Web

Deutsche Unternehmen suchen nach einer Web-Strategie

10.03.2000
Firmen begegnen dem Internet teils radikal, teils zurückhaltend

Von CW-Redakteur Wolfgang Miedl

MÜNCHEN (COMPUTERWOCHE) - Eine eigene Website hat heute fast jedes Unternehmen. Selbst mittelständische und kleine Firmen springen zunehmend auf den Internet-Zug auf. Doch mit Bekenntnissen und symbolischen Web-Gesten ist es längst nicht mehr getan. Nur mit schlüssigen und umfassenden Internet-Strategien können Unternehmen alle Vorteile aus dem jungen Medium ziehen.

Das Internet avanciert zu einem unverzichtbaren Bestandteil des Geschäftslebens. Schon aus Imagegründen will sich heutzutage kaum ein Unternehmen mehr die Blöße geben, keine Website zu besitzen. Nachdem es oft mit einer reinen Firmendarstellung und einer Produktübersicht anfängt, versuchen viele Unternehmen im nächsten Schritt, einen zusätzlichen Vertriebskanal aufzubauen. Web-Shops schießen wie Pilze aus dem Boden. Natürlich hat sich herumgesprochen, dass die Umsätze im E-Commerce beständig steigen - das Web hat als Einkaufsmeile einen festen Platz. Die entscheidende Frage ist aber, wer gewinnbringend im Web verkauft und wer draufzahlt. Dasselbe gilt für den Mittelstand. Zwar hat die Fast GmbH, ein Gemeinschaftsunternehmen von Softlab und Bayerischer Landesbank Girozentrale, in einer flächendeckenden Umfrage unter mittelständischen Unternehmen in Bayern ermittelt, dass bereits jedes fünfte kleine und mittlere Unternehmen Umsätze über das Internet generiert. Zumeist haben diese Verkäufe aber einen verschwindend geringen Anteil am Gesamtumsatz der Unternehmen.

Seit einiger Zeit wird deshalb das Augenmerk verstärkt darauf gelenkt, das Internet in bestehende Geschäftsprozesse einzubinden und die Aktivitäten stärker auf die Strukturen des Unternehmens sowie die Eigenheiten der Branche auszurichten. Es geht nicht mehr nur ums Verkaufen über das Web, sondern um die Nutzung der Internet-Technologie für Portale sowie Intra- und Extranet, das alles soll in die Gesamt-IT des Unternehmens eingebunden sein. Der Befestigungstechnik-Spezialist Würth aus Künzelsau hat diese Forderung beherzigt. Im Gegensatz zu anderen Web-Pionieren, die ihren stürmischen Einzug ins Netz teuer bezahlen mussten, ist Würth von Anfang an sehr planvoll an das neue Wagnis herangegangen. So fand man sehr schnell heraus, dass der Verkauf von Schrauben und Muttern übers Web keine nennenswerten Erträge bringt. Viel wichtiger als der momentane Online-Umsatz sei es, Stärken und Schwächen des Internet für das jeweilige Geschäftsfeld genau zu kennen, erklärt Harald Unkelbach, Sprecher der Geschäftsführung und IT-Stratege in Personalunion. Ein Außendienst-orientiertes Unternehmen wie Würth müsse sich vor allem den Serviceaspekt des Web zunutze machen. "Unser Außendienstnetz ist in absehbarer Zeit nicht durch E-Commerce zu ersetzen, denn Außendienst ist Push-Marketing, Internet ist Pull-Marketing." So ist das Internet für das Unternehmen in erster Linie ein hervorragendes Marketing-Instrument. Kunden werden beispielsweise zunehmend Wert darauf legen, auf Zusatzdienste wie etwa Online-Konstruktionsberechnungen zugreifen zu können, so die Erfahrung bei Würth. Unkelbach bringt es so auf den Punkt: "E-Service wird im Mittelpunkt stehen, E-Commerce ist nur ein Abfallprodukt."

