Der Weg der Timesharing-Technik von den Uranfängen bis in deutsche Behörden:\Fremdzugriff auf eigene Daten ausgeschlossen

12.09.1980

Wie in der Industrie, so muß auch im Bereich der öffentlichen Verwaltung eine geplante Verfahrensänderung einer Kosten-/Nutzenanalyse standhalten. Der Nutzen ist hier allerdings nicht einfach durch die Ermittlung (irgend)einer Renditeziffer zu bestimmen, sondern wird durch andere, häufig nur schwer bewertbare Kriterien (Beispiel: "Bürgernähe") beeinflußt. Bei Entscheidungsverfahren dieser Art konnte die Timesharing-Technik in vielen Fällen als die ganz offenbar wirtschaftlichere unter den denkbaren Alternativen bestehen.

Um verständlich zu machen, auf welche Weise die Technik des Timesharing in Ämter und Behörden Einzug hielt, bedarf es eines kurzen Rückblicks. Im weiteren beschreibt der Artikel den alternativen Einsatz zentraler EDV und der dialogorientierten Verarbeitung, wobei Beratung und Unterstützung wichtige Elemente dieses Einsatzes sind.

Historie

In den vierziger Jahren begannen bei der Bell Telephone Company in USA erste Versuche, Rechenanlagen im Zeit-Multiplex-Verfahren zu betreiben. Hier ging es noch hauptsächlich darum, durch zeitlichen Wechsel mehrerer Programme zur besseren Auslastung verschieden schneller Anlagenteile der Rechenanlage beizutragen. Nachdem geeignete Betriebssysteme zur Verfügung standen, entwickelten sich um 1950 ebenfalls in den USA militärische Kommando- und Kontrollsysteme für Vielfachzugriff, die im Echtzeitbetrieb, "im Dialog" arbeiteten.

Ende der fünfziger und Anfang der sechziger Jahre formte sich der Begriff Timesharing zum heutigen Begriffsbild. Es ging nun nicht mehr nur darum, Anlagenteile gut auszulasten, sondern vielen Benutzern Zugang zu den Möglichkeiten einer teuren Rechenanlage gewähren zu können. Das erste kommerzielle Timesharing-System wurde 1965 von der General Electric Company unter dem Namen "MARK I Service" auf dem amerikanischen Markt eingeführt. (Die moderne Version dieser Dienstleistung steht heute weltweit unter dem Namen "MARK III Service" zur Verfügung.)

Seit dieser Zeit ist ein zweiter Begriff der EDV, die Datenfernverarbeitung, mit der Timesharing-Technik nahezu siamesisch verknüpft: Wer Timesharing sagt, meint auch Datenfernverarbeitung; der Umkehrschluß ist mit geringen Einschränkungen, zumindest im industriellen Bereich, erlaubt. Kommerziell betrachtet, bedeutete Timesharing ursprünglich zumeist das Angebot von Maschinenzeit, nicht von Software. Oder überspitzt formuliert: Die Software-Frage war noch keine Frage.

Der Zentralisierungsgedanke

Gegenläufig zu der Idee des Timesharings führte der Zentralisierungsgedanke zu immer größeren Rechenzentren mit entsprechend großer Infrastruktur, zu einer starken Verdichtung aller EDV-orientierten Aufgaben in einem zentralen EDV-Bereich. Die EDV bot sich mit dem Anspruch an, Rationalisierungsvorhaben bestehender Verfahrensabläufe zum Erfolg zu führen und neue Bereiche der Leistungsverbesserung zu erschließen. Auch im Sinne der gewünschten Rationalität forderte man eine maximale Auslastung der Datenverarbeitungsanlage.

Die Timesharing-Technik steckte mehr oder weniger noch in den Kinderschuhen. Die Übertragungsgeschwindigkeiten waren unbefriedigend, die Unterstützung in Problemsituationen kaum besser, die Sicherheit vor Systemfehlern gering. In dieser Zeit entstanden Plansysteme, die allein bei Nennung des Namens "Management Informations-System" (MIS) bei alten EDV-Hasen und betroffenen Anwendern heute noch zu Unwohlsein führen.

Man hatte zentral geführte Datenmengen über nahezu alle meßbaren Vorgänge, hatte Programmiersprachen-Programme und glaubte, damit das integrierte Gesamtsystem schaffen zu können. Zum MIS-Kater kam es dann aber, weil man die mit der starken Zentralisierung der Verarbeitungsaufgaben einhergehenden Forderungen an die organisatorische Anpassung und die überproportional steigende Komplexität des Systems unterschätzt hatte.

