Ergonomische Faktoren entscheiden Ober Erfolge der Lehrprogramme:

Dialog mit dem Rechner muß den User anregen

18.09.1987

Die SW-Entwicklung expandiert in fast allen Anwendungsgebieten enorm. Der Bereich "Teachware" führt allerdings bislang eher ein Schattendasein. Die Ursachen dieser Stagnation machen dieses Gebiet jedoch für Softwerker besonders interessant, denn die Gestaltung guter Teachware stellt höchste Anforderungen an die Ergonomie.

Zielsetzung der Teachware ist die Vermittlung von Lehrinhalten. Während andere Programme Informationen abfragen, abspeichern, verarbeiten und Ergebnisse ausgeben, muß die Teachware Informationen vermitteln und die "Speicherung und Verarbeitung" beim Lernenden anregen.

Häufig beschränkt sich Teachware lediglich auf die Präsentation von Informationen in einer denkbar schlechten Form: ein Lehrbuch auf dem Bildschirm. Dieses ist oft minderer Qualität, ohne Seitennumerierung und Inhaltsverzeichnis. Texte sind jedoch auf einem Bildschirm schlechter zu lesen als auf Papier.

Im Gegensatz zu einer Dialog-gestützten Sachbearbeitung, wo der Sichtkontakt mit dem Display lediglich fünf Prozent der Arbeit ausmacht, ist der Bildschirm für die Teachware zentrales Medium. Dies wird zwar bei modernen Systemen durch den möglichen Einsatz von Dia-, Video- und Tonbandsystemen abgemindert, bleibt aber doch bestimmend.

Textdarstellung muß Lesegowohnheit folgen

Um den Prozeß der Informationsübermittlung optimal zu gestalten, müßte die Textdarstellung eingeübten Lesegewohnheiten folgen, also in einer flimmerfreien Positivdarstellung (Bildwiederholfrequenz ab 70 Herz, im Hoch- oder Großformat). Wichtige Textteile sollten farbig dargestellt werden können, und Farbgrafiken müßten sich einfügen lassen. Kurz: Die optimale Konfiguration wäre ein CAD-System mittlerer Größe. Aber selbst dieses Medium bliebe einem Buch unterlegen.

Ob Teachware vom Benutzer akzeptiert wird, ist nicht zuletzt eine Frage dessen, wie die Kommunikation zwischen Mensch und Software abläuft. So muß beispielsweise dieser Dialog für den User jederzeit angenehm sein. Der Aufbau der Bildschirmseiten sollte nicht nur einheitlich, sondern auch unter gestalterischen Gesichtspunkten durchdacht sein. Wenn schon mit erheblichem Aufwand gute Teachware entwickelt werden soll, dürften die Beratungskosten für einen professionellen Designer eine nachrangige Rolle spielen.

Beratungskosten dürfen keine Rolle spielen

Strukturelemente wie Farbe und ausgefallene Formen (Großbuchstaben, Fettdarstellung, Kursivzeichen) sind sparsam zu - verwenden, denn nur Informationen von zentraler Bedeutung sollten hervorgehoben werden. Für umfangreichere Sachgebiete müssen die Lehrinhalte in Lernziele und Lehreinheiten aufgebrochen werden:

- Zeitliche Dauer

etwa 20 Minuten je Lerneinheit mit Software-gesteuerten Pausen von mindestens fünf Minuten. Dies ist unter anderem notwendig, damit die Inhalte vom Kurzzeit- ins Langzeitgedächtnis transportiert werden können.

-Inhaltliche Teilgebiete der Lehrinhalte

Durch die Kombination von verschiedenen Teilgebieten und deren Abfolge einschließlich Pausen soll sich ein Stundenplan "wie in der Schule" zusammenstellen lassen. Zwar ist zum Beispiel ein Konzept nach Doppelstunden pädagogisch wenig innovativ, dafür aber bewährt.

-Inhaltliche Strukturierung der Lehreinheiten

Am Ende jeder Lehreinheit wird der Inhalt kurz wiederholt, Verständnisfragen sind abzuklären. So lassen sich die Inhalte nochmals mnemo-technisch aktivieren.

