"Der wirtschaftliche Aspekt ist nicht immer die Hauptsache"

27.11.1987

Mit David Chapman, Chairman of the Board und Chief Executive Officer bei Cullinet, sprach CW-Redakteurin Felicitas Kulling

Die Siemens-Kunden sollen auch weiterhin zur Cullinet-Familie gehören. Bei dem US-Hersteller gibt es gegenwärtig keine Pläne, die BS2000-Version des Datenbank-Management-Systems IDMS/R einzustellen. Ein klares Commitment zu dieser Strategie existiert allerdings nicht - die wirtschaftlichen und technischen Einiflußgrößen sind zu komplex. Gravierende Auswirkungen für Cullinet könnte vor allem die Kooperation zwischen Siemens und IBM haben.

- Die Strategie der unabhängigen DBMS-Produzenten, für ihre Produkte DB2-Gateways anzubieten, ist in Fachkreisen umstritten. Nach Ansicht der Kritiker macht sich jeder Anbieter unglaubwürdig, der einerseits die Geschäftspraktiken der IBM angreift, aber andererseits doch im Kielwasser von Big Blue schwimmt. Wie stellen Sie sich dazu?

Ich glaube, dieser Vorwurf ist nicht ganz fair. Die meisten unabhängigen SW-Anbieter setzten auf eine offene Architektur. Das ist schon deshalb in ihrem Interesse, weil sie dadurch produktiver arbeiten können und bessere Systeme auf den Markt bringen. DB2 zeichnet sich ja nicht gerade durch eine offene Architektur aus. Natürlich werden immer mehr Leute Anwendungen für dieses DBMS-Produkt schreiben. Aber zumindest bei unseren Kunden habe ich niemand gesehen, der im Transaktionsbereich auf DB2 setzen würde. Die Konkurrenzsituation zwischen den unabhängigen Software-Anbietern und IBM läßt sich mit dem Automobilgeschäft vergleichen: Nicht das Radio entscheidet über die Qualität eines Wagens, sondern ganz andere Faktoren. Im übertragenen Sinne könnte man also beispielsweise einen Cullinet-Motor nehmen und auch das entsprechende Design, aber das Radio eines anderen Anbieters einbauen.

- Bei IDMS/R handelt es sich um ein System, das fast ausschließlich auf die IBM-Welt zugeschnitten ist. Die Produktversion für BS2000 stellt mit weltweit etwa 2000 Installationen einen vergleichsweise geringen Anteil dar; in der Bundesrepublik gibt es unserer Kenntnis nach zwischen 30 und 40 dieser Installationen. Ist es unter betriebswirtschaftlichen Gesichtspunkten überhaupt möglich, für einen so geringen Kundenkreis alle nötigen Updates und Modifikationen durchzuführen?

In ganz Europa sind gegenwärtig etwa 80 IDMS/R-Versionen für BS2000 installiert. Der wirtschaftliche Aspekt ist für mich in diesem Fall nicht die Hauptsache. Denn wenn wir mit einem Kunden eine Partnerschaft aufbauen wollen, dann kommt es uns zunächst einmal darauf an, daß dieser Anwender erfolgreich ist; und der Kunde seinerseits muß natürlich auch wollen, daß wir erfolgreich sind. Es gibt bestimmte Bereiche, wo man den Kunden Support bieten muß, ohne primär auf die ökonomischen Gesichtspunkte zu schauen. Wir können doch nicht zu einem Unternehmen wie Mercedes-Benz gehen und sagen: "BS2000 macht so viele Anderungen an unserem Produkt erforderlich; ich glaube, wir sind nicht interessiert." Vielmehr haben wir Mercedes gebeten, unser neues System zu evaluieren, und dazu hat sich der Automobilhersteller gerne bereit erklärt. Das ist es, was ich unter einer Partnerschaft verstehe. Hinzu kommt, daß ein Teil der Siemens-Produktlinie von Fujitsu stammt, und das ist auch ein Hersteller, den wir unterstützen.

- Klingt das nicht sehr selbstlos für ein Unternehmen, das letztlich doch in erster Linie einen Gewinn erwirtschaften muß?

Ja, da stimme ich Ihnen zu. Aber wenn der Kunde nicht zufrieden ist, beschwert er sich beim Anbieter und fordert Hilfe. Dann muß das Problem auf alle Fälle gelöst werden. Es gibt eine ganze Reihe von Fällen, wo man auch im Geschäftsleben selbstlos sein muß, und das ist einer davon. Natürlich darf diese Haltung nicht überhand nehmen - das kann sich niemand leisten.