Umdenkprozeß

Rationalisierung in der Organisationseinheit, Selbstverständnis der EDV als Organisationsmittel und in der dritten Phase Aufbau und Verarbeitung der Datenmengen sind notwendige Einzelschritte. Im bemerkenswerten "Großen Hessenplan" von 1970 wird formuliert: "Für jede dieser Phasen und Entwicklungsperioden sind je nach Umfang des Aufgabenbereichs jeweils mehrere Jahre einzusetzen." Doch an gleicher Stelle steht auch schon, zwar noch unter dem Primat der optimalen Auslastung des Zentralrechners: "Ohne Übertreibung läßt sich feststellen, daß Datenfernverarbeitung den gesamten Verarbeitungsprozeß auf eine qualitativ höhere Stufe heben kann, denn die Datenfernverarbeitung ermöglicht einerseits die Erfassung..., andererseits die Übertragung ... und schließlich eine zeitnahe Rückübermittlung der Ergebnisse."

Auch einem Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes als Bundesbeauftragter für Wirtschaftlichkeit in der Verwaltung aus dem Jahre 1975 ist diese Tendenz zu entnehmen: "EDV-Anwendungen in Form von Insellösungen sollten nicht mehr ins Leben gerufen werden, denn sie schöpfen, von Einzelfällen abgesehen, die organisatorischen und technischen Möglichkeiten der Datenverarbeitung nicht aus." Statt dessen schlägt man den Aufbau eines Rechnerverbundes vor.

Weitere entsprechende Beispiele ließen sich anführen: Eines jedenfalls bleibt: Leider nur zu häufig führt die Ausnutzung der letzten zehn Prozent freier Kapazität zu Folgekosten, die höher liegen als ein "Einkauf" der entsprechenden Leistung am freien Markt. So kann sich das positive Prinzip der Wirtschaftlichkeit durchaus ungewollt ins Gegenteil verkehren.

Im Jahre 1978, acht Jahre nach Planungsbeginn, formulierte die hessische Landesregierung: "Die zukünftigen Entwicklungen in der Datenverarbeitung gehen dahin, daß die Computerleistung für den Sachbearbeiter am Arbeitsplatz verfügbar und leichter handhabbar gemacht wird und damit örtlich und zeitlich besser in die Aufgabenerfüllung integriert werden kann." Hier sind erste Ansätze zu erkennen, die Kapazitäten der EDV an den Arbeitsplatz zu bringen.

Timesharing heute

Parallel zur Zentralisierung, zum Anstreben einer maximalen Auslastung, entwickelten sich Timesharing-Systeme zu ebenbürtigen Partnern der klassischen EDV. Es ist fast widersinnig, von "Partnern" zu sprechen, da sie ja eben der klassischen EDV bedürfen, um überhaupt existieren zu können. Aus der Sicht des Anwenders gesehen, existiert jedoch nur "sein Dialog-Betrieb" und keine zentrale EDV. Der Großrechner verkörpert sich mit all seinen Fähigkeiten in dem vom Anwender benutzten Datenendgerät.

Die im Großen Hessenplan und im oben erwähnten Gutachten aufgeworfenen Fragen des Datenschutzes sind (in Verbindung mit der Weiterentwicklung der zentralen Betriebssysteme) inzwischen so weit entwickelt, daß Fremdzugriffe auf eigene Daten ausgeschlossen sind. Das abgebildete Sicherheitslabyrinth des MARK III-Systems beschreibt den Weg von der Anschaltung an das System bis zum Finden eines Datums in einer Datei.

Bei Beachtung dieser Techniken ist in Verbindung mit den physischen Sicherheitsmaßnahmen in den Zentren ein unberechtigter Fremdzugriff auf eigene Daten nicht mehr möglich. Auch auf dem Gebiet der Datensicherheit wurden enorme Fortschritte erzielt:

- Es werden heute selbst äußerst kritische Datenverarbeitungsaufgaben, beispielsweise im Fertigungsbereich eines Industrieunternehmens, über Timesharing abgewickelt.

- Die Steuerung von Werkzeugmaschinen, bei der ein einziges falsch übertragenes Datum zur Zerstörung der teuren Anlage führen kann, wird über Timesharing abgewickelt.

