil bleibt. Software-Updates sind im Bereich der Kommunikationstechnik keine außergewöhnliche Situation. Ein "stabiler" Zustand, der keine Updates erfordert, kann deshalb auch von MAP nicht gefordert werden. Wichtig ist, daß die Schnittstelle zur Programmierung von Anwendungslösungen stabil bleibt. Mit den MMS-Diensten steht dem Anwender eine Schnittstelle zur Verfügung, die diese Anforderungen weitestgehend erfüllt.

Die Frage nach der Einsetzbarkeit von MAP und MMS ist direkt verbunden mit der Frage nach der Verfügbarkeit von MAP-Produkten, insbesondere Steuerungen mit MAP-Anschaltung und MMS-Server-Funktionalität. Zur Zeit sind auf dem Markt nur Vorversionen für Steuerungsanbindungen an MAP verfügbar. Diese Situation wird sich auch in absehbarer Zukunft nicht ändern, wenn der Druck von seiten der Anwender auf die Hersteller nicht verstärkt wird. Hier reichen Absichtserklärungen nicht aus. Nur die konkrete Planung von Pilotprojekten, die über den Rahmen der Vernetzung von einigen PCs hinausgehen, und die damit verbundene Forderung nach entsprechenden Produkten wird hier den Markt in Bewegung bringen.

Helmut Freiwald

Wissenschaftlicher

Mitarbeiter im Bereich

Steuerungstechnik und

Sensorik beim iwb Institut für

Werkzeugmaschinen und

Betriebswissenschaften an

der Technischen Hochschule

München

Durch die Festlegung von Diensten, Protokollen und Schnittstellen für offene Kommunikationssysteme in Produktionsanlagen ergeben sich für den Anwender bei der Konfiguration und Einbindung von Rechnern und Steuerungskomponenten in ClM-Systeme eine Reihe von Vorteilen gegenüber bisherigen Lösungsmöglichkeiten bezüglich der Kommunikation mit Gerätesteuerungen und Rechnern unterschiedlicher Hersteller.

Bei unterschiedlichen und firmenspezifischen Schnittstellen ist für die Integration Anpassungs- und Kommunikationssoftware notwendig.

Zur Kommunikation mit den einzelnen Gerätesteuerungen müssen aufgrund unterschiedlicher Steuerungsschnittstellen und Protokolle schnittstellenspezifische Komponentenprozesse eingesetzt werden. Da manche Geräte mehr als eine Schnittstelle (V.24 und Parallelinterface) zur Ansteuerung anbieten, andere zusammen an einer Parallelschnittstelle des übergeordneten Rechners hängen, ist es sinnvoll für den Anwender, der die Konfiguration und Ablaufprogrammierung des Zellenrechners übernehmen soll, eine zusätzliche schnittstellentransparente Komponentenprozeßebene einzuführen.

Alle Komponentenprozesse kommunizieren über eine formal standardisierte Schnittstelle mit dem Zellenrechnerkern und auch untereinander. Dem Anwender stehen damit für die Ablaufprogrammierung geräteorientierte Aktionsaufrufe, die durch Parameter näher spezifiziert werden können, und komponentenbezogene Variablen zur Verfügung.

Bereits ein formaler Schnittstellenstandard erlaubt eine flexible Konfiguration unterschiedlicher Geräte, und die aufwendige Anpassungssoftware entfällt. Durch den Einsatz eines einzigen Standardkommunikationsmoduls ergibt sich nicht nur eine wesentliche Vereinfachung bei Anbindung an Anwenderprogramme, sondern auch eine robustere und leistungsfähigere Basis als bei bisherigen projekt- und firmenspezifische Lösungen. Bei Verwendung eines inhaltlichen Standards wie zum Beispiel MMS (Manufacturing Message Specification) lassen sich Anwendungen wie die Ablaufprogrammierung in einer Zelle durch einen einheitlichen Befehlsstandard wesentlich leichter erstellen. Die übertragbare Information steht im Vordergrund, nicht das "Wie" der Übertragung.

So bietet MMS/MAP nicht nur sämtliche Serviceleistungen zur Ansteuerung von CNC, SPS und RC, sondern ermöglicht auch den horizontalen Informationsaustausch zwischen Rechnern und Steuerungen ohne zwingende Beteiligung eines übergeordneten Rechners. Mit Filetransfer, Variablen-Lesen und -Schreiben sowie Definition von ereignisgesteuerten Programm-Aufrufen lassen sich nicht nur auf Zellenrechnerebene viele Anwendungen vereinfachen, sondern sie ermöglichen auch eine Performance-Steigerung und Ablaufoptimierung durch mehr Transparenz und direkten Zugriff auf Daten ohne Berücksichtigung der speziellen Rechner- und Steuerungshardware.

Bei Rechnervernetzungen ist dieses Ziel mit der zur Verfügung stehenden Hardware und Software bereits realisierbar, jedoch müssen zur Einbindung von Steuerungen (CNC, SPS, RC, AGV) momentan noch Gateway-Lösungen eingesetzt werden. Zukünftige Lösungen verlangen deshalb Steuerungstypen, die durch Prozeßrechnerfunktionen, offene Schnittstellen zu Standard-Programmiersprachen und Standardkommunikationsdienste auch dem Anwender die Möglichkeit zur flexiblen Konfiguration und Ablaufprogrammierung bieten.

