Icann-Vorsitzende Dyson wirft NSI den Fehdehandschuh hin

Der Streit um die Registrierung von Internet-Adressen eskaliert

02.07.1999
MÜNCHEN (wt) - Um die Ablösung des Ex-Monopolisten Network Solutions Inc. (NSI) durch die Non-Profit-Organisation Internet Corporation for Assigned Names and Numbers (Icann) ist ein offener Konflikt ausgebrochen. Dieser droht die Registrierung von Top-Level-Domains (TLD) zu lähmen.

Seit die US-Regierung vor zwei Jahren erklärt hatte, die Domain-Vergabe künftig in die Selbstverwaltung zu entlassen, tobte hinter den Kulissen ein erbitterter Streit um den Einfluß auf das Nervenzentrum der Internet-Gemeinschaft. Immer wieder werden Vorwürfe laut, NSI sabotiere den Ablösungsprozeß mit einer gezielten Verzögerungstaktik. Aufgrund langwieriger Vertragsverhandlungen und komplizierter Verfahrensfragen hat bis dato nur Register.com den Betrieb aufgenommen.

Während die Interims-Vorsitzende des Icann, Esther Dyson, bisher versuchte, den Streit aus der Öffentlichkeit herauszuhalten, ging sie jetzt in die Offensive. Anlaß dazu gaben die verstärkte Lobby-Arbeit konservativer US-Abgeordneter und Interessenverbände zugunsten von NSI sowie ein Brief des bekannten Verbraucheranwalts Ralph Nader.

Kommt Internet-Steuer durch die Hintertür?

Die Lobbyisten werfen Icann eine undurchsichtige Organisa- tionspraxis und zu weit gehende Befugnisse vor. Thomas Bliley, Vorsitzender des Handelskomitees, störte sich vor allem an der Absicht von Icann, für jede Domain-Registrierung eine Gebühr von einem Dollar zu erheben. Damit würde durch die Hintertür eine Internet-Steuer eingeführt, so der Abgeordnete. Nader verlangte unter anderem Aufklärung darüber, ob Icann die Kontrolle der Root-Name-Server dazu nutzen werde, IP-Adressen oder Domain-Namen zu blockieren.

Die Vorwürfe rückten Icann geradezu in die Nähe eines kriminellen Geheimbundes. Icann-Chair Dyson reagierte mit einem offenen Brief an Nader, in dem sie schwere Vorwürfe gegen NSI erhob. Wörtlich: "NSI hat keine Eile, sein Monopol zu verlieren. Die Firma hat eine Reihe von Einzelpersonen und Verbänden bezahlt oder ermutigt, uns von so vielen Richtungen wie möglich Sand ins Getriebe zu streuen." Pikanterweise mußte NSI anschließend zugeben, mehrere Lobbyisten intensiv bearbeitet zu haben, nachdem diese freimütig über großzügige Einladungen geplaudert hatten.

Daß Dyson entgegen ihrer bisherigen Verfahrensweise die Auseinandersetzung in die Öffentlichkeit trug, hat freilich noch eine andere Bewandtnis. Offiziell ist am 25. Juni 1999 die Testphase für neue Registrierungsfirmen abgelaufen, so daß die Vermarktung von TLDs nun allen Interessenten offenstehen sollte. Alleiniger Ansprechpartner für die Erteilung entsprechender Lizenzen wäre dann Icann. Auch NSI selbst müßte einen Vertrag mit dem Selbstverwaltungsgremium abschließen. Der Ex-Monopolist weigert sich aber standhaft, da Icann einen solchen Vertrag bei Pflichtverletzungen auch wieder kündigen könnte. Dyson wirft NSI mit ihrem Brief nun öffentlich den Fehdehandschuh hin und erhöht damit massiv den Druck auf das Unternehmen, mit Icann zusammenzuarbeiten. NSI wäre klug beraten, sich der, zumindest politisch, unumkehrbaren Neuordnung des Domain-Systems nicht länger mit aller Macht entgegenzusetzen, zumal die bisher getroffenen Regelungen durchaus vorteilhaft für die Firma sind (siehe CW 18/99, Seite 35). Weitere Unsicherheiten könnten das Wachstum des Internet gefährden - zum Schaden aller Beteiligten.