Die Datensicherheit bei der Übertragung wird ergänzt durch eine entsprechende Sicherheit vor Verlust oder Verfälschung der gespeicherten Daten in der Rechenanlage. Maßgeblich dafür ist die Software des Timesharing-Systems und die korrespondierende Anwendungssoftware.

Schlüssel zum Erfolg - die Software

Die Frage "Lohnt sich der Timesharing-Einsatz?" kann letztlich nur so beantwortet werden: Die Hinwendung zu dialogorientierten Verfahrensabläufen muß zu enttäuschten Erwartungen führen, wenn die verwendete Software, die mittels Timesharing dem Fachbereich zur Verfügung gestellt wird, und die Betreuung des Anwenders nicht den hohen Qualitätsanforderungen entspricht.

Die vom Kooperationsausschuß "ADV Bund/Länder/kommunaler Bereich" erarbeiteten Prinzipien zum bürgergerechten Einsatz der automatisierten Datenverarbeitung in der öffentlichen Verwaltung erfassen als Bindeglied zwischen Auskunftsersuchen und Mitteilung an den Bürger das Element der zeitnahen Reaktion. Im 1979 erstellten Gutachten der kommunalen Gemeinschaftsstelle für Verwaltungsvereinfachung (KGST) zur Weiterentwicklung der gemeinsamen kommunalen Datenverarbeitung wird formuliert: "Die öffentliche Verwaltung muß heute ihr Handeln nachdrücklich an der Qualität der Bürgernähe messen lassen.

Künftig wird auch bei Fragen zur Organisation und Wirtschaftlichkeit der Datenverarbeitung in vermehrtem Umfang der Sicht des Bürgers Rechnung zu tragen sein. Insbesondere bei zentraler Datenverarbeitung im Stapel ergeben sich Probleme. Die Auskunfts- und Beratungsfähigkeit des Sachbearbeiters kann hierbei in nicht vertretbarem Maße eingeschränkt sein."

Zeitlich abgestimmter Dialog, angemessene Termine, angemessene Reaktionszeiten und gegebenenfalls Zwischenbescheide sind durch den Einsatz von Timesharing-Technik und qualifizierter Software erfüllbare Forderungen geworden. (Aus der Sicht der Organisationseinheit werden Betriebsmittelverbund, Softwareverbund und Datenverbund gleichzeitig verwirklicht.)

Berücksichtigt man, daß von 75 analysierten kommunalen Datenverarbeitungszentralen nur 16 mehr als 20, sieben mehr als 40 Prozent ihrer Arbeiten über Datenfernverarbeitung abwickeln und ferner, daß Dialogverarbeitung nur eine Untermenge der Datenfernverarbeitung ist, erkennt man, wie groß der potentielle Einsatzbereich des Timesharing ist.

Je nach Einbindung und Aufgabenkreis der Organisationseinheit lassen sich unterschiedliche Ausprägungen der Timesharing-Technik realisieren. Im Konzept des MARK III Systems sind standardmäßig die Verfahren des Teilnehmerbetriebs, bei dem der Anwender auf den gesamten Befehlvorrat des Systems zugreifen darf, des Teilnehmerbetriebs, bei dem der Anwender nur bestimmte Programme verwenden darf, und des Teilnehmerbetriebs mit begrenzter Befehlsmenge, bei der der Anwender frei innerhalb eines kleinen Bereichs handeln darf, möglich.

Das Bestreben, Standards in vergleichbaren Funktionsbereichen zu erzielen, ist insbesondere durch diese Realisierung eines Softwareverbundes möglich. Wenn dieser Verbund durch eine entsprechend umfassende und vergleichbar reaktionsschnelle Beratung und Unterstützung ergänzt wird, können alle Bedürfnisse des Anwenders (Bürgers) befriedigt werden.

Fehlerquote nahe Null

Datenverarbeitungsprojekte haben heutzutage Softwarekostenanteile von 70 Prozent. Nichts liegt also näher, als vielen Anwendern den Zugriff auf diese Software zu ermöglichen, um maximalen Nutzen zu erzielen. In diesem Zusammenhang seien zwei Zahlen genannt, die als Indikatoren für den Umfang der Nutzung solcher zentral entwickelten und über Timesharing zur Verfügung gestellten Software verwendet werden können.

Über das MARK III System werden Anwendungsgeneratoren allein in Deutschland zwischen 10000 und 20000mal pro Monat (!) aufgerufen. Die Werte liegen auf Weltebene bei über 100 000 Aufrufen pro Monat.