- Viele Siemens-User fürchten, daß sich Cullinet eines Tages aufgrund von Kosten/Nutzen-Überlegungen gezwungen sehen wird, die Siemens

Linie fallenzulassen. Können Sie heute das Commitment abgeben, daß das nicht geschehen wird?

Es ist bei Cullinet niemals davon die Rede gewesen, die Siemens-Linie aufzugeben. Aber die beste Garantie für die Kunden wäre es zweifellos, wenn wir mit Siemens eine Partnerschaft hätten, die offiziell über die Führungsspitze abgesegnet ist. Gespräche zu diesem Thema haben wir bereits geführt. Aber ich könnte nicht behaupten, daß sie erfolgreich gewesen wären. Natürlich bekommen wir alle Informationen, die wir brauchen; aber diese Zusammenarbeit hat keinen offiziellen Charakter.

- Ist das ein Versprechen, daß Sie die Siemens-Produktlinie nicht einstellen werden?

Cullinet plant nicht, den Siemens-Bereich aufzugeben. Aber man kann niemals sagen, was die Zukunft bringt. In der Bundesrepublik hat es genau wie in anderen Ländern viele Anderungen im Architektur- und Produktbereich gegeben.

- Wenn Siemens jetzt mit der IBM kooperiert, so ist doch anzunehmen, daß sich die Münchner früher oder später aus dem Großrechnerbereich

zurückziehen. Vielleicht werden Sie durch eine neue Siemens-Strategie ebenfalls gezwungen sein Ihre Linie zu ändern?

Darum habe ich mich ja so vorsichtig ausgedrückt. Wie gesagt: Genau wie in anderen Ländern hat es auch in der Bundesrepublik große Veränderungen in der DV-Welt gegeben. Also muß ich davon ausgehen, daß das auch in Zukunft so sein wird. Deutschland ist ein Wachstumsmarkt und eines der weltweit wichtigsten Industriezentren; und dieser Markt muß entsprechend seinen Anforderungen bedient werden.

- Eine solche Strategie in die Praxis umzusetzen, ist aber nicht gerade billig für den Anbieter. . .

.. . das kommt darauf an, wieviel es einen wirklich kostet. Außerdem kümmern wir uns nicht um alle Bereiche; so unterstützen wir beispielsweise nicht die Systeme /36 und /38.

- Wie sieht es aus, wenn Ihnen ein finanziell starker Partner eine Kooperation oder gar eine Fusion anbieten würde? Könnten Sie sich vowstellen, auf so einen Vorschlag einzugehen?

Wenn es um eine Kooperation ginge, müßte ich zunächst einnal wissen, wer der Partner wäre. Bisher haben wir nur vier strategische Geschäftsbeziehungen aufgebaut, und zwar mit Digital Equipment, American Express, Fujitsu und Sun; dieses Abkommen steht kurz vor dem Abschluß. Hinzu kommen noch zwei CAD/CAM-Unternehmen. Im Klartext heißt das: Wir versuchen nicht, mit jedermann in der Industrie zusammenzuarbeiten. Meiner Ansicht nach funktioniert das nicht. Am besten für unsere Kunden, Aktionäre und Angestellten ist es, wenn wir auf strikte Unabhängigkeit achten; denn so können wir im IBM- und im DEC-Bereich tätig sein - weltweit arbeiten etwa 60 Prozent unserer Kunden sowohl mit IBM- als auch mit DEC-Maschinen.

- Computer Associates soll aber in dieser Sache mit Cullinet Verbindung

aufgenommen haben. Ist das richtig?

Nein!

- Woher soll für Ihre deutsche Truppe die Motivation kommen, sich um

die Siemens-Kunden zu kummern, wo doch das große Geschäft in der

IBM-Welt läuft?

Es ist mir nie zu Ohren gekommen, daß sich die Anwender über mangelnde Motivation unserer Mitarbeiter beschwert hätten. Und gerade die Deutschen sind ja bekannt dafür, daß sie den Anbieter mit knallharten Fragen konfrontieren, wenn ihnen et was nicht paßt. Ich glaube kaum, daß die deutschen Kunden hier ein Problem mit Cullinet haben

- Auf alle Fälle waren aber viele von ihnen durch die Trennung von der ADV/Orga verunsichert. Sie fürchteten, daß das Engagement für ihre Probleme und für den Support zurückgehen könnte. . .

.. . wir haben 80 Leute eingestellt. Und in Deutschland ist es nicht möglich, am Anfang mit voner Power ins Geschäft einzusteigen und dann die Erwartungen nicht zu erfüllen. Keiner, der sich so verhält, kann in diesem Markt überleben. Denn das wichtigste Kaufkriterium für die Kunden ist und bleibt: "Werde ich erfolgreich sein?