Wie ernst das Unternehmen seine Internet-Aktivitäten nimmt, zeigt die Tatsache, dass diese von Anfang an in die Unternehmens-IT integriert waren und auf Geschäftsführungsebene koordiniert wurden. Eine solche Nähe der IT zur Geschäftsführung ist sehr selten anzutreffen, doch gerade diese Konstellation dürfte maßgeblich für die konsistente IT-Strategie bei Würth verantwortlich sein. Laut Unkelbach rechnet man keinesfalls mit Einsparpotenzialen, die Firma werde im Gegenteil in Zukunft in den E-Service noch deutlich mehr investieren.

Von Beginn an wurde der Internet-Auftritt mit allen operationalen Systemen verbunden. Vor allem das weltweite Außendienst-Netz profitiert von dieser konsistenten Infrastruktur. Über das Unternehmensportal haben Mitarbeiter Zugriff auf Handbücher, Nachschlagewerke, Anwendungen, Formulare, Stellenangebote, Weiterbildungsangebote und ein Schwarzes Brett. Mittlerweile wurde die Internet-Abteilung in ein eigenes Unternehmen ausgelagert. Weltweit beschäftigt Würth bei einer Gesamtzahl von 30 000 Mitarbeitern derzeit 30 Angestellte, die sich um Inter-, Intra- und Extranet kümmern. Um den optimalen Nutzen aus der Netzstrategie zu ziehen, experimentiert das Unternehmen ständig mit neuen Projekten. So will man in Zukunft das Kaufverhalten von Web-Kunden verstärkt analysieren, um individueller auf deren Bedürfnisse einzugehen. Das neue Call-Center nimmt dann direkt mit dem Kunden Kontakt auf, um ihn weitergehend zu beraten. Hier zeigt sich ein weiterer Vorteil des Mediums: "Wenn der Kunde sucht, verrät er, nach was er sucht", so Unkelbach.

Von einer so konsequenten Internet-Strategie, wie sie Würth praktiziert, sind die meisten deutschen Unternehmen noch weit entfernt. In vielen Firmen muss auf diesem Gebiet noch Überzeugungsarbeit geleistet werden. Das Hauptproblem dabei: Die Führungsebenen sind sich über die Notwendigkeit umfassender Netzaktivitäten nicht einig. In der Folge werden nur halbherzige Gehversuche im Netz unternommen. Auf diese Weise haben sich in den letzten Jahren oftmals abgekapselte Internet-Inseln gebildet. Manchmal ist es die Marketing-Abteilung, manchmal die DV-Abteilung, die, argwöhnisch vom Management beäugt, erste isolierte Projekte in Gang bringt.

Auch der Backwarenhersteller Bahlsen aus Hannover hat lange gebraucht, bis er sich zu einem Internet-Engagement durchringen konnte. Erst seit etwa einem Jahr ist der Kekshersteller im Web, zuvor stand die Unternehmensführung dem Internet skeptisch gegenüber. Entsprechend vorsichtig wurde die Sache angegangen, es brauchte in den vergangenen Jahren mehrere Anläufe aus verschiedenen Abteilungen, wie der Leiter für interne Kommunikation und Medien, Renatus Schenkel, schildert. Erst der Vorschlag seiner Abteilung, das Web als Instrument der Imagebildung zu nutzen, fand im Vorstand die notwendige Unterstützung. "Der ursprüngliche Gedanke war dabei, erst einmal Erfahrungen mit dem Medium zu sammeln und präsent zu sein."

Kritiker gibt es im Unternehmen nach wie vor, entsprechend kleine Brötchen backt man in Bezug auf strategische Fragen und Angebotserweiterung. So kam erst im Februar ein B2B-Web-Shop (Business-to-Business) dazu. Den betreibt die Bahlsen Fachservice GmbH, die bisher deutschlandweit einen Lieferservice für Büros und Konferenzen unterhält. Auch das Merchandising für Endverbraucher soll in Zukunft ausgeweitet werden. So sind jetzt bereits die drei großen Bahlsen-Marken Leibnitz, Messino und Pickup als Produktauftritte in die Site eingebunden. Diese Marken werden jeweils unter einer eigenen Domain imageorientiert beworben, verantwortlich dafür ist der zuständige Brand-Manager. Zweifellos handelt bei der Bahlsen-Site um eine Art Portal, doch der Ansatz wirkt insgesamt noch recht fragmentiert.

In Zukunft möchte Bahlsen das Engagement auf jeden Fall verstärken. Dass aber in nächster Zeit größere Teile des Geschäfts ins Internet ausgelagert werden, hält Schenkel für unwahrscheinlich. Eine zu wichtige Rolle spielen für die Hannoveraner die bisherigen Vertriebsstrukturen und die guten Beziehungen zum Handel. "Wir wollen uns nicht selbst Konkurrenz machen, indem wir den Endverbraucher weg vom klassischen Regal ins Internet ziehen", umschreibt Schenkel das Dilemma. Vom E-Commerce erwartet man sich daher vor allem, dass man sich neue Märkte und Vertriebskanäle erschließt. Was das genau heißt, weiß auch Schenkel noch nicht zu beantworten, es soll aber irgendwie in Richtung Fachservice GmbH gehen. Wichtig ist für Schenkel, dass das Unternehmen die Möglichkeiten des Mediums ausprobiert, um auf neue Entwicklungen gegebenenfalls schnell reagieren zu können. Sollte sich beispielsweise der Einzelhandel verstärkt im Internet engagieren, sehe man keinen Grund, es nicht auch zu versuchen.

Der Internet-Auftritt ist bei Bahlsen ist völlig von der Unternehmens-DV abgetrennt. Technisch und inhaltlich wird er vom Bereich Unternehmenskommunikation in Abstimmung mit den Fachressorts betreut, das Layout gestalten externe Agenturen. Eine umfassende Inter-, Intra- und Extranet-Strategie ist nicht vorhanden und auch nicht beabsichtigt, die Unternehmenskommunikation wird über das herkömmliche LAN abgewickelt.

Viele große Unternehmen tun sich offenkundig nach wie vor schwer, auf die Herausforderung Internet angemessen zu reagieren. Auch der Mittelstand hat in Sachen Internet in weiten Teilen noch großen Nachholbedarf - Studien haben das in letzter Zeit immer wieder belegt. Andererseits haben es engagierte Mittelständler manchmal leichter - sie können schneller agieren, besitzen überschaubarere Strukturen und sind meist näher am Markt. So finden sich gerade im Bereich kleinerer Unternehmen einige Paradebeispiele für einen radikalen Umstieg auf E-Commerce. Ein spektakuläres Beispiel ist etwa der ehemalige Holzhändler Marcus Niedermeier aus Landshut. Die Goldgräberstimmng im Internet bewog den Unternehmer 1996, die alteingesessene Holzhandlung Knall auf Fall aufzugeben, um sich ganz dem Aufbau eines B2B-Portals für das Holzgewerbe zu widmen. Und die Rechnung ist voll aufgegangen - die "Internationale Holzbörse" legt in ihrem Nischenmarkt ein Wachstum hin, das Erinnerungen an die berühmten Internet-Startups hervorruft. Auf die Frage, ob seine Geschäftsidee aufgegangen ist, lacht Niedermeier: "Wir haben derzeit 1,3 Millionen Zugriffe monatlich, sind weltweiter Marktführer als Holzhandelsplattform und haben keinerlei Konkurrenz." Die Holzbörse verfolgt zwei sich ergänzende Ideen: Als Handelsportal bringt sie Angebot und Nachfrage - vom billigen Sturmholz bis zum edlen Tropenholz - zusammen, gleichzeitig fungiert sie als tagesaktuelles Informations- und Recherchemedium für die gesamte Branche. Etwa 1500 Mitglieder und 3000 Kunden aus dem In- und Ausland sorgen für regen Verkehr auf der siebensprachigen Site.

Um der ungebremsten Nachfrage gerecht zu werden, will Niedermeier seinen Mitarbeiterzahl von derzeit 14 in Kürze verdoppeln. Von der Programmierung über die Gestaltung, Hosting und Kundenbetreuung wird alles im Landshuter Firmensitz abgewickelt. Seine Umsätze generiert Niedermeier durch Mitgliedsbeiträge, durch Hosting von Branchen-Sites und durch eine zunehmende Zahl von Werbeschaltungen. Mit seiner elektronischen Plattform macht er den traditionellen gedruckten Branchenblättern zunehmend Konkurrenz, da die Anzeigenkunden verstärkt ins Internet wechseln. Stolz verweist der Niederbayer auch auf die weltweit erste Holzsuchmaschine "Holzsuche.de", die von eigenen Programmierern entworfen wurde. Für Niedermeier ist ein Ende der Expansion nicht abzusehen, er sieht sich geradezu zum Erfolg verdammt: "Ich würde gerne ein kleineres Unternehmen bleiben, aber das ist in dieser Branche bei der derzeitigen Entwicklung nicht möglich."

Das Beispiel Holzbörse zeigt auch, wie wenig es möglich ist, ein schlüssiges Bild über die Akzeptanz und Verbreitung des E-Commerce zu zeichnen. Vermutlich hatte es Niedermeier auch deshalb so leicht, eine Marktlücke zu finden, weil die Holzbranche insgesamt laut Fast-Umfrage wenig Internet-begeistert ist. Der rege Zulauf andererseits auf Holzboerse.de und der starke Leser- und Anzeigenrückgang bei gedruckten Branchenpublikationen zeigt eine interessante Entwicklung: Wenn das Angebot überzeugend ist, steigt auch im Mittelstand die Akzeptanz des Internet in kürzester Zeit schneller an, als uns manche Analysten glauben machen.

Gerade kleine Unternehmen können mit relativ geringem Aufwand ihr Geschäft anfeuern. Der Münchner Reiseveranstalter Domizile-Reisen beispielsweise verdankt seinem Internet-Auftritt seit einigen Jahren ein überdurchschnittliches Wachstum. Domizile-Reisen hat sich auf einen Nischenmarkt mit exklusiven Ferienwohnungen und Häusern spezialisiert. Seine Erfahrung zeige, so Geschäftsführer Arthur Mattejat, dass das Web in diesem Markt ein ideales verkaufsförderndes und -unterstützendes Medium sei. In der Reisebranche offenbart der elektronische Handel übrigens seine Janusköpfigkeit. Während Spezialanbieter profitieren, hat das Internet laut Mattejat sowohl den Konzentrationsprozess bei den großen Veranstaltern als auch das Reisebürosterben in den letzten Jahren stark beschleunigt. Vor allem im Billigsegment buchen Kunden zunehmend via Internet.

Sein Unternehmen hat von diesem Boom aber nur profitiert. Bereits zwanzig Prozent der Kunden finden mittlerweile übers Internet den Weg zum Reiseveranstalter. Umsatz und Erträge steigen derzeit jährlich um 20 bis 30 Prozent. Die reine Buchung über das Web ist allerdings bei Domizile die Ausnahme, in der Regel legen die Kunden Wert auf zusätzliche persönliche Beratung. Mattejat glaubt, dass das Internet vor allem Unternehmen begünstigt, die in Nischenmärkten agieren.

Für den Mittelstand gilt daher noch mehr als für große Unternehmen, dass man nicht einfach planlos einen Web-Shop eröffnen, sondern wohlüberlegt und gut beraten eine für die jeweilige Branche angemessene Internet-Strategie verfolgen sollte.