Oskar Henn

Leiter Projektvertrieb MAP/

TOP/OSI bei Telemation,

Unterschleißheim

Der Anwender erhofft sich von MAP/TOP 3.0 vor allem bessere Unterstützung bei den anstehenden oder bereits begonnenen Integrations- und Vernetzungsaufgaben. Er kann diese Hilfe zu Recht erwarten, da von MAP/TOP 3.0 die Basis-Probleme angegangen werden:

- MAP/TOP 3.0 bietet nicht nur Kommunikationsfunktionen, sondern Dienste und eine Architektur mit konsequenter Ausrichtung auf die Kommunikation im Gesamtunternehmen ("Enterprise")

- Es handelt sich um einen Internationalen Standard für die Multivendor-Kommunikation

- Die Verpflichtung zur Aufwärtskompatibilität heutiger Produkte für sechs Jahre schafft die Voraussetzung zur Investition in diese neue Technologie - und zwar sowohl für den Anwender als auch für die Hersteller

- Eine breite Palette von Produkten wird in den nächsten 18 Monaten von allen Herstellern angeboten werden

Die Dienste von MAP/TOP 3.0 adressieren die zentralen Probleme großer Multivendor-Netzwerke. Besonders wichtig sind dabei die Dienste MMS - "Manufacturing Message Specification" und NM - "Network Management".

MMS ist der zentrale Dienst von MAP 3.0 und ist durch seine Einordnung als Mittler zwischen der Rechner- und der Fabrikautomatisierungswelt für Anwender und verschiedene Herstellergruppen sowie Systemhäuser sehr wichtig. Es kann als das ClM-Integrationsvehikel bezeichnet werden, welches zur weiteren Umsetzung von ClM-Plänen in der Praxis gebraucht wird.

Entscheidend für die Leistungsfähigkeit ist die Berücksichtigung der Anforderungen vom Beginn an. Außerdem kommt es auf eine entsprechende Festlegung von Mechanismen an - bei Fabrikautomatisierungsgeräten durch die Definition eines VMD - "Virtual Manufacturing Devices", welches die Details unterschiedlicher Realisierungen zum Netz verbirgt und bei Rechnern durch ein API - "Application Programmers Interface", das die Details des Systems und des Betriebssystems für den Anwendungsprogrammierer vollständig verbirgt. Dies resultiert in einheitlicher Behandlung der Fabrikautomatisierungsgeräte der unterschiedlichsten Hersteller und in vollständiger Portierbarkeit von rechnerseitigen MMS-Anwendungen.

Der umfangreiche Satz von 87 Services gibt die zukunftssichere Basis, aber durch sogenannte Conformanceklassen sind kleinere, praxisgerechte Subsets festgelegt, um die Produkterstellung zu erleichtern. Durch die Verabschiedung als ISO-IS (International Standard) Ende Oktober ist die Implementierung durch alle Hersteller jetzt möglich. Auf der Basis des vor einem Jahr verabschiedeten DIS - Draft International Standard - gibt es bereits heute MMS-Produkte, die aufgrund der geringfügigen Änderungen von DIS nach IS eine sehr gute Basis für den Know-how-Erwerb und Pilotprojekte darstellen.

Zu den unmittelbar sichtbaren Vorteilen kommt noch zusätzliches "Potential": Die flexible "Program-to-program"-Architektur erlaubt den Mix von Anwendungen mit drastisch gesunkenem Integrationsrisiko und -aufwand.

Der andere wichtige Dienst ist das NM-Network Management. Die ISO-Normung geht hier schleppend voran, doch MAP 3.0 hat hier wiederum eine Vorreiterrolle übernommen und die wichtigsten Teile (Protokolle, ebenenspezifische Fehlerzähler usw.) unter Ausrichtung an den ISO-Arbeiten festgelegt. Zweifelsohne sind hier zur Zeit bessere und vor allem besser integrierte Lösungen bei herstellerspezifischen Netzwerken vorhanden, doch die Integration des MAP 3.0-NM in die MAP-3.0-Produkte schreitet aus meiner Sicht zügig voran. In Jahresfrist ist mit breit einsetzbaren Lösungen zu rechnen, da alle Beteiligten sich über die Wichtigkeit dieses Aspektes für den MAP-Erfolg im klaren sind. Dabei ist noch zu berücksichtigen, daß herstellerspezifische und MAP-3.0-NM-Protokolle unter Nutzung der bereits vertrauten Benutzerschnittstelle kombiniert werden können. Entsprechende Ankündigungen sind zum Beispiel von IBM für Netview und von HP erfolgt.

Der OSI/MAP/TOP-Zug fährt also mit mehr Dampf in die richtige Richtung. Jetzt ist der Anwender am Zug. Dabei ist schrittweises Vorgehen angeraten - vom Know-how-Erwerb mittels Starterkits und Training über Pilotprojekte zu großen Systemen. Produktankündigungen von großen Rechnerherstellern bewegen sich zwischen Anfang '89 bis Mitte '90. Die Planungsdaten für die späteren Schritte sind somit gegeben, und als neue, sehr leistungsfähige Technologie ist ein Know-how-Erwerbs-Zeitraum von sechs bis neun Monaten anzusetzen.

Für den ersten Schritt, Know-how-Erwerb, stehen bereits heute MAP-3.0-Starterkits für PC/AT-Systeme mit vollem Support zur Verfügung, die natürlich auch für geeignete Pilotprojekte einsetzbar sind. Darüber hinaus wurden die Preise sowohl für Starterkits als auch für Interfaces gesenkt. Dies ist sicherlich eine weitere Entscheidungshilfe. Da bereits mit den bisherigen Interface-Kosten bei GM in Multivendorprojekten bei system/projektbezogener Kostenrechnung deutliche Vorteile erzielt wurden, sollte dem Start mit MAP auch in Deutschland nichts mehr im Wege stehen. Der Anwender kann jetzt eine neue Rolle übernehmen, und für Systemhäuser eröffnen sich völlig neue Märkte.