Dezentrale Dokumentation soll Standard-Software verbessern:\"Doku"-Defizit öffnet Service-Nische

22.02.1980

STUTTGART - Mit Blick auf die EDV-Hersteller hat die schwäbische ESE EDV-System-Entwicklung GmbH & Co. KG eine Dokumentationsmethode entwickelt, die auf Stellenbeschreibungen basiert und, so die Stuttgarter, "exakt jene Informationen liefert, die jeder Mitarbeiter vor Ort benötigt". Den Computerfirmen soll die ESE-"Doku"-Lösung als Akquisitionshilfe dienen. Andrea Dietrich berichtet über diese neue Dienstleistung für EDV-Hersteller.

"Es ist verwunderlich, daß trotz aller Innovationen im Bereich der Software und Organisation das EDV-Dokumentationswesen vielfach noch zu wünschen übrig läßt", klagt Günter P. Brussmann, Sprecher des EDV-Benutzerverbandes im bayerischen Pfreimd.

Brussmann, dem maßgeschneiderte Lösungen für die User jenseits von Under-, Over- oder Failselling besonders am Herzen liegen, begründet seinen Seufzer: "Dem Leistungsniveau des heutigen Distributed Processing kann die vielfach immer noch zentralisierte Dokumentation auf Dauer nicht genügen. Sicher könnte man hier dem Anwender mit betriebswirtschaftlich geprägten und arbeitsplatznahen Entwicklungen noch weit gerechter werden."

Solches Manko erkannte vor einigen Monaten auch die in Stuttgart ansässige ESE EDV-System-Entwicklung GmbH & Co. KG. Der Geschäftsführer der schwäbischen Consultingfirma Jürgen Kaiser, der bislang vor allem EDV- und Marketing-Konzepte ausbrütete (so etwa für ICL Dataskil), ortete im "Doku"-Defizit auch prompt eine neue Service-Nische. Er tüftelte eine dezentrale Dokumentationsmethode aus, die konsequent und konkret auf einzelne Arbeitsplätze zugeschnitten sei - mithin ein Konzept, das auf Stellenbeschreibungen basiert. Damit erhalte - lobt Kaiser seine Kreation-jeder von der EDV tangierte Mitarbeiter in Benutzerfirmen aufgrund gezielter Datenselektion all jene Informationen, die er unmittelbar vor Ort benötigt. Im einfachen Zugriff kann also der Sachbearbeiter für Auftragsabwicklung etwa seiner stellenspezifischen Einzeldokumentation alle für ihn relevanten Fakten und Zahlen entnehmen. Joachim Stinnshoff, Vertriebschef der Computertechnik Müller GmbH in Konstanz mit abgewogenem Interesse: "Dieser Ansatz ist sicher nicht uninteressant - vor allem für die Argumentation der Hersteller bei der Akquisition."

Dienstleistung für EDV-Hersteller

Auf eben die Computerbauer hat es Kaiser vor allem abgesehen. Von einigen spontanen Aufträgen abgesehen, steht Kaiser derzeit "mit fast zehn wichtigen Herstellern im Gespräch" - Grund genug für ihn, neue Büroräume anzumieten und

um einige EDV-Experten aufzustocken. Anscheinend sprechen die um attraktive Standard-Software bemühten EDV-Produzenten vor allem auf plausibel klingende Gründe an. Dezentrale Dokumentationen, beziehungsweise Distributed

Dokumentation (so Kaiser)

-ermöglicht es den Vertriebsbeauftragten, adäquate branchen- und stellengerechte Lösungen vorzustellen;

-machen jede Standard-Software gegenüber herkömmlichen Programmen benutzerfreundlicher;

-verringern die Reibungsprobleme bei Erstinstallationen und Systemumstellungen;

-reduzieren die Widerstände der Fachabteilungen in den Kundenfirmen von Hard- und Softwareanbietern;

-erleichtern die Einarbeitung von Mitarbeitern, die keine EDV-Kenntnisse besitzen;

-vermeiden Fehleinschätzungen hinsichtlich der benötigten Hardware der Benutzer;

-ermöglichen eine genauere Terminplanung in der EDV-Anlaufphase bei den Usern;

-gewährleisten noch besseren Datenschutz.

Bei allem missionarischen Eifer für die dezentralisierte Dokumentation räumt Kaiser jedoch ein, daß dadurch die bislang vorwiegend mit technologischer Terminologie gekennzeichnete Zentraldokumentation nicht überflüssig wird, sondern weiterhin ihre Funktion als Produktionsanweisung beibehalten sollte. Kaiser: "Sonst würde man natürlich wieder mal das Kind mit dem Bade ausschütten, was in der EDV ja oft genug passiert ist."

Sicher handelt es sich bei der ESE-"Doku"-Lösung um kein Patentrezept.

Es wird auch weiterhin gelten, bei EDV-Installationen umfassende Einzel- und Gruppengespräche mit allen beteiligten Mitarbeitern zu führen, die aber mit Hilfe von detaillierten Job-Deskriptionen wohl problemloser ablaufen können. Die ESE will hier jedoch noch weiter gehen und auf der Grundlage betriebsorientierter Forderungsmatrixen "realitätsnahe Modellfirmen" entwickeln, an denen der Software-Einsatz mit dezentraler Dokumentation in einem Unternehmen zunächst Punkt für Punkt abgecheckt werden soll.

Jedenfalls leuchtet die Logik ein, daß dem Distributed Processing auch die Distributed Dokumentation folgen sollte. Wie lamentierte doch vor einiger Zeit der Softlab-Geschäftsführer Dr. Kurt Neugebauer "Angebotene Standard-Software ist vielfach nur eine verallgemeinerte Individuallösung." Darauf sind dann unbedarfte EDV-Benutzer in der Startphase einer Installation, wenn´s hinten und vorne klemmt, sicher völlig zurecht sauer. Kaiser hält es daher mit Ernst H. Kelting, Geschäftsführer der MSP Management Software Products GmbH, der dafür plädiert, die Grenzen der Standardisierung dort zu ziehen, wo der Anwender seinen Anforderungskatalog mit den Möglichkeiten der angebotenen Software vergleiche. Kelting wörtlich: "Der Benutzer muß hier die Entscheidung treffen ob er vielleicht ein Standard-Softwarepaket einsetzt, das nur 80 Prozent seiner Anforderungen erfüllt, oder ob er sich für eine Eigenlösung entscheidet, mit der er vielleicht die Anforderungen in den Fachabteilungen abdecken kann."

Freut sich Kaiser: "In diesen 80 Prozent liegt unsere Lücke!" In ihr will er dann auch in diesem Jahr einen Umsatz erzielen, der "nahe an die Millionengrenze heranreicht". Vorsorglich hat er schon die Eintragung von "Kaiser Distributed Dokumentation" ins Warenregister beantragt.

Andrea Dietrich ist freie Journalistin in Horn-Staad.