Diese Aussage ist auch sehr eng mit dem oben besprochenen Kreis der Datensicherheit verzahnt. Bei der hohen Häufigkeit der Nutzung reduziert sich die Wahrscheinlichkeit versteckter Software-Fehler auf verschwindend geringe Anteile. Die Erstellung neuer und die Pflege bestehender Anwendungen werden zu geringstmöglichen Kosten durchführbar.

Alle Anwender nehmen so das Know-how des Anbieters ohne Eigeninvestitionen in Anspruch. Hier ist erneut zu erkennen, daß die bloße Auslastung einer EDV-Anlage, die bisher als maßgebliches Kriterium für die Wirtschaftlichkeit verwendet wurde in den Hintergrund tritt. Kosten-/Nutzen-Analysen werden zunehmend Entscheidungen zum Einsatz der EDV beeinflussen.

Timesharing und dezentrale Datenverarbeitung

Dezentrale Datenverarbeitung mit Anwendung moderner Paketvermittlungstechnik und in Verbindung mit der beschriebenen Timesharing-Technik eröffnet völlig neue Anwendungsbereiche. Bei diesem EDV-technischen Mischkonzept verzichtet man auf den Anspruch zentraler Datenspeicherung für alle Aufgabengebiete. Technisch autonome Geräte ergänzen, insbesondere bei zeitkritischen Arbeitsabläufen, zentrale Verarbeitung.

Zentral geführte, umfangreiche und viele Anwender betreffende Datenmengen werden nach vorherigen, auf lokaler Ebene vorbereiteten Verarbeitungsschritten gezielt abgefragt und die Ergebnisdaten zur lokalen Weiterverarbeitung in den Minicomputer übertragen. Zentral geführte Programme erzeugen Programme, die wiederum auf den lokal verfügbaren Rechnern zu autonomer Datenverarbeitung befähigen.

Man bedient sich also des Großrechners, um mit dessen Kapazitäten mit hohem Komfort und entsprechender Schnelligkeit lokale Anwendungen zu ermöglichen, die sonst nur mit erheblich höherem Aufwand realisierbar wären. Die im menschlichen Bereich durchgeführte Arbeitsteilung zwischen dem Fachwissen eines Anwenders und dem des EDV-Spezialisten wird hier um eine computertechnische Variante bereichert.

Ein hoher Prozentsatz vieler Anwendungen wäre ausschließlich lokal lösbar, wenn nicht häufig Restriktionen wie Datenmenge, Software-Umfang oder die Komplexität der Auswertung entgegenstünden. Heute ist es möglich, die gesamte vorbereitende Arbeit, wie Dateneingabe, Plausibilitätsprüfung, Datenfortschreibung und lokale Datenspeicherung mit hohem Komfort abzuwickeln. Das steuernde Programm des lokalen Rechners fordert den Zentralrechner im geeigneten Moment auf, Daten zu übernehmen oder gezielt Informationen in Datenbeständen zu suchen und zurückzuübermitteln.

Unmittelbare Verwaltung

Zusammenfassend kann man feststellen, daß die Anwendung der Timesharing-Technik sich allein schon aus psychologischen Gründen "lohnen" kann, da dem Mitarbeiter der Verwaltung direkter Zugang zu "seinen" Daten gewährt werden kann. Ohne Mehraufwand schreibt er selbst seinen Datenbestand fort, macht zu einem von ihm gewählten Zeitpunkt seine Auswertungen.

Im Rahmen der dezentralen Datenverarbeitung werden Teilbereiche der Datenverarbeitung vollständig in die Organisationseinheiten verlagert. Im gleichen Maß lassen sich komplexe Programm- und Datenstrukturen, die vorher zentral geführt werden mußten, vereinfachen. Dies hat wiederum positive Auswirkungen auf den Wartungsaufwand. "Im Rahmen nachgewiesener Wirtschaftlichkeit", heißt es im Gutachten der KGST, "empfiehlt sich eine gemeinschaftliche arbeitsteilige Vorgehensweise."

Quellen:

1) Großer Hessenplan 1970.

2) Mitteilung der Hessischen Landesregierung, Drucksache 8/5690, 1978.

3) Gutachten der KGST, Köln 1979.

4) Gutachten des Präsidenten des Bundesrechnungshofes, 1975.

Dipl.-Ing., Dipl. Wirtsch.-lng. Wolfhard Kleinemeyer ist zuständig für den Bereich "Öffentliche Verwaltung" bei der General Electric Informations-Service GmbH, Köln.