Schulungsbedarf im Betrieb gezielt ermitteln

Die Anhäufung von Seminaren ergibt noch kein Bildungsprogramm

23.10.1992

Betriebliche Weiterbildung ist ein wesentlicher Faktor, um ein Unternehmen konkurrenzfähig zu erhalten. Insbesondere in Phasen des Wandels ist es wichtig, rechtzeitig die richtigen Qualifikationen bereitzustellen. Sie bleiben nach Auffassung von Guido Betz* der Schlüssel für eine starke Position auf dem Markt.

Nicht nur im Dienstleistungsbereich gilt die Formel: Mitarbeiterqualität entspricht der Produktqualität! Dies zu wissen, ist sicher keine große Kunst. Wie aber ermittelt der Personalchef den Bildungsbedarf in seinem Unternehmen? Wie kann er sicherstellen, daß die Mitarbeiter nicht an ungeeigneten Maßnahmen teilnehmen, und woher nimmt er die geeigneten Trainer?

Auch die Frage, wie die Notwendigkeit einer kontinuierlichen und zielgerichteten Weiterbildung gegenüber der Geschäftsleitung vertreten werden kann, ist für viele Personalleiter häufig nicht einfach zu beantworten. Nicht zuletzt ist da noch die Beurteilung von Erfolg oder Mißerfolg einer durchgeführten Maßnahme, die manchem Personalverantwortlichen graue Haare wachsen läßt.

Bildungswesen ist eine Serviceabteilung

Auf den ersten Blick scheint das Dickicht von Bildungsbedarf, Konzepten und verschiedenen Anbietern undurchschaubar zu sein. Vor allem für manchen Personalchef, der Weiterbildung noch nebenbei organisieren muß, ist die Ermittlung beziehungsweise Umsetzung des Weiterbildungsbedarfs allzuoft ein Glücksspiel. Hier stellt sich die Frage des make or buy immer öfter.

Dabei ist das Grundverständnis betrieblicher Bildungsarbeit recht simpel: Erfolg stellt sich nur durch optimale Führung ein! Positive Ergebnisse eines Unternehmens sind ausschließlich durch gute Führungsleistungen zu erzielen. Es sind die Führungskräfte, die Material und Kapital optimal einsetzen und Mitarbeiter so motivieren, daß sie ihr Bestes geben. Durch Weiterbildung allein läßt sich kein Blumentopf gewinnen.

Weiterbildung legt allerdings die Grundlage, auf der die Führungskräfte aufbauen können. Haben die Mitarbeiter kein Erfolgspotential, bleibt auch die beste Führungsanstrengung ohne Erfolg. Die Verantwortung für die Qualifikation der Mitarbeiter liegt daher einzig und allein beim jeweiligen Vorgesetzten, denn Führungsverantwortung ist unteilbar.

Das betriebliche Bildungswesen ist also nach der vorgehenden Definition eine Serviceabteilung, die:

- durch methodische Dienstleistungen Führungskräfte unterstützt;

- übergeordnete Gesichtspunkte berücksichtigt und umsetzt;

- für Kontinuität in der Personalentwicklung sorgt;

- die Qualität der betrieblichen Bildung sicherstellt;

- in allen Bildungsfragen berät und

- als Innovator im Betrieb auftritt.

Der Bildungsbedarf ergibt sich jeweils als Differenz zwischen Ist- und Soll-Qualifikation der Mitarbeiter. Bildungsbedarfs-Ermittlung heißt daher zum einen, die Anforderungen des Arbeitsplatzes insbesondere in der Zukunft klar zu beschreiben, und die Ist-Qualifikation der Mitarbeiter objektiv zu erfassen. Zum anderen werden künftige Entwicklungen und Strategien des Betriebes auf Bildungsbedarf untersucht.

Insbesondere muß auch veraltetes Wissen "entlernt" werden, ein Problem, das vielen nicht bewußt ist, in dem aber wesentliche Barrieren für innovative Änderungen liegen. Ungenutztes Potential, das dabei erkannt wird, läßt sich dann auch für den Betrieb fruchtbar einsetzen.

Gerade bei enger werdenden Budgets sollten die Betriebe hier nichts mehr dem Zufall überlassen. Weiterbildung ist eine Investition in die Zukunft und kein Ersatz für Sozialleistungen .

Wie können nun Unternehmensleitung und Personalverantwortliche ohne viel Aufwand die notwendigen Maßnahmen einleiten? Da ja nur Führung zum Erfolg führt, muß der Betrieb in jede Form der Bildungsbedarfs-Ermittlung die unmittelbaren Vorgesetzten immer einbinden. Hierzu bieten sich insbesondere Beurteilungsverfahren an, die den jeweiligen Bildungsbedarf individuell, sozusagen als Nebenprodukt, feststellen. Periodische Mitarbeitergespräche zur Beurteilung sind also immer auch als Quellen der Bildungsbedarfs-Ermittlung nutzbar zu machen.

Lernen im Betrieb geschieht aber nicht ausschließlich durch Seminare, denn eine Anhäufung von isolierten Kursen ergibt noch lange kein Bildungsprogramm zur Mitarbeiterförderung. Wer seit zehn Jahren einen autoritären Führungsstil praktiziert, wird auch nach einem zweitägigen Motivationstraining nicht plötzlich kooperativ. Immer mehr Personalverantwortliche haben erkannt, daß ihre Bildungsarbeit sich weg von Einzelmaßnahmen und hin zu längerfristigen Prozessen entwickeln muß. Gerade beim projektbegleitenden Lernen in Klein- und Mittelbetrieben hat sich ein Weiterbildungskonzept just in time bewährt.

Nachdem die Geschäftsleitung die allgemeinen Ziele vorgegeben hat, steht am Anfang solcher Prozesse jeweils ein Workshop zur Problemklärung. Gemeinsam mit einem Bildungsberater identifizieren hier alle Beteiligten anhand der bevorstehenden Aufgaben wichtige Schlüsselqualifikationen und geeignete Weiterbildungsmaßnahmen. So führt der Weg vom angebotsorientierten Bildungsprogramm zur nachfrageorientierten Bildungsarbeit, in der die Betroffenen selbst festlegen, welche Bildungsangebote sie zur Erfüllung künftiger Aufgaben brauchen. Dabei wird der Trainer zum Prozeßbegleiter und Coach, der den wechseln den Bildungsbedarf optimal und zeitgerecht abdecken kann. Insbesondere Programme zur Entwicklung von Führungskräften lassen sich nur als mittel- bis langfristiger Prozeß der Investition in das Humankapital eines Betriebes begreifen.

Gerade junge Führungskräfte machen betriebliche Möglichkeiten der Weiterbildung zum wichtigen Kriterium für die Wahl ihres künftigen Arbeitgebers. Die Zeiten, in denen vorhandene Budgets möglichst gleichmäßig mit der Gießkanne verteilt wurden, sind endgültig vorbei. Professionalisierung der betrieblichen Bildungsarbeit ist gerade in Klein- und Mittelbetrieben das Gebot der Stunde. Die zielgerichtete Erfassung des Bildungsbedarfs ist dafür der erste Schritt.

*Diplompädagoge Guido Betz ist Berater am Kommunikations-Kolleg in Andernach.