Design ist, wenn's ein Renner wird:

Des Herstellers Freude an seinem Produkt: "Gute Industrieform" kürt Sieger 1985

03.05.1985

HANNOVER (ad) - Aus deutschen Landen kommt dieses Jahr das Produkt, das von der "Guten Industrieform" (if) preisgekrönt wurde - wenn auch nicht aus dem westlichen Teil. Das Robotron-Produkt "Erika", eine elektronische Schreibmaschine, wurde von der fachkundigen Jury mit einer Auszeichnung versehen, die dem Volkseigenen Außenhandelsbetrieb sicherlich zu weiterem Ansporn verhelfen wird.

So mutet es eigentlich erstaunlich an, was neuerdings an leistungsfähiger Elektronik die Fertigungsstätten unserer Nachbarn im Osten verläßt. Zumal deshalb, weil solche Preisverleihungen bisher nur den etablierten Unternehmen zuteil wurden; sei es im vergangenen Jahr die Triumph-Adler AG mit einer elektronischen - Display-Typenrad-Schreibmaschine oder die "ET 115", einer elektronischen Büromaschine der deutschen Olivetti. Während es sich beim erstgenannten Hersteller noch um die sachlich-nüchterne Design-Ausarbeitung bundesdeutscher Kreativ-Küchen handelt, ließ man bei Olivetti selbstverständlich dem Sachverstand eines Italieners freien Lauf. Erfahrungsgemäß verkauft sich eine aus gereifte Formgebung von der Apeninnen-Halbinsel immer gut - was nicht nur für die Computer-Industrie Gültigkeit besitzt. Daß aber neuerdings auch Erzeugnisse aus Volkseigenen Betrieben die Ansprüche für eine Preisauszeichnung erfüllen, dürfte für viele ein völlig neuer Aspekt sein.

In qualitativer Hinsicht soll die neue elektronische Schreibmaschine aus der DDR durchaus imstande sein, mit dem internationalen Standard mitzuhalten, hieß es von seiten der Robotron-Vertriebsmannschaft.

Doch dies allein sind nicht die Kriterien, die eine Preisverleihung nach if-Maßgabe möglich machen. Immerhin sahen sich in diesem Jahr sieben Juroren aus der Bundesrepublik, Frankreich und Polen mit der Schwierigkeit konfrontiert, 891 Produkte des In- und Auslands nach dem if-Standard zu bewerten. So wurden denn 453 Erzeugnisse aus insgesamt 15 Nationen mit dem begehrten Siegel versehen - worunter eben auch die "Erika"-Electronic-Portable-Schreibmaschine zu finden ist.

Bei erster Betrachtung möchte man annehmen, es handle sich bei der "Erika" um eine recht gelungene Mischung aus einem Olivetti- und einem Brother-Modell. Ein unauffälliges, doch funktionelles Design. Ein bißchen mehr ist "Erika" aber dennoch: Der "kompakte Schreibkomfort für den semiprofessionellen Einsatz bietet die Perfektion von A bis Z". Bittesehr - Originalton Robotron. Man bediente sich zweckmäßigerweise der hinlänglich bekannten Typenradtechnologie, wie sie schon seit Jahren auf dem (west-)deutschen Markt angeboten wird. Und die Auswahl der Bauelemente dürfte auch nicht allzu schwer gefallen sein, gibt es doch in Japan (oder eben in Taiwan) eine immense Auswahl an langjährig erprobten Teilen, deren sinnvolle Aneinanderreihung zum gewünschten Resultat führen. Die Frage drängt sich damit auf, ob die "Erika" tatsächlich ein "GDR-made"-Produkt ist, oder ob man es wieder einmal geschafft hat, mit jederzeit verfügbaren Bauelementen aus dem Fernen Osten eine Elektronik-Schreibmaschine zu realisieren, die es eigentlich - wenn auch unter anderen Namen - schon seit Jahren in unseren Kaufhäusern zu besichtigen gibt.

Aber das alles macht gar nichts, denn if ist in dieser Hinsicht ganz anderer Meinung. Kurztext- und Korrekturspeicher, Fließtext- und Zentrierungsmöglichkeit, Tabulator- und Halbschrittaste sowie Dauerfunktionen und eine Mehrfachbelegtaste namens KB waren bei dieser Schreibmaschine nicht ausschlaggebend dafür, daß sie prämiert wurde. Da dies alles Punkte sind, die heutzutage bei wohl jeder elektronischen Schreibmaschine vorausgesetzt werden dürften, muß es offensichtlich noch weitere Argumente gegeben haben, die letztendlich zu einer positiven Bewertung geführt haben.

Die Kriterien, die für eine positive Bewertung erfüllt werden müssen, lesen sich - zum allgemeinen Verständnis - wie folgt: Das Produkt soll eine hohe Gebrauchstauglichkeit an den Tag legen und auch einwandfrei funktionieren. Ferner wird eine ausreichende Betriebssicherheit vorausgesetzt, und zudem sollte das Gerät auch bei unachtsamem Gebrauch nicht gleich seinen Geist aufgeben. Als Selbstverständlichkeit wird eine lange Lebensdauer erwartet, ebensolches gilt für die ergonomische Anpassung des Produktes an seinen Benutzer. Man richte seinen Blick auf die Exponate und stelle fest: Stimmt haargenau. Natürlich auch bei "Erika". Doch hierzu kommt natürlich noch (alle anderen Hersteller elektronischer Schreibmaschinen mal kurz weghören, bittet) die technische und formale Eigenständigkeit, denn man will ja schließlich Plagiate verhindern und "Kupferkünstler" verschrecken. So sei es.

Die Gute Industrieform war sich bei diesem Modell wirklich sehr sicher - denn laut dem Bewertungsspektrum übt "Erika" eine "sinnlichgeistige" Stimulanz aus. O lálá! Wer also seine Korrespondenz mit diesem Maschinchen bewerkstelligt, darf davon ausgehen daß er "animiert und seine Sinne stimuliert werden", ferner seine "Neugierde zum Spielen geweckt wird" und letztlich zur "Lust an Witz, Ironie oder Verfremdung" verführt wird. Aha! Wem das dann in der täglichen Praxis doch zuviel werden sollte-, dem sei geraten, die Seite 13 des Gute-Industrieform-Katalogs 1985 aufzuschlagen. Dort steht, unter Punkt 7, daß man bei der Bewertung auch auf "abfallarmes und Recycling-gerechtes" Design geachtet hat. Alles klar? Robotron nimmt nämlich die Gehäuse gern wieder zurück - für die "Erikas" der nächsten Generation. Aber alles, was jetzt zählt, ist Design 85. Für die VEBLler ein Grund zur Freude. Man will ja schließlich auch was verkaufen.