Traum eines EDV-Fachjournalisten:

Der Sieg des Menschen über die Maschine

20.11.1981

Orcolix hatte einen Traum. Er weiß nur nicht, war's ein Alptraum - oder nicht? Als freier Journalist besuchte er im Auftrage von ZIKADE - Zeitschrift für Information, Kommunikation, Automatisation, Datenverarbeitung und Enduser - die Industriemesse in Kleinkleckersdorf.

Solche Fahrten in die Hochburgen urbaner Langeweile waren erforderlich geworden, seit die Anbieter - um Presse und Besucher nicht zu überfordern - beschlossen hatten, Neuvorstellungen gleichmäßig auf alle regionalen Ausstellungen zu verteilen. Diesen Entschluß hatten übrigens die großen Messegesellschaften sehr begrüßt, da es zum Beispiel in Köln und Düsseldorf kaum hoch Bauernhöfe - und dementsprechend wenig Gästebetten - gab.

Nachdem Orcolix alle Messestände und Pressekonferenzen abgegrast hatte, ohne auf eine herausragende Neuvorstellung - oder wenigstens eine prophylaktische Ankündigung - zu stoßen, erfuhr er rein zufällig von einem Toilettenmann, daß im Anbau der Küche des französischen Restaurants in Halle 115 (also der vierten der sieben vorhandenen Hallen) der Prototyp eines neuen Produktes zu sehen sei.

Orcolix raste hin. Und fand einen Mann und eine Maschine. Es handele sich um einen Universal-Computer, erklärte der Mann. Man könne mit ihm ebensogut Börsentrends extrapolieren wie das Geburtsdatum der Freundin(nen) speichern. Auch könne er - mit einigen Options - die Heizung ausschalten oder Kartoffeln schälen. Orcolix war begeistert. Er packte seine filmlose Filmkamera aus, erhellte den etwas zu dunklen Raum durch den Halogenstrahler seines Vielzweckfeuerzeuges, holte eine Köchin aus der Küche und setzte sie vor den Computer (damit seine Aufnahmen nicht mit Herstellerfotos, die grundsätzlich nur "tote" Produkte zeigen, zu verwechseln wären), und filmte los.

Anschließend interviewte er den Mann an der Maschine. Wobei er die automatische Aufzeichnung des Talktypers - überflüssigerweise - durch handschriftliche Notizen "begleitete".

In sein Hotelzimmer zurückgekehrt, schloß Orcolix die Filmkamera mittels Akustikkoppler an das Telefon an und übertrug die Bilder zur ZIKADE-Redaktion. Ihnen ließ er per Minitelefax das vom Talktyper ausgedruckte Interview folgen. Dann löschte er die Disketten von Kamera und Talktyper, band die Krawatte ab und begab sich in die Hotelbar.

Dort wurde er durch einen Anruf der ZIKADE-Redaktion gestört. Man verlangte, daß er seinen Kugelschreiber, den man ihm vor einem Monat als Präsent verehrt hatte, sofort an die Redaktion schicke. Leider war Orcolix im Laufe seiner Tätigkeit so stur geworden, daß er sich ohne ausreichende Erklärung auf nichts mehr einließ. Und da mußte die Redaktion mit der Wahrheit herausrücken!

Der Kugelschreiber war in Wirklichkeit gar kein Kugelschreiber. Er schrieb zwar, aber ... Tatsächlich handelte es sich um den Prototyp eines automatischen Journalisten. Diese mikroprozessorgesteuerte "Zigarre" zeichnete Bilder und Sprache digital auf und verwandelte sie - nach Einlegen in eine Blackbox - in satzfertige Manuskripte und druckreife Lithos.

Orcolix war so geschockt, daß er ohne Widerrede den Kugelschreiber per Intercity-Rohrpost losschickte - und sich anschließend betrank. Geweckt wurde er natürlich vom Telefon. Schon wieder die Redaktion! Man bedaure sehr, aber der Prototyp funktioniere noch nicht ganz so, wie er solle. Im Klartext: Die Technik hatte versagt. Aber man habe doch die von ihm gesendeten Bilder nebst Text, meinte der verkaterte Orcolix.

Eine Weile schwieg der Lautsprecher des Telefons - und der Bildschirm schien etwas trübe zu werden (möglicherweise auch nur eine nachalkoholischen Vision). Dann kam es kleinlaut über das digitale Glasfaserkabel: Ein Übereifriger - vermutlich ein Technik-Optimist - hatte die übertragenen Bilder und Texte gelöscht, als der automatische Journalist eintraf. Und da man nun von der Angewohntheit Orcolix wüßte, alles noch zusätzlich handschriftlich zu notieren, hätte die Redaktion gerne diese Notizen, da die Ausstellung am Vorabend geschlossen worde war.

Orcolix lachte, daß die Tränen liefen. Dann suchte er seine Schmierzettel zusammen und warf sie in die Rohrpost sowie sich in einen Sessel an der Bar. Er feierte noch immer den "Sieg des Menschen über die Maschine", als über Teletex eine Anweisung der ZIKADE-Redaktion an alle freien Mitarbeiter eintraf.

Darin hieß es, daß in Zukunft jeder Journalist seine maschinellen Aufzeichnungen - seien es Bilder oder Texte durch manuelle und nicht automatische Aufzeichnungen (etwa mit altertümlichen Foto- und Filmkameras) zu ergänzen habe.

So also der Traum. War's nun ein Alptraum - oder nicht? fragt Sie Ihr Orcolix

* Fritz J. Schmidhäusler ist freier EDV-Fachjournalist