- Schwierigkeitsgrade

Hier kann unterschieden werden nach Grundeinheiten, Wiederholungseinheiten für nichtverstandene Grundeinheiten, Vertiefungseinheiten, die einen Zugang zu Expertenwissen ermöglichen - und einem Schnelldurchgang zur Problemorientierung. Diese Stufen lassen sich entweder manuell auswählen oder anhand der erzielten Ergebnisse aus Verständnisfragen automatisch ansteuern.

Der Aufbruch eines Lehrstoffs in Lehreinheiten und -ziele erfordert nicht nur das entsprechende Fachwissen, sondern ebenfalls pädagogisches Know-how und Fingerspitzengefühl. Der Aufbruch des Lehrstoffs nach Lehreinheiten und Lernzielen sowie verschiedenen Schwierigkeitsgraden führt zwangsläufig zu einer großen Anzahl von Bildschirmseiten. Um hier einen Überblick zu schaffen, ist eine Orientierungshilfe unumgänglich. In der Kopfzeile oder im Fußzeilenbereich sollte optional angezeigt werden, welche Lehreinheit behandelt wird, welche Bildschirmseite der Lehreinheit angezeigt wird, wie viele Bildschirmseiten innerhalb der Lehreinheit noch zu absolvieren sind und zu welchem Schwierigkeitsgrad die Seite gehört.

Führung durch Lehrstoff erfolgt automatisch

Ferner sollten Benutzer-bezogene Statusinformationen darüber abrufbar sein, welche Lehreinheit absolviert wurde, wie erfolgreich und in welchen Schwierigkeitsgraden wieviel Prozent des Lehrstoffs insgesamt bereits behandelt wurde. Die Führung durch die Lehreinheiten erfolgt entweder automatisch, das System setzt beim letzten absolvierten Kapitel automatisch auf beziehungsweise übergeht erfolgreich absolvierte Lehreinheiten. Es besteht auch die Möglichkeit, einzelne Punkte gezielt manuell anzusteuern.

Manuelle Ansteuerung mit Such-Strategien

Die manuelle Ansteuerung sollte mit verschiedenen Such-Strategien (Systematisches Register, Suche nach Stichworten, Auffinden von "Zeichenketten") möglich sein, um Informationen gezielt lokalisieren zu können. Dieses sind jedoch eher formale Anforderungen an die Gestaltung. Interessant, ja brisant wird Teachware ab dem Punkt, wo sie zum Prinzip des "Anschauen - Lernen - Ausführen" übergeht, wo also aus der passiven Informationsaufnahme eine aktive Auseinandersetzung wird. Erst hier greifen lern- und arbeitspsychologisch interessante Motivationsmechanismen von DV-Systemen. Im Mittelpunkt stehen dabei folgende Faktoren:

Gute Ergebnisse im Grafikbereich

- In kurzer Zeit zu Erfolgserlebnissen zu kommen;

- gestaltend tätig zu sein;

- relativ perfekte Ergebnisse zu er zeugen, zum Beispiel im Grafikbereich;

- auf Aktionen erfolgen sofort Reaktionen;

- Aktionen können unmittelbar korrigiert werden;

- Fehler haben keine gravierenden Folgen;

- Aktionen werden sozial nicht kontrolliert.

Diese Eigenschaften sollten bei der Gestaltung von Lehrkonzepten konstruktiv genutzt werden. Nach Präsentation von Informationen und den damit verbundenen Lernschritten muß es möglich sein, diese im praktischen Umgang mit dem DV-System anzuwenden.

Hier treffen zwei Effekte zusammen, die sich gegenseitig verstärken: Die wiederholende, aktive Beschäftigung verstärkt den Lernprozeß. Ferner führen die beschriebenen Effekte zu einer stärkeren Motivation. Das Lernen am Erfolg wirkt sich dann sowohl positiv auf die Aufnahme der Lerninhalte als auch zur Fortführung des Lernens aus.