Des Lebens Handwerk zu erlernen...Zur Ethik der Personalentwicklung

18.12.1987

Pater Dr. Albert Ziegler Katholisches Akademikerhaus Zürich

Technik soll das Leben des Menschen erleichtern und womöglich verschönern. Allein, nicht selten geschieht das Umgekehrte: Sie erschwert des Menschen Leben. Dies vor allem dann, wenn der Mensch erst noch lernen muß, mit neuen Arbeitsinstrumenten umzugehen. Davon können viele Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der mittleren und älteren Jahre ein Lied singen. Mit erheblichen Anstrengungen und manche erst nach geraumer Zeit - haben sie sich an die elektronische Datenverarbeitung gewöhnt.

Dazu kommt, daß sich durch die elektronische Datenverarbeitung organisatorisch vieles geändert hat. Auch hier mußte man sich - nicht ohne Mühe und mit viel Geduld - anpassen. Diese Anpassungsschwierigkeiten sind so allgemein, daß die Betriebswirtschaftslehre schon seit geraumer Zeit an Abhilfe denken mußte. Mit der Zeit hat sie eine neue Sparte ausgebildet. Sie nennt sich Personalentwicklung.

Wer von Personalentwicklung reden hört, denkt freilich, es habe sie schon immer gegeben. Jedes fortschrittliche Unternehmen lasse es sich nicht nehmen, das Personal fortlaufend zu schulen und derart fort- und weiterzubilden. Das ist richtig. Personalentwicklung in diesem herkömmlichen Sinne ist nichts Neues. Allein, der heutigen Personalentwicklung geht es um mehr als bloß um diese Fort- und Weiterbildung der Mitarbeiter. Ihr Anliegen läßt sich etwa so umschreiben: "Personalentwicklungsmaßnahmen zielen in umfassender Weise auf die Entwicklung und Verbesserung der Mitarbeiterqualitäten ab. Dies geschieht vor dem Hintergrund, daß

- der schnelle technologische Wandel veränderte, teilweise sogar grundlegend neue Anforderungen an den Arbeitsplätzen mit sich bringt;

- die Erwartungen der Mitarbeiter sich im Zuge eines globalen gesellschaftlichen Wertewandels ebenfalls verändert haben; und schließlich

- der arbeitsrechtliche Schutzgedanke in jüngerer Zeit stark an Bedeutung gewonnen hat."

Diese Umschreibung zeigt: Es geht nicht bloß um bestimmte Schulungs- und Bildungsveranstaltungen. So unentbehrlich sie sind, so wenig können sie genügen. Die neue Personalentwicklung zielt nämlich auf eine gewandelte Einstellung der Mitarbeiter gegenüber dem technischen und organisatorischen Wandel im Unternehmen ab, wobei das

Unternehmen selber in einer Gesellschaft lebt, die noch einmal in schneller Veränderung begriffen ist. Nun dürfte es aber klar sein: Eine derartige Einstellungsänderung läßt sich nicht von einem Tag auf den anderen und durch ein paar Schulungstage erreichen. Um es modisch zu sagen: Unternehmensphilosophie samt der Unternehmenskultur muß vermehrt auf Veränderung eingestellt werden. Kein Wunder, daß eine so weitgefaßte Personalentwicklung umstritten ist - nicht zuletzt in ihrer Zielsetzung.

Die einen sagen: Sind wir ehrlich und machen wir uns und den anderen nichts vor. Diese nüchterne Betrachtung macht uns klar: Zum ersten ist das Personal längst zum teuersten Produktionsfaktor geworden. Deswegen müssen wir, zweitens, für das Personal besonders Sorge tragen. Dies geschieht - zum dritten - dadurch, daß wir es bestmöglich an den neuen Arbeitsinstrumenten einsetzen, nicht weniger optimal in die neueren Organisationsstrukturen einfügen und dadurch zusätzliche Kosten durch Fluktuation der Mitarbeiter vermeiden. Alles in allem: sie zufriedenzustellen, daß sie bei der Stange bleiben, ohne wegzulaufen oder sich krankschreiben zu lassen.

So gesehen, ist Personalentwicklung eine vorab technische Angelegenheit. Man bemüht sich um neue Arbeitstechniken. Man wendet, um eine veränderungsfreundliche Einstellung zu erreichen, die entsprechenden Techniken an - die Betriebspsychologie hat sie ja längst bereitgestellt. Ausschlaggebend bei diesem Verständnis der Personalentwicklung bleibt, daß die Nutzenoptimierung des Unternehmens die entscheidende Rolle spielt. Sie ist eine sogenannte funktionale Notwendigkeit angesichts zunehmender schwieriger Kapitalverwertung. Eine solche Personalentwicklung braucht nicht schlecht zu sein. Die Frage ist nur, ob sie genügt.

Andere sagen: Personalentwicklung hat - gleichrangig zwei Ziele. Das eine ist das Unternehmensinteresse an qualifizierten Mitarbeitern. Das andere ist, die Mitarbeiterziele zu berücksichtigen und zwar nicht unmittelbar um des Unternehmens, sondern eben um der Mitarbeiter selber willen.

Die Begründung für diese doppelte Zielsetzung liegt in der Einsicht: Wir wollen in unserem Unternehmen alles daransetzen, daß wir nicht nur Personal besitzen, sondern daß sich uns Persönlichkeiten zur Verfügung stellen, die bereit sind, über ihre handwerkliche Tüchtigkeit hinaus mit dem Einsatz ihrer Persönlichkeit das Unternehmen mitzutragen und seine Ziele mitzuverfolgen. In diesem Sinne heißt es wohl zu Recht: Personalentwicklung kann nur dann funktional wirken, wenn sie nicht vorwiegend als instrumentelles Führungsmittel gedacht wird, sondern erkannt und anerkannt wird, daß sie zugleich ein Instrument der "Sich-Entwickelnden" im Hinblick auf eine stärker selbstbestimmte Aneignung ihrer Arbeits- und Lebenswelt ist.

Personalentwicklung erweist sich also nicht nur als eine technische Angelegenheit, sondern auch als eine menschliche Notwendigkeit. Denn wer wollte bestreiten, daß es heute überaus schwer ist, in einer Welt geradezu unheimlicher Veränderungen ein frohgemuter und arbeitswilliger Mensch zu sein, zu werden und zu bleiben.

Wie sagt doch Werner Bergengruen in seiner "Lombardischen Elegie":

Des Lebens Handwerk

mühsam zu erlernen, sind wir geboren.

Ach, wir lernten's spät.

Da wir's gelernt - wie

wenig lernten wir's! -

ist schon der Aufbruch nahe.

Nicht nur die Technik ist ein Handwerk. Unser ganzes Leben ist es; auch und gerade dieses Handwerk will gelernt sein. So sind wir denn geboren, des Lebens Handwerk zu erlernen. Ganz lernen wir es nie, selbst wenn wir ein Leben lang am Lernen bleiben. Kaum hat man das eine erlernt, muß man zum nächsten übergehen; und kaum glaubt man, im Leben und mit dem leben einigermaßen fertigzuwerden, ist schon der Aufbruch nahe und gilt es, Abschied zu nehmen.

In dieser Sicht könnte es der Prüfstein einer wahrhaft menschlichen Personalentwicklung sein, ob und wie sie versucht, auch den älter werdenden Mitarbeitern eine Entwicklung über die berufliche Tätigkeit hinaus zu ermöglichen. Eine solche Personalentwicklung hat aus Rentabilitätsgründen wenig Sinn. Aber sie könnte die Echtheit einer Unternehmenskultur unter Beweis stellen. Denn wer Kultur hat, sollte immer auch an Pflege denken - Pflege des Menschlichen und menschlichen Handwerks.