Umfassende Analyse über Vorstände von AGs

Deutsche Manager sind mobiler als ihre amerikanischen Kollegen

24.08.1990

MÜNCHEN (CW) - Studien sind immer gut für Überraschungen. So stellt die jüngste Untersuchung von Heidrick & Struggles über Deutschlands Manager fest, daß diese mobiler sind als ihre amerikanischen Kollegen. Und im Gegensatz zum US-Manager, bei dem die Öffentlichkeitsarbeit höchste Priorität genießt, spielt für das deutsche Vorstandsmitglied die strategische Planung die wichtigste Rolle - zumindest auf dem Papier.

Die Analyse zur Struktur von Vorständen deutscher Aktiengesellschaften basiert nach Angaben der amerikanischen Personalberater auf 255 schriftlichen Interviews, die durch eine Reihe von Gesprächen ergänzt wurden. Gemessen an den 954 nach ihrer Mitarbeiterzahl größten Aktiengesellschaften der Bundesrepublik, die die Unternehmensberatung anschrieb, ergebe sich ein Repräsentationsgrad von 27 Prozent. Die Analyse führte Professor Emil Brauchlin und Roberto Paganoni von der Hochschule St. Gallen, Forschungsstelle für internationales Management, durch.

Überraschend sind manche Ergebnisse, insbesondere in der Gegenüberstellung zur Situation in den USA, wo Heidrick & Struggles nach eigenen Angaben eine vergleichbare Studie durchgeführt haben. So stellten die Berater fest, daß die bundesdeutschen Vorstandsvorsitzenden mit durchschnittlich 54 Jahren nicht nur jünger sind als der "typische" Chief Executive Officer (CEO) in amerikanischen Unternehmen, sondern auch eine höhere Mobilität aufweisen: 38 Prozent aller in der vorliegenden Untersuchung erfaßten Vorstandsmitglieder wurden von außerhalb des Unternehmens in die Top-Etage berufen; die Studie ergab in den USA nur eine Quote von 17 Prozent.

In dieses Bild der unterschiedlichen Mobilität passe auch, daß deutsche Vorstandsvorsitzende im Schnitt ihrem Unternehmen gut 16 Jahre angehörten, während ihre US-Kollegen auf eine Verweildauer von 24 Jahren kämen.

Tagesgeschäft belastet das Zeitbudget

Unterschiedlich sieht man diesseits und jenseits des Atlantiks laut Untersuchung die Aufgabenschwerpunkte: Während der typische CEO der Öffentlichkeitsarbeit höchste Priorität einräumt, hat für die Mehrzahl der deutschen Vorstände, nämlich für 57 Prozent, die strategische Planung den obersten Stellenwert - jedenfalls in der Theorie.

In der Praxis, wenn es also um die Aufgabenschwerpunkte geht, beanspruche die operative Leitung, also das Tagesgeschäft, mit beinahe einem Drittel des Arbeitstages den allergrößten Teil des Zeitbudgets. Rechne man noch Koordinationsaufgaben hinzu, so entfallen auf die dispositiven Funktionen mehr als die Hälfte des Arbeitstages. Die strategische Planung dagegen nehme mit einer Quote von 8,6 Prozent erst die dritte Stelle im Zeitbudget ein.

Zu den bemerkenswerten Ergebnissen der Studie gehört aus Sicht der Berater der unterschiedliche Gestaltungsspielraum, den Vorstandsmitglieder je nach Entscheidungsgebiet sehen. So fühle man sich am freiesten bei der Besetzung von Führungspositionen, während bei Standort-, Investitions-, aber auch Finanzierungsentscheidungen Dritten doch ein beträchtlicher Einfluß zugemessen werde.

Generell veranschlagten die Vorstände dabei das Einflußpotential der zweiten Führungsebene mit Abstand am höchsten, während man sich von Aufsichtsrat, Gewerkschaften oder etwa Banken und Regierungsinstanzen nicht allzu stark eingeengt fühle.

In 83 Prozent der untersuchten Aktiengesellschaften sind gemäß Untersuchung Stabsabteilungen vorhanden. Am häufigsten eingerichtet sei die Stabsstelle Unternehmensplanung, und zwar bei 48 Prozent der AGs. Bereits an zweiter Stelle wird die Stabsabteilung EDV/Informatik genannt (35 Prozent) vor den Abteilungen F & E sowie Technik und Revision (jeweils 25 Prozent) Recht/Patente/Lizenzen (23 Prozent) und Öffentlichkeitsarbeit (19 Prozent).

Mehr Kaufleute als Techniker Im Vorstand

Drei von vier Vorstandsmitgliedern verfügen laut Analyse über eine akademische Ausbildung: 32,9 haben promoviert und 37,3 Prozent besitzen einen akademischen Abschluß. Mit einer Lehre kämen 8,2 Prozent der Topmanager aus, 1,1 nur mit Abitur, Abitur und Lehre hätten 7,9 Prozent. Im Vergleich dazu verfügten 90 Prozent des Top-Managements in den USA über einen College-Abschluß und 40 Prozent besäßen einen weiterführenden Grad wie den Master-Degree.

Im Vergleich zur Bundesrepublik gibt es nur sehr wenige Promovierte in den amerikanischen Führungsgremien, was Heidrick & Struggles darauf zurückführen, daß der amerikanische "PhD" vergleichsweise höherwertig ist und im Zuge einer akademischen Karriere angestrebt wird. Es könne aber keine Rede davon sein, so die Schlußfolgerung, daß ein erheblicher Teil des amerikanischen Managements den Sprung in die Führungsspitze ohne akademischen Abschluß schafft, wie es den gängigen Klischees entsprechen würde.

Bezüglich der Fachrichtung zeige sich, daß unter den Vorstandsmitgliedern mit einem akademischen oder Fachhochschulabschluß diejenigen mit einem wirtschaftswissenschaftlichen Abschluß dominierten (40,3 Prozent), gefolgt bereits von den Ingenieuren (25,4 Prozent). Der Anteil an Technikern im Gesamtvorstand wird als ein Indikator für den Grad der Technikorientierung im Vorstand